2025-06-18 gesellschaftsanalyse Neurodivers Gut gemeint, schlecht gemacht ``Neurodivers'' ... ``ein Gehirn, das anders funktioniert'' ... Ich finde es gut, dass die spezifischen Schwierigkeiten von un- terschiedlichen Menschen in unserer Gesellschaft sichtbar werden. Es ist gut, wenn uns bewusst wird, wo wir erschweren und ausschliessen, wo unsere Wahrnehmung begrenzt ist. Wir muessen lernen, wie viel wir nicht sehen und nicht verstehen. All das ist gut und ein wichtiger Schritt nach vorne. Es ist aus meiner Sicht auch hilfreich, einzelne Gruppen zu benennen und herauszustellen, um an ihnen exemplarisch unsere eigene Begrenztheit und Unwissenheit zu erkennen. Zugleich fuehlt es sich falsch an. Es wird unterteilt in die Neuro-Normalen und die Neuro-Divergenten ... wie wenn es da eine Grenze gaebe. Es ist gut, dass man die Abweichungen nun sieht und anerkennt, aber es ist falsch, dass man sie als andersartig und damit als unnormal bewertet. Der wichtigste Schritt waere, zu erkennen, dass es kein ``Nor- mal'' gibt. ``Normal'' ist eine Fiktion, eine Idee, um abzugren- zen und auszuschliessen. Aber es gibt kein Normal! Wir alle sind neurodivers ... jeder in unterschiedlicher Weise. Es ist eine willkuerliche Entscheidung, manche Personen als normal anzusehen und andere als andersartig. Darin ist nichts natuerlich. Das ist menschengemacht und nur im Kontext unserer Gesellschaft ver- staendlich ... denn das Verstaendnis von Normal -- die Normierung -- definiert die Gesellschaft. Ich will nicht, dass sogenannte neurodivergente Personen nun zwar gesehen aber weiterhin die Anderen, die Andersartigen sind ... wie wenn alle anderen so gleich waeren. Sie sind es nicht. Die einen spielen halt das Gesellschaftsspiel mit; sie passen sich an und biegen sich hin weil sie dazu bereit und in der Lage sind. Andere koennen dieses spezifische Gesellschaftsspiel nicht mitspielen oder wollen es nicht. Das sind dann die Seltsamen, die Andersartigen. Ich wehre mich gegen die Willkuer ... gegen die Normierung. Ich verstehe Klassifikationen als Hilfsmittel, um voran zu kommen, als Kruecke, die man wegwerfen will, sobald man richtig laufen gelernt hat. Wir alle sind divers, in *jeder* Weise, auch neurologisch. Eine besonders beschraenkte Gruppe, die unbedingt Unterstuetzung braucht, sind die Menschen, die das nicht sehen koennen oder nicht sehen wollen. Die sind die eigentlich Behinderten. Jeder Mensch soll gleichwertig, auf die fuer ihn passende Weise, leben koennen und seine Beduerfnisse sollen gesehen und bestmoe- glich erfuellt werden. * * * Ich will nicht von Nicht-Autisten irgendwas ueber Autisten er- zaehlt bekommen! Sondern ich will Autisten zuhoeren, was immer sie relevant an ihrer Situation in der Gesellschaft finden und wie sie das formulieren. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke