2024-05-31 the real world Gedanken zur Outdoorkleidung Zwiebelprinzip ade! Aspekt Orthogonalitaet: Eine Erkenntnis war und immer noch verbreitete Meinung ist, dass man sich outdoor nach dem Zwiebelprinzip anziehen solle, weil mehrere duenne Schichten besser waermen und flexibler sind als wenige dicke. Obgleich dies nicht falsch ist, ist man heute eine Stufe weiter. Das Zwiebelsystem ist nicht mehr gut genug, es gibt ein besseres System. Dieses sagt mir sehr zu, da ich es bereits in anderen Bereichen wertvoll finde. Nennen wir es schlichtweg Orthogonalitaet! Die Idee ist, dass jede Schicht eine eigene Funktion erfuellt und diese Funktionen/Schichten beliebig miteinander kombinierbar sind. Statt also viele (gleiche) Schichten zu haben, hat man spezi- fische (unterschiedliche) Schichten. Vermieden werden Kleidungsstuecke, die mehrere Funktionien zugleich uebernehmen sollen. So werden insbesondere der Waerme- und Naesseschutz voneinander getrennt. Man muss dadurch bei keiner Schicht Kompromisse eingehen und kann je nach Bedingung vielfaeltig kom- binieren. (Ich schreibe hier aus Sicht des Radreisenden, prinzipiell sind die Gedanken aber ebenso auf's Wandern usw. uebertragbar.) Oberbekleidung: Eine enganliegende Schicht (Baselayer), die den Schweiss aufnehmen und transportieren kann. Eine duenne, wind- dichte Schicht. Eine warme Schicht (Daunenjacke). Eine duenne Schicht gegen die Naesse (Regenjacke). Diese koennen nun je nach Wetter und Klima unterschiedlich kombiniert werden. Schuhe: Hier kann man Orthogonalitaet schaffen indem man Trek- kingsandalen als Basis nimmt, diese fuer die Waerme mit duennen und dicken Socken kombiniert und gegen Wind und Regen wasser- dichte Ueberschuhe dabei hat. Wind und Regen kann oft in gleicher Weise begegnet werden, gedanklich sollte man sie aber dennoch trennen. Entscheidender ist jedoch die Trennung zwischen Waermeschicht und Regenschutz. Orthogonalitaet bringt nur dann etwas, wenn man die orthogonalen Kleidungsstuecke kombinieren kann. Die verschiedenen Schichten muessen also leicht unterschiedlich gross sein, so dass man sie (in der richtigen Reihenfolge!) uebereinander anziehen kann. Aspekt Mehrfachfunktion: Orthogonalitaet und Mehrfachfunktion widersprechen sich auf den ersten Blick. In der Orthogonalitaet hat jedes Ding genau eine Funktion. Bei der Mehrfachfunktion will man jedes Ding fuer mehrere Einsatzzwecke nutze. Diesen Aspekt kann man aus Sicht der Unix-Philosophie betrachten. Dort ist die Orthogonalitaet (One tool, one job!) von essenziell- er Bedeutung, jedoch gilt auch: simplicity, clarity, generality! Neben der Einfachheit und Klarheit der Komponenten ist auch ihre Generalitaet wichtig. Statt Dingen, die man nur fuer genau einen einzigen Zweck verwenden kann, sollte man unspezifischere Dinge dabei haben, die verschiedene Zwecke erfuellen koennen. Das beste Beispiel ist sicherlich der Schlauchschal. Davon habe ich meist zumindest drei Stueck dabei. Ich nutze sie als Schal/Halstuch und als Stirnband (zum Schutz der Ohren gegen Wind). Ich nutze sie aber auch als Kopftuch zum Schutz des Kopfes gegen Sonne und als warme Muetze zum Schutz des Kopfes gegen Auskuehlen (tagsueber oder in kalten Naechten auch beim Schlafen). Zudem verwende ich sie im Winter als Gesichtsmaske gegen die kalte Luft auf der Haut und beim Atmen und kann sie als Staubschutz verwenden. Wenn noetig sind sie auch als Schlafmaske nutzbar -- Dutzende praktisch relevante Nutzen. In gleicher Weise ist ein Tuch besser als eine Muetze, denn ein Tuch kann nicht nur als Sonnenschutz aufgesetzt werden, sondern es kann auch die Schultern oder den Arm vor oder nach einem Son- nenbrand schuetzen. Eine Muetze hat nur eine Funktion, ein Tuch hat viele Funktionen ... da es generischer ist. Ein Unterhemd kann gleichzeitig als aermelloses Shirt (Tanktop) dienen. Ein T-Shirt als Schlafkleidung. Dicke Wollsocken sind beim Wandern schon oft als Handschuhe genutzt worden. Usw. Wie man sieht, geht es mir hier nicht um Gegenstaende fuer mehrere fest definierte Funktionen, wie Sporks und Abzip-Hosen, sondern um simple, generische Gegenstaende. Sporks & Co. mag ich nicht allzu sehr, da sie meist Kompromisse darstellen und keine einzige ihrer Funktionen gut erfuellen. Letztlich kann man es vielleicht auch so sagen: Alles was mir in seiner Art als Unix-Tool gefallen wuerde, gefaellt mir auch als Ausruestungsgegenstand und Kleidungsstueck auf einer Radreise. Aspekt Materialien: Bezogen auf die Robustheit ist Baumwolle zwar ein gutes Material, bezogen auf alle anderen Aspekte (Gewicht, Trockenzeit, Waer- memanagement) aber nicht. Ein grosser Fortschritt fuer mich war, Baumwolle fast komplett durch andere Materialien zu ersetzen. Auf der Haut ueberzeugt mich Wolle am meisten. Selbst im Sommer sind (duennere) gestrickte Wollsocken eine gute Option. Wollk- leidung ist auch im feuchten Zustand noch funktionsfaehig und trocknet auf der Haut. Zudem kann ich Wollkleidung eine Woche am Stueck tragen, ohne dass ich unertraeglich stinke. Das Problem an Wolle ist jedoch die geringere Robustheit. Mit Wolle muss schonender umgegangen werden. Sie kann nicht so bedenkenlos gewaschen und belastet werden wie Baumwolle. Auch harmonieren Klettverschluesse und Wolle gar nicht. Dennoch wiegen ihre Vorteile diese Nachteile fuer mich auf. Besonders fuer den Baselayer ist meiner Meinung nach Wolle die beste Option. Kunstfaserkleidung macht fuer mich schon auch Sinn. Am meisten natuerlich als Schutzschicht gegen Regen und Wind. Desweiteren an allen stark belasteten Stellen, wie beispielsweise Hosen mit Sat- telkontakt oder die Rucksackkontaktstellem beim Wandern. Bei den Kunstfasern ueberzeugt mich Polyamid (Nylon) viel mehr wie Polyester, da es deutlich robuster ist. Darauf achte ich bewusst. Wenn immer moeglich vermeide ich Polyester zugunsten von Polyamid. Die zwei Probleme von Kunstfaserkleidung sind meiner Meinung nach, dass sie schnell stinkt und dass sie anfaellig gegenueber Feuer und Funken ist. Sobald man Feuer macht, ist Kunstfaserk- leidung einem grossen Risiko ausgesetzt. Wolle waere hier die beste Option, doch ist eine Woll-/Lodenjacke recht schwer und in ihrer Art meist wenig orthogonal, sondern ein Kompromiss, wodurch das Kleidungsstueck nur zusaetzlich zum orthogonalen Kleidungsmix eingepackt werden kann, aber nichts anderes ersetzt. Ob man sich das leisten kann und will muss man dann entscheiden. Aspekt Wechselkleidung: Von aller Grundkleidung sollte man eine doppelte Ausfuehrung ha- ben -- eine die man an hat und eine als Reserve zum Wechseln oder um sie zu waschen. Mehr als zwei Exemplare habe ich bislang nicht gebraucht (solange man noch Notfalloptionen ueber aehnliche Kleidungsstuecke hat). Von Kleidungsstuecken mit vielen Funktionen, wie Schlauchschals und Socken sollte man dagegen mehrere Exemplare haben. Gerade wenn man mit offenen Sandalen faehrt und die Socken dadurch ab- sehbar dreckig und nass werden ... und zudem ggf. in mehrere Schichten getragen und auch zum Schlafen genutzt werden. Wie jemand so schoen gesagt hat: Es ist einfacher und flexibler fuenf weitere Paar Socken mitzunehmen als ein weiteres Paar Schuhe. Den orthogonalen Teil der Aussenkleidung kann man sich nor- malerweise nur in einfacher Ausfertigung pro Kleidungsstueck mitzunehmen leisten. Das reicht auch. Also eine Schicht Regen- sachen, eine Daunenjacke, etc. Alles nicht Orthogonale ist zusaetzlich, kann aber als Reserve bzw. Sicherheit angesehen wer- den. Meinen Discgolf-Ueberlegungen folgend gibt es auch bei der Kleidung und Ausruestung Workhorses, die man staendig nutzt, und Spezialisten, die nur fuer bestimmte Zwecke da sind. Von den Wor- khorses braucht man mehrfache, von den Spezialisten nicht. Bei den Spezialisten sollte man streng orthogonal sein, bei den Wor- khorses kann man sich auch auf Zwischendinger einlassen, wenn diese genau die typischen, haeufigsten Beduerfnisse abdecken. Wenngleich beispielsweise eine Lodenjacke in keiner Weise allein- stehend ist und eigentlich der Orthogonalitaetsidee widerspricht, so kann sie doch diejenige Jacke sein, die man am meisten an hat, weil sie genau den Kompromiss bietet, der typischerweise optimal ist. In dem Fall spricht viel dafuer, sie mitzunehmen. Aspekt Kleidungsnormierung: Manche sinnvollen Kleidungsstuecke gibt es auf dem Massenmarkt schlichtweg nicht. So suche ich seit Langem eine 3/4-Hose aus Po- lyamid, mit leicht ausgeformten Knie, zwei simplen Taschen auf den Seiten und einen Gummizug oben -- keine Knoepfe, keine Reissverschluesse, kein Guertel, kein Gewicht. Sowas ist nicht zu finden. Ich werde sie mir wohl selber naehen muessen ... Auch Unterhosen sind ein Problemfeld. Maennerunterhosen wiegen rund 100g. Wenn man die Hoeschenform nicht mag ist man sowieso stark eingeschraenkt und die Naehte liegen genau da wo man Kon- takt zum Sattel hat. Die Loesung der meisten: ohne Unterhose in die Radlerhose. Aus meiner Sicht ist das eine Notloesung in Er- mangelung anderer Optionen. Die beste Option sind meiner Meinung nach Strings aus Funktionsmaterial (Polyamid/Elastan) ... bloss gibt's die fuer Maenner schlichtweg nicht. Wenn man Strings fuer Maenner findet, dann ist es Fetischkleidung. Ich fahre nun mit Strings fuer Damen. Die haben zwar vorne recht wenig Stoff, so dass es nur gerade so reicht, aber sie erfuellen ihre Funktion hervorragend und wiegen gerade mal 17g! Da koennte ich sechs Stueck mitnehmen, statt einer einzigen Maennerunterhose ... mir reichen aber 2-3, schliesslich lassen sie sich einfach waschen und trocknen in Rekordzeit. Aspekt Worauf es ankommt: Regenkleidung muss natuerlich wasserdicht sein, aber ebenso wichtig ist, dass sich der Schweiss nicht im Innern staut, sonst wird man bei koerperlicher Betaetigung vom eigenen Schweiss nass, anstatt vom Regen. Ob Membranen nun die Loesung sind und wie gut sie wirklich funktionieren, weiss ich nicht; was ich aber weiss ist, dass Belueftungsmoeglichkeiten gut sind. Regenkleidung ohne grosszuegige Belueftungsoptionen ist fuer koerperliche An- strengung ungeeignet. Ueberhaupt ist bei anstrengenderen Taetig- keiten das Schweissmanagement von grosser Bedeutung. Schuhe koennen wasserresistent sein, viel wichtiger ist aber, dass sie schnell wieder trocknen. Ueberhaupt ist es outdoor essenziell, dass alle Kleidung schnell trocknen kann, bzw. sie auch feucht funktionsfaehig ist, damit man sie am Koerper trock- nen kann. Die besten wasserabweisenden Schuhe bringen nichts, wenn sie zwei Tage trocknen muessen nachdem sie einmal richtig nass geworden sind. Dann besser Sandalen, die zwar nass werden aber auch wieder trocken. ... denn intensive Naesse kann man ja doch nicht draussen halten ... aber sie ist auch nicht so schlimm, wenn es danach wieder trocken wird. An der Kleidung kann man am allermeisten einsparen. Vergleicht man unerfahrene und erfahrene Radreisende, so unterscheidet sich deren Gepaeck am meisten in der Art und vor allem Menge der Kleidung. Es muss nicht die teuerste Funktionskleidung sein, aber es muss die passende Kleidung sein ... und ja, die hat teilweise schon auch ihren Preis, macht dann aber auch einen entsprechenden Unterschied. Worauf es wirklich ankommt, kann man ohne eigene Erfahrung nicht wirklich wissen ... und die macht man nur indem man sie eben macht. ;-) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke