2024-05-06 gesellschaftsanalyse Milchmaedchenrechnungen und Interessenskonflikte Ziele des Staates Ich habe eine grosse Kritik an der Praxis der Staatsfuehrung. Meiner Meinung nach erfuellt unser Staat seine Aufgabe nur ausreichend bis ungenuegend ... also wenn man es vom Soll aus be- trachtet. Im Verhaeltnis zu anderen Staaten ist er sicherlich im oberen Bereich, aber das aendert nichts daran, dass alle schlecht abschneiden. Nun muss man sich natuerlich zuerst darueber einigen, was das Ziel des Staates ueberhaupt ist. Teilweise ist das nicht fest- gelegt, teilweise wird es unterschiedlich ausgelegt, teilweise werden Ziele gegeneinander verhandelt, teilweise wird wissentlich gegen sie verstossen. Worauf sich aber alle festlegen koennen werden ist, dass Deutsch- land ein Rechtsstaat sein will. Folglich ist Unrecht im Staatsap- parat ein Versagen des Staates. So der Fall bei aller Korruption. Korruption ist eine Form des Interessenskonflikts. Korruption ist vorhanden. Korruption wird immer wieder aufgedeckt. Sie steht im Widerspruch zum Rechtsstaat. Wichtiger erscheint es mir aber, generell auf Interessenskonflikte zu schauen. Mir fehlt allgemein das Bewusstsein fuer das Problem, das Interessenskonflikte dar- stellen.. Es ist wie wenn man sie so sehr als normal ansieht, dass man sie gar nicht mehr als etwas Falsches und Stoerendes be- trachten kann. Dabei fuehren Interessenskonflikte zu falschen Entscheidungen. Will man richtig Entscheidungen haben, dann muessen Interessenskonflikte vermieden werden. Es ist doch wirklich kein Wunder, dass Selbstkontrollmechanismen nicht funktionieren. Sie enthalten *immer* einen Interessenskon- flikt. Denn gaebe es keinen Konflikt, dann waere ja gar kein Kon- trollmechanismus noetig, weil alle das gleiche Ziel verfolgen. Selbstkontrolle erfuellt aber ihre Funktion nicht, wie unzaehlige Male gezeigt worden ist. Nur unabhaenige Kontrolle ist eine echte Kontrolle. Es ist auch kein Wunder, dass Lobbyismus zu Interessenskonflikten fuehrt -- Korruption ist ja letztlich nur der Zustand, wenn bei Interessenskonflikten die falsche Entscheidung getroffen wird. Warum aber ist Lobbyismus ueberhaupt erlaubt? In einem Staat, der ein Rechtsstaat sein will, macht das doch keinen Sinn. (Das ist wie Klimaschutz betreiben zu wollen und gleichzeitig fossile Energieerzeugung/-nutzung zu subventionieren. Oder Nikotin-, Alkohol- und Spielsucht bekaempfen zu wollen, an ihnen aber gleichzeitig mitzuverdienen. Usw.) Ich denke, ein Grund liegt darin, dass wir den griechisch/roemischen Politikgedanken der Rhetorik noch nicht ue- berwunden haben. Uns ist Ueberzeugungskunst noch immer wichtiger als Tatsachen. Uns ist eigene Macht noch immer wichtiger als das gute Leben aller. Wir stecken noch im Machtstaat fest; bislang haben wir es noch nicht zu einem Sachlichkeitsstaat geschafft, geschweige denn zu einem Staat der alle Menschen vertritt und das Beste fuer alle will. Uns ist Macht wichtiger als Transparenz. Uns ist Macht sogar wichtiger als Demokratie und Rechtstaatli- chkeit. Dass solche Feststellungen abgewehrt werden, statt angeschaut, bestaetigt das Problem. Wir sind noch weit entfernt von einem sachlich-wissenschaftlichen Staat, der *sinnvolle* Entscheidungen trifft ... und der seine eigenen Ziele auch wirklich erreichen will. Transparenz und Kontrolle sind ja keine erschwerende Pflicht, kein leidiges Uebel, sondern sie sollten als willkommene Hilfmit- tel gegen die eigene Manipulationsanfaelligkeit (die in uns allen steckt) angesehen werden. Gebildete, kritische Buerger duerfen nicht als anstrengend (weil weniger einfach manipulier- und steuerbar) angesehen werden, son- dern muessen als Versicherung gegen Manipulation, Hetze, Aushoehlung des Staates, usw. gewertet werden. Aber noch immer regiert die Staatsfuehrung *ueber* die Buerger und nicht *fuer* sie. Trotz Demokratie-Label bestimmt nicht (oder nur eingeschaenkt) das Volk als Ganzes und in fairer und gleicher Weise ueber sich selbst. -- *Wir* sind der Staat ... eigentlich. Stattdessen verfaellt man in Milchmaedchenrechnungen. Alkohol, Zucker, Tabak, Gluecksspiel, Autoverkehr, Intensivlandwirschaft, Atomenergie, usw. ... ueberall macht der Staat Milchmaedchen- rechnungen. Tatsaechliche Kosten werden ignoriert. Die Politik interessiert nur was in den eigenen Topf wandert. Kosten, die An- dere zahlen, die in der Zukunft gezahlt werden und vor allem un- sichtbare Kosten, die die Allgemeinheit traegt, sind sehr willkommen ... fuer die Politik ... und zu Lasten der Bevoelk- erung, die die Politik ja eigentlich vertreten wollte. Hier sind die Politiker korrupt, denn sie tun nicht was richtig ist -- wissenschaftlich nachweislich richtig --, sondern sie nutzen die Rhetorik und die Psychologie um sich selbst und der Bevoelkerung (der sie eigentlich verpflichtet sind) ihre Mil- chmaedchenrechnungen als die Realitaet darzulegen, zugunsten eigener Vorteile. Solange Interessenskonflikte in der Politik vorhanden sind und nicht als schwerwiegendens Problem erkannt sind, solange in der Politik mehr zaehlt als nur wissenschaftliche Sachlichkeit, solange Buerger nicht fuer voll genommen werden und auf Au- genhoehe mit den Politikern stehen, solange kann ich dieses Sys- tem nicht ernstnehmen. -- Ich bin enttaeuscht, traurig und voll Sorge. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke