2023-06-22 the real world Generationenkonflikte unloesbar!? Es ist ein generelles Problem: es betrifft viele Menschen. Es ist ein Generationenproblem: fuer die Elterngeneration scheint das Problem ein ganz anderes zu sein als fuer die Kindergeneration. Es ist ein Kommunikationsproblem: man versteht sich einfach nicht; das Problem kann nicht angegangen werden, weil es unmoe- glich ist, es verstaendlich zu machen. Hier exemplarisch die Aeusserungen eines erwachsenen Kindes: Meine Eltern haben offenbar von uns erwartet, dass wir irgendwas fuer sie organisieren zur goldenen Hochzeit -- irgendwas Besonderes, was weiss ich, Tisch schmueck- en, Staendchen bringen. Oma haette gar eine Ansprache von mir erwartet ... Das fuehlt sich fuer mich mehr als abwegig an. Wir haben nichts weiter vorbereitet, weil wir dachten, die ganze gemeinsam verbrachte Woche sei sozusagen die Feier der goldenen Hochzeit. Die Erwartungen und Vorstellungen sind vollkommen unter- schiedlich. Man haette darueber reden sollen. Das aber bringt nur dann etwas, wenn von den eigenen Erwartungen und Vorstel- lungen abweichende Meinungen ueberhaupt aktzeptiert sind. Und dann hat Papa uns noch vor Mama und Oma vorgewor- fen, wir seien so unfreundlich und abweisend zu Mama und das sei nicht in Ordnung. Vermutlich stimmt das schon. Ich finde den Kontakt mit meiner Mutter unglau- blich anstrengend und will sie von mir fernhalten. Interessant waere doch, die Gruende zu erfahren, bevor man bewer- tet. Es scheint aber einfacher zu sein, zu bewerten (abzuwer- ten), als verstehen zu wollen. Sie ist immer so gestresst von den kleinsten Dingen (Fruehstueck machen, ...). Dann spricht sie immer so vor sich hin, was sie jetzt tut, mit todernster Mine: ``So. Ich bringe jetzt erstmal die Tassen raus und dann erst den Kaeseteller, dann wird der im Wintergarten nicht so warm, und dann ... und dann ... und du kannst ja schon mal ... Ich wuerde sagen, wir nehmen diese Teller und nicht jene ...'' Das alles geschieht in einem Tonfall, als wuerde sie eine hochkomplexe Aufgabe zu meistern versuchen und als ginge es dabei mindestens um die Verhinderung eines atomaren Erstschlags. Ein Spiegel ist nur dann willkommen, wenn man auch reinschauen will. Natuerlich waere es wuenschenswert, wenn der Spiegel gewaltfrei kommunizieren wuerde, immerhin das koennte von den kommunikationsfaehigeren Kindern erbracht werden ... oder alter- nativ von neutralen Vermittlern. Das koennte man ja auch alles einfach wunderlich finden und mehr nicht, aber mich triggert das immer wieder, und ich will diese Zwanghaftigkeit und Selbstbezo- genheit und Gestresstheit einfach von mir weg halten. Deshalb reagiere ich oft gar nicht auf sie. Und natuer- lich empfindet sie (und Papa) das als kuehl und un- freundlich. Es ist so vieles schon so tief eingefahren, dass es fuer alle eine enorme Aufgabe ist, sich aus dem Sumpf wieder herauszu- manoevrieren. Alles ist voller Angriffigkeit, voller Verteidi- gungsmauern, voller Trigger -- ehrliche Kommunikation ist kaum moeglich, die Offenheit, dass verstanden wird, was andere sagen, ist kaum gegeben. Wenn ich dann mal etwas von mir erzaehle, kommentiert sie das oft auf eine Weise, mit der ich mich vollkommen missverstanden fuehle und mir immer wuensche, ich haette es nicht erzaehlt. Die Frage ist, ob allen Beteiligten ueberhaupt bewusst ist, in welcher Situation man sich befindet, und ob sie die grossen An- strengungen auf sich nehmen wollen, sie zu verlassen. Ohne eine bewusste Kommunikation ueber diese Metaebene kann dieses Problem nicht geloest werden! Ich kann die Gefuehle, Ansichten und Erwartungen aller Beteiligten verstehen, fuehle mich -- als Teil der Kindergenera- tion -- aber ohnmaechtig, diese Kollisionen im Rahmen der fehlen- den Offenheit und Reflexionsfaehigkeit der Elterngeneration zu loesen. Da denke ich mir dann: Die eigentliche Herausforderung ist nicht, die passenden Methoden zu haben, um Konflikte loesen zu koennen, sondern eine Konfliktloesung zu schaffen, mit Personen, die diese Methoden nicht anwenden koennen oder wollen. Ich weiss nicht, ob dies gelingen kann, oder ob ``unter den Teppich kehren'', zudeck- en und Distanz suchen der einzige Weg ist. Unbefriedigend finde ich, dass dadurch das eigene Wohlwollen nicht sichtbar werden kann. Man wird zwangslaeufig falsch ver- standen, aber es gibt keinen Weg, die eigene Haltung ver- staendlich zu transportieren. Man koennte nur sich selbst voellig der anderen Denkwelt unterordnen, was aber fuer einen selbst kaum tragbar ist und das Problem auch nicht loest, sondern nur in anderer Weise zudeckt. Diese Ohnmacht, eine gute Loesung zu finden, und das resul- tierende Dilemma, entweder sich selbst aufgeben zu muessen oder unverdient als Quelle des Boesen dazustehen, finde ich schreck- lich und setzt mir zu. Ohne ein Erkennen der strukturellen Eigenschaften der vorhandenen Situation wird keine Loesung moeglich sein. Dies wird vermutlich nur durch externe Hilfe (Familientherapie) gelingen. Um sich dafuer zu entscheiden, muss auch schon einiges erkannt worden sein, woran es oft mangelt. Das Problem kommt mir daher kaum loesbar vor. Die Baby-Boomer-Generation lebt leider mit vielen Erziehungsprae- gungen, die solche Prozesse verhindern. Sie haben einfach nicht das Handwerkszeug, das noetig ist, um derartige Situationen zu loesen. Das an sich waere nicht schlimm, wenn sie es einfach da- bei belassen koennten, aber sie haben leider zugleich einen ue- berbordenden Wunsch nach der ``heilen Familie'', der nicht ausreichend reflektiert wird und in Kombination mit ihrer Un- faehigkeit, dieses Familiensein auf Augenhoehe zu gestalten, viel Leid erzeugt. (P.S.: Ich bin gespannt, was unsere Kindergeneration uns im Alter vorwerfen wird. Es wird ja etwas sein, was wir in unserer ersten Lebenshaelfte nicht gelernt haben und danach kaum mehr lernen koennen ... vermutlich kaum nur begreifen koennen. Dann moechte ich mich an diesen Text erinnern.) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke