2023-02-22 the real world Wissenschaftlichkeit With Science On Our Side So oft wird in den letzten Jahren auf die Wissenschaftlichkeit hingewiesen. Damit soll gesagt werden, dass es keine blossen Behauptungen seien, die man von sich gibt. Wissenschaftliches Vorgehen wird auf einen Sockel gehoben. Es ist erhaben. Nutzt man die Wissenschaft, so hat man die Wahrheit gepachtet ... with sci- ence on our side. Wie in Dylans Lied ist es nur Oberflaeche und Mittel zum Zweck. Es ist vielleicht gut gemeint aber schlecht gemacht. Wissenschaft ist kein Zauberwort, das man in den Raum wirft und damit gewinnt. Wissenschaftlichkeit muss man erstmal verstehen. Forscher selbst sind oft genug nicht wissenschaftlich in ihrem Verhalten. Wissenschaftlichkeit ist emotionslos, sachlich und neutral. Wissenschaftliche Arbeiten sollten stets ausgewogen sein, zwischen Begruendungen, die fuer die Ergebnisse sprechen und allem was dagegen spricht. Wissenschaftler sollten ihre eigenen Theorien nicht verteidigen sondern kritisieren. (Hil- freiche Forschungsergebnisse sprechen fuer sich selbst.) Wenn Antworten nicht gleich neue Fragen aufwerfen, stimmt etwas nicht. It's a kind of scientific integrity, a principle of scientific thought that corresponds to a kind of utter honesty -- a kind of leaning over backwards. For exam- ple, if you're doing an experiment, you should report everything that you think might make it invalid -- not only what you think is right about it: other causes that could possibly explain your result; and things you thought of that you've eliminated by some other experi- ment, and how they worked -- to make sure the other fellow can tell they have been eliminated. Details that could throw doubt on your interpretations must be given, if you know them. You must do the best you can -- if you know anything at all wrong, or possi- bly wrong -- to explain it. If you make a theory, for example, and advertise it, or put it out, then you must also put down all the facts that disagree with it, as well as those that agree with it. [0] Wissenschaft ist der Zustand bestaendigen Nichtwissens; ein Weg zunehmend besserer Erklaerungsversuche. Wenn man sich anschaut, wann und wie die Wissenschaft herangezo- gen wird, so wird dort ein anderes Bild vermittelt. Beim Thema Stuttgart21 habe ich mich so sehr an den groben Fehlern im Verlauf gestoert, dass ich gar nicht an den Punkt gekommen bin, zu entscheiden, welches Inhaltsergebnis ich gut gefunden haette. Das ist wie vor Gericht ein unfaires Verfahren, Folter und Korr- uption zu ignorieren und dennoch entscheiden zu wollen, ob die Person schuldig ist. Aber wenn man seitenlang schlampig und falsch gerechnet hat, macht es keinen Sinn, sich ueberhaupt mit dem Antwortsatz zu beschaeftigen. -- Wissenschaft, Recht, Re- chtstaatlichkeit, Vertrauen und aehnliches sind kein Endergebnis, sondern Bauwerke, die vom Fundament beginnend solide sein muessen. Man kann sich keine Leaps of Faith leisten. Das ist meine Kritik am Coronaimpfthema: Zwar ist von der Politik immer wissenschaftlich argumentiert worden, aber ihr Vorgehen war unwissenschaftlich. Zwar ist Verantwortung gefordert worden, aber die Buerger sind nicht wie verantwortungsfaehige Menschen behan- delt worden. Man kann nicht das eine vorgeben und das andere tun. Das ist Pro- paganda, eine nur kurzzeitig ueberdeckende Show, die die Glaubwuerdigkeit zerstoert. Aber noch immer werden auch die Buerger von Laendern wie Deutsch- land von ihren Regierungen wie Idioten behandelt. Warum war es denn keine Impfaufklaerung sondern eine Impfkam- pagne? Eine Kampagne ist eine Aktion, um Menschen eine gewuenschte Meinung aufzudraengen. Dabei wird dann das Wissen- schaftszauberwort gesprochen, wie wenn das genug waere. -- With science on our side! -- Aber aufgeklaert wird nicht. Es kann nichts Wissenschaftliches geben, das nicht auch viele offene Fragen, widersprechende Informationen und valide andersartige Schlussfolgerungen umfasst. Davon war bei der Impfkampagne leid- er nichts zu erkennen. Fast schon kulthaft, polarisierend und gemeinschaftsspaltend wurde sie betrieben. Vorgeblich wissen- schaftlich, im Verhalten aber propagandistisch. Man hat viel gefordert, um ein einziges Ziel zu erreichen. (Was dann weit schlechter erreicht wurde, als erhofft, ... vielleicht gerade darum.) In erstaunlicher Weise erinnert mich das an die Beschreibungen der russischen Kriegsfuehrung in der Ukraine. In der Wikipedia hoeren sich manche Formulierungen fast spoettisch an, wenn die Russen Methoden angewendet haben, die schon vor fuenfzig Jahren veraltet waren, ... wenn unverhaeltnismaessige Opfer im Kampf hingenommen werden, durch Aktionen, die ungeeignet sind, die gewuenschten Ziele zu erreichen, ... man faellt nur in bekannte (bisher auch schon schlechte) Verhaltensmuster zurueck. Der Westen lacht ueber die Ineffektivitaet der russischen Kampffuehrung ... Aussenstehende koennten ebenso ueber die Inef- fektivitaet des deutschen Coronaimpfvorgehens lachen. Die Paral- lelen sind gross. Ich frage mich, ob es jemanden ueberrascht hat, dass so viele Menschen demonstriert haben. Im Protest fallen Kritik am Inhalt und Kritik am Vorgehen zusammen und kochen zusammen auf. Kritik an Einschraenkungen aller zum Wohle der Gemeinschaft halte ich fuer falsch, aber Kritik daran, von der Regierung nicht wie muen- dige Buerger behandelt zu werden, mit Kampagnenpropaganda zugetextet zu werden, statt transparent und sachlich informiert zu werden, Pseudosicherheit vermittelt zu bekommen (wie wenn man Kindern sagt, dass etwas gar nicht weh taete, obwohl es weh tut, oder dass man bald am Ziel sei, obwohl es noch lange dauert), statt auf Augenhoehe zu kommunizieren, finde ich legitim und notwendig. Es ist wie wenn die Regierung mit dem Volk umgeht, als waere es ein siebenjaehriges Kind. Nur hat sie nicht realisiert, dass das Volk im letzten halben Jahrhundert zu einem Jugendlichen gereift ist, den man nicht mehr so einfach veraeppeln und abspeisen kann. Es reicht nicht mehr aus, einem Suessigkeiten zu versprechen, um Probleme zu loesen; jetzt wird Integritaet gefordert. Um es nochmal klar zu machen: Ich befasse mich hier nur mit Ver- fahrenskritik, nicht mit den Inhalten. Mich stoert, *wie* die Dinge ablaufen. Ob und wer und wann und wieviel geimpft werden sollte, an dem Punkt bin ich noch gar nicht. Eine wissenschaft- liche Arbeit besteht ja auch nicht nur aus Ergebnis. Genau genom- men ist das Ergebnis bei ihr weniger wichtig als das Vorgehen und die dabei getroffenen Annahmen und Entscheidungen mit ihren Be- gruendungen. Wenn man das Thema ordentlich eroertert, dann faellt das Ergebnis (oder ein Set von verschiedenen Ergebnissen fuer verschiedene Situationen und Annahmen oder Praeferenzen) au- tomatisch hinten raus. Nun frage ich mich: Wie kann es sein, dass man von Coronaimpfs- chaeden ueberrascht ist? Wie kann es sein, dass diese abgeredet werden? Wie kann es sein, dass diese nicht eingeplant sind? Das alles ist doch klar, logisch und abzusehen gewesen. Darueber sollte man sich aber auch nicht aufregen, weil jede Impfung mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit zu Schaeden fuehrt. Diese Impfs- chaeden sind in Summe jedoch klein gegenueber den Krankheitsfol- gen, gegen die man impft. Darum geht man das Risiko ein: Man erwartet, dass es ein kleineres Risiko ist als das andere, dass man tragen muss, wenn man nicht impft. Ebenso gehen wir Risiken ein, wie die einen Verkehrsunfall zu erleiden, weil die Vorteile der Mobilitaet fuer uns wichtiger sind als ihre Risiken. -- Statt das aber zu verheimlichen und in ``altbewaehrter'' Propaganda- und Politik-Manier nur von den Vorteilen zu reden, wuerde man besser sachlich und transparent die Situation darlegen. Also auch keine beschissene Salamitaktik: ``Nur eine Impfung, dann ist alles gut! ... Ach ja, und dann jedes Jahr erneut impfen ... Ach ja, vor Ansteckung schuetzen tut sie nicht, nur die Wahrscheinli- chkeit fuer schwere Verlaeufe werden reduziert.'' -- Das war doch alles nicht neu. Die Coronaimpfung verhaelt sich da nicht anders als als andere (Grippe-)Impfungen. Und waere es doch neu, dann haette man besser gesagt, dass man es eben nicht weiss und nicht wissen kann. Man will nur den Buergern nicht auf Augenhoehe begegnen. Oder verweilt in der Haltung, dass man dies nicht koenne. Wir leben im Jahr 202x aber in aus unserer Sicht ``entwickelten'' Laendern wie Deutschland wird die Bevoelkerung noch immer wie ein sieben- jaehriges Kind behandelt. -- Weit haben wir es seit den 60ern nicht gebracht! Ich will endlich als Teil einer muendigen Bevoelkerung angesehen werden! Dann koennte man Probleme auch loesen, indem man sich anschaut was die Beduerfnisse und Sorgen der Menschen sind, ihnen den Sachverhalt erklaert und Handlungsoptionen aufzeigt. Das waere fuer die heutige Zeit angemessener als die Methoden von Vor- gestern. Hallo, Regierung! Dein Volk ist kein Kind mehr. Es ist jugendlich geworden. Wir kapieren jetzt, wenn du uns veraeppeln willst, wenn du Abkuerzungen nimmst oder die Dinge gerade so und immer wieder anders hindrehst, wie es dir bequem ist. Wir wollen jetzt Transparenz sehen und auf Augenhoehe behandelt werden. Respekt gibt's nur fuer Integritaet, Alter! [0] Bertrand Russell: Cargo Cult Science; in: Surely You're Jok- ing, p. 385 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke