2022-12-11 the real world Konsumschulden Verstaendnismodell & Blickwinkel Allem, worueber wir nachdenken, liegt ein Verstaendnismodell und ein Blickwinkel zugrunde. Dies sind zwei Variablen, die zu selten als frei veraenderbare Komponenten angesehen werden. Sie werden oft noch nicht mal ueberhaupt als Komponenten wahrgenommen. Auf der Basis eines unpassenden Verstaendnismodells oder aus einem unguenstigen Blickwinkel betrachtet kommt man zu schlechten Ergebnissen ... die fuer die Person, die dieses Verstaendnismo- dell und diesen Blickwinkel inne hat, aber voellig stimmig und richtig erscheinen. Das laesst sich mit einfachsten Beispielen zeigen und sollte unstrittig sein. Zwei Personen mit unterschiedlichen Verstaendnismodellen oder un- terschiedlichen Blickwinkeln koennen beide also voellig von der Korrektheit ihrer Schluesse und der Absurditaet der Schluesse der anderen Person ueberzeugt sein -- und sie haben beide recht, denn beide haben korrekt analysiert und geschlussfolgert ... bloss merken sie nicht, dass sie eben Unterschiedliches sehen. Es ist somit viel wichtiger, sich ueber Verstaendnismodelle und Blickwinkel zu unterhalten als ueber daraus resultierende Schlussfolgerungen. Denn die Schlussfolgerungen sind bedeu- tungslos, ohne den Abgleich ihrer Grundlage. * * * Der Fall einer Person mit Konsumschulden ist erstaunlich simpel: Der entscheidende Schritt ist es, zu erkennen, dass die Person mehr ausgegeben hat, als sie an verfuegbarem Geld hatte. Diese Erkenntnis liegt regelrecht auf der Hand, und doch ist sie ein bedeutender Schritt. Ohne dies zu erkennen (und zu akzeptieren) ist keine Loesung moeglich. Es geht um das Verstaendnismodell: Die Person als Durchflusssys- tem, mit zugehenden Einnahmen, einem Vermoegens-/Schuldenstand, und abgehendem Konsum. Wenn mehr abgeht als zugeht, so schrumpft das Vermoegen und Schulden entstehen. Die Schulden wird man los, indem man den Abfluss verringert oder den Zufluss erhoeht, jeden- falls muss der Zufluss grosser als der Abfluss sein. -- Einfacher geht es kaum. Und doch faellt die Akzeptanz dieses Sachverhaltes den Betrof- fenen erstaunlich schwer. Das ist der psychische Faktor an der Sache. Bei Suechten ist er noch zusaetzlich verstaerkt. Die be- troffene Person wehrt sich gegen das Verstaendnismodell und den Blickwinkel, da die daraus unweigerlich resultierende Handlungskonsequenz vermieden werden will. Darum wird lieber ueber Handlungsweisen diskutiert, anstatt ueber Verstaendnismo- delle. Die Betroffenen zeigen einen fieberhaften Eifer, Loesungen zu suchen, die ohne eine Verhaltensaenderung ihrerseits auskommen. Das ist ein entscheidender Punkt: Sie tun alles dafuer, dass sie ihr Verhalten beibehalten koennen. Sie suchen also eine Loesung bei der fuer sie alles so bleiben kann wie bisher. Ein Vorschlag einer Person mit Konsumschulden koennte also sein, zukuenftig mehr Preise zu vergleichen, um guenstiger einzukaufen. Was auf den ersten Blick wie ein hilfreicher Vorschlag erscheint, ist mehr Gewissensberuhigung und Aufrechterhaltung des Systems, als Loesung. Es ist eine Ablenkung vom Kernpunkt, naemlich vom Ver- staendnismodell und Blickwinkel. Ein gutes Vorgehen waere dagegen, die Perspektive zu wechseln: Statt des egozentrierten Konsumblicks den eines unbeteiligten Buchhalters einzunehmen. Also erstmal damit zu beginnen, alle Zu- und Abfluesse zu erfassen. Das ist eine Verschriftlichung des Verstaendnismodells, die den Perspektivwechsel motiviert und trainiert. In diesem Prozess wird sichtbar, wie das System funk- tioniert. Man gewinnt ein Gefuehl fuer das Verstaendnismodell und sieht bestaetigt, dass (oder ob) es passend ist. Dann kann man sich ueberlegen, wie man die Zu- und Abfluesse veraendert. Entscheidend ist es dabei, sich nicht von Hoffnungen und Wahrscheinlichkeiten koedern zu lassen. Die Strategie muss auch ohne Hoffnungen und Wahrscheinlichkeiten -- also ohne Glueck -- funktionieren. Wenn Glueck dennoch eintritt, dann hat man es leichter; das ist toll, ein Bonus; er darf aber nicht Teil der Loesungsstrategie sein, da man nicht wissen kann, ob sich die Hoffnungen realisieren und man Glueck hat. Die Betroffenen bringen in ihrem Wunsch, ihr Verhalten beizubehalten, oft die ab- surdesten Hoffnungen auf. Das alles kommt mir sehr simpel vor. Die einzige Herausforderung ist es, sich nicht vom psychischen Faktor -- dem Wunsch, das schaedliche Verhalten beizubehalten -- einlullen zu lassen. Die Verdraengungsmotivation ist sehr stark und versucht alle Tricks. Diese gilt es zu entlarven und auszuhebeln. * * * Die Situation bezueglich des Fortbestehens der Menschheit in gewohnter Form und Weise ist aehnlich simpel. Die Analogie zum Konsumschuldner finde ich treffend: Wir haben ein dreiviertel Jahrhundert lang Konsumschulden angesammelt. Leider hat uns niemand diese Kredite verwehrt. Nur wenige haben in dieser langen Zeit erkannt, dass wir uns massiv und systematisch verschulden. Nun haben wir ein doppeltes Problem -- genau wie der Kon- sumschuldner --: Wir muessen unser Konsumniveau reduzieren, auf ein Mass, das den uns zur Verfuegung stehenden Ressourcen entspricht. Das ist logischerweise niedriger, als wir in den ver- gangenen Jahrzehnten gelebt haben (denn andernfalls haetten wir uns ja nicht verschuldet). Fortan koennen wir also nicht mehr, sondern muessen weniger konsumieren. -- Absolut simpel. -- Damit ist es aber noch nicht getan. Wir muessen unser Konsumniveau nicht nur auf den nachhaltigen Wert verringern, sondern wir muessen noch darunter gehen, um unsere Schulden *und* deren Zin- sen und Zinseszinsen zurueckzuzahlen! -- Finanziell gesehen ist das weiterhin simpel ... aber wir merken schon, wie sich unsere Psyche gegen die Erkenntnis wehrt, um sich nicht mit den daraus resultierenden, unweigerlichen Konsequenzen befassen zu muessen. Leider sind wir inzwischen an einem Punkt, wo wir uns so sehr an das Konsumniveau und an das Konsumwachstum gewoehnt haben, dass es noch nicht mal moeglich erscheint, das derzeitige Niveau auch nur zu halten, geschweige denn zu verringern, was die notwendige Massnahme ist. So gesehen passt die Analogie des Konsumschuldners doch nicht so gut. Treffender ist die Analogie des Gewohnheitsalkoholikers, der seit Jahrzehnten in schaedlichem und weiter zunehmendem Masse trinkt. Die schiere Masse der angesammelten, notwendigen Massnah- men, um sein Leben zu retten, erschlaegt einen fast, darum geht er sie erst gar nicht mehr an, sondern betaeubt sich mit weiterem Alkohol, zerstoert sich immer mehr ... dahinsiechend ... bis er sich totgesoffen hat. Dabei haette er ein so schoenes Leben haben koennen ... Er haette es nur wollen muessen. * * * Noch koennen wir den Weg in die Zukunft gestalten ... wir muessen nur anfangen, besser spaet als noch spaeter ... einsehen was Sache ist, wo wir stehen und wie das System funktioniert. Wir muessen erkennen, dass Reduktion, Verzicht und Rueckschritt der *einzige* Weg zur Loesung ist ... und dass ein absurdes Warten auf eine hoechst unwahrscheinliche magische Loesung, mit der uns unser suchtkrankes Hirn einlullt, der Weg ins Verderben ist. Wir muessen erkennen, dass wir in den letzten Jahrzehnten auf dem Holzweg waren und nun teilweise das Gegenteil vom Bisherigen machen muessen. Wir muessen unsere moralischen und sozialen Bewertungen neu kalibrieren. Wir muessen einsehen, dass die Zu- kunft nicht mehr ``mehr'' verspricht, sondern, dass ``weniger'' das Konzept dieses Jahrhunderts sein muss. Ich persoenlich verstehe nicht so recht, wo dabei eigentlich das Problem liegt, weswegen sich die meisten mit Haenden und Fuessen dagegen straeuben. Aber das abwehrende Verhalten einer sucht- kranken Person ist halt nicht logisch. Es ist krankhaft. Nun, die Begrenztheit der Erde wird uns Menschen schon den Entzug aufnoe- tigen ... und der wird wirken! http://marmaro.de/apov/ markus schnalke