2022-08-29 gesellschaftsanalyse Konsumkritik individualistisch & antisozial In letzter Zeit habe ich mich immer wieder mal mit Frugalismus und Minimalismus beschaeftigt. D.h. ich habe mir angeschaut, was die Leute dieser Bewegungen dazu sagen, wie sie ihre Leben ges- talten, worauf sie Wert legen und welche Blickwinkel sie einneh- men. Die Finanzcommunity und das Thema finanzielle Freiheit ist eng damit verknuepft. Dort herrschen aehnliche Ansichten vor. Viele Gedanken und Prioritaeten dieser Communities kann ich nach- vollziehen; es gibt einige Ueberschneidungen mit meiner Le- bensgestaltung. Es gibt aber auch Unterschiede. Was ich zwar verstehen kann, aber kritisch sehe, ist die starke Optimierung, die oft betrieben wird. In vielen Faellen ist es eine Ein-Faktor-Optimierung. Letztlich ist sie in ihrer Art ein ebensolches Hamsterrad wie dasjenige der Erwerbsarbeit, das die gleichen Personen verlassen wollen. Ich kann den Gamification-Aspekt daran verstehen, sehe ihn aber nur bedingt positiv. Er ist auch eine Form von Unterhaltung und Beschaeftigung. Im Extrem gleicht er Idle-Games wie Flappy Bird und Clicker Heroes. -- Er hat keinen Wert an sich. Interessant finde ich, dass viele der Frugalismus-Youtuber zwar Konsumkritik predigen, ihr Verhalten aber weiterhin der gleichen Konsumdenkweise unterliegt. Dass sie Werbung in ihre Videos ein- binden und Affiliate-Links nutzen, zeigt, dass sie sich nicht von der Konsumwelt loesen. Sie agieren weiterhin in ihr. Sie be- treiben letztlich nur Greenwashing fuer die Konsumindustrie: Wir sollen weiterhin konsumieren und im Konsumdenken verbleiben ... ungeachtet der oberflaechlichen Worte dieser Youtuber: diese wol- len damit nur Geld verdienen. Das ist keine Gesellschaftskritik von ihnen und das ist auch kein anders ausgerichtetes Leben, sondern das ist ein Businessmodell: Sie machen einen Job, um damit Geld zu verdienen. Dafuer brauchen sie Clicks und Subscriptions, fuer welche sie uns eine positive Experience bieten. Die Inhalte sind letztenendes egal. Ich frage mich, ob sie selbst das realisieren. Ich frage mich, ob sie realisieren, dass sie ein Instrument der Konsumwelt sind ... nur scheinbar frei. Bemerkenswert und erschreckend finde ich, wie egozentriert und individualistisch die vorherrschenden Denkweisen sind. Oekolo- gische Aspekte tauchen noch auf, aber soziale Beitraege zur Gemeinschaft nur selten. Im Finanzbereich liegt der Fokus fast immer nur auf der eigenen Person. Generationenuebergreifende oder nachbarschaftliche Verantwortung taucht so gut wie nie auf. Ein Erbe bleibt eine abstrakte Summe, die einem zufaellt ... wie in Geschichten: von einer unbekannten, kinderlosen, alleinstehenden Tante. Vorgesorgt wird auch nur fuer das eigene Alter. Die Pflege der eigenen Eltern ist kein Thema. Man scheint auch keine Verantwor- tung oder Dank zu verspueren. Wenn man selber viel Geld verdient, so ist das zum Grossteil den Voraussetzungen, der Foerderung, der Praegung und Bildung zu verdanken, die einem die Eltern geschenkt und ermoeglicht haben. Den eigenen Anteil daran ueberschaetzt man fast immer. Auch vergisst man gerne, dass der Wohlstand auf Basis eines funk- tionierenden und guten Sozialsystems, politischer Stabilitaet, Rechtssicherheit, guter Bildung, vielfaeltiger Kultur, etc. entstanden ist. Ich finde es egoistisch und antisozial, das als gegeben zu nehmen, ohne einen Anteil zu leisten, um es weiterhin am Leben zu erhalten. Der GEZ-Beitrag ist nichts Schlechtes, den man loswerden wollen sollte. Ich finde diese Ansicht schlimm aus Sicht einer freiheitlichen Gesellschaft und es ist geradezu absurd, wenn Kon- sumkritiker ueber die GEZ-Gebuehr jammern, aber Netflix, Amazon Prime und Spotify abonnieren. Das ist keine Konsumkritik, sondern vollauf gelebte Konsumgesellschaft ... ach nein, das ist Kon- sumindividualismus und keine Gesellschaft. Uns ist das Gemeinschaftliche verloren gegangen! Community heisst heute: Wer klickt meine Videos an? Wieviele Fol- lower habe ich? Wer kennt, liked und verlinkt mich? Was bringt das an Geld? Gesellschaftliche Verantwortung und Beitraege fuer ein groesseres Ganzes sind aus dem Denken verschwunden. Gesellschaftliche Er- rungenschaften sind unsichtbar geworden. Wahrscheinlich laesst sich innerhalb dieser Gesellschaft keine Konsumkritik leben, denn diese Gesellschaft basiert leider massiv auf dem Konsum ... So sehr, dass selbst (scheinbar) kritische Personen und deren Fans die Widersprueche nicht erkennen koennen oder wollen. Konsum ist nicht nur antioekologisch, sondern auch antisozial. Konsum ist individualistisch und egoistisch. Durch Konsum werden Menschen zu Wirtschaftsobjekten. Das Menschliche im Zusammenleben als Gemeinschaft geht verloren. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke