2022-08-18 the real world Finanzkram Der Finanzfluss Meine Finanzen waren fuer mich nie ein grosses Thema. Das lag daran, dass immer mehr reingekommen als rausgegangen ist, es also keinen grossen Notwendigkeit gab, mich damit zu beschaeftigen, und eigenes Interesse daran hatte ich kaum. In erster Linie brauche ich einfach wenig Geld. Mein Finanzverhalten war eine Mischung aus Bauchgefuehl, sachlicher Logik und Ignoranz. Manches habe ich intuitiv gut gemacht, manches habe ich bewusst gut gemacht und manches hat mich nie interessiert. Zum Intuitiven gehoert mein Gebrauch von Bargeld statt Kartenzahlungen, wodurch ich das Geld sehe und mehr Gefuehl dafuer habe. Zur sachlichen Logik gehoert, dass ich monatliche Einnahmen auf monatliche Aus- gaben abbilde, um vergleichbare Geldstroeme zu haben. Zur Ig- noranz gehoert, dass ich Ueberschuesse einfach aufs Sparbuch gelegt habe, wodurch sie aus meinem Sinn waren. In letzter Zeit habe ich mich zum ersten Mal wirklich mit meiner Finanzplanung befasst ... zum ersten Mal auf einem bewussteren Niveau. Der Ausloeser dafuer war ein Bedarf an Planungen und Entscheidungen. Die Motivation fuer das Thema ist dann aber durch den Youtube-Kanal Finanzfluss [0] aufgekommen. Der Stil der Videos hat mich angesprochen. Der Kanal sollte nicht als Antwort- geber verstanden werden, sondern als Verstaendlichmacher und als Inspiration. Das Selberdenken laesst sich nicht ersetzen! Das Sinnbild des Finanzflusses finde ich sehr treffend, wie man im folgenden Text merken wird. Durch meine Beschaeftigung mit dem Finanzthema habe ich ein ex- pliziteres Verstaendnis gewonnen, das ich zuvor nie als relevant erachtet hatte. Die Dinge explizit zu verstehen, ist besser als sie nur intuitiv und zufaellig gut zu machen, denn dann weiss man auch, ob man sie gut macht und zwar wann und wann vielleicht nicht mehr. Bewusstsein ist besser als Ignoranz. Also, wo fange ich an? Wie immer muss man zuerst mal hinschauen, um zu sehen, was ue- berhaupt passiert. Danach gilt es, die Dinge zu strukturieren. Anschliessend kann man planen und Entscheidungen treffen. Zunaechst muss man wissen, ob man insgesamt im Plus oder Minus ist, und ob mehr reinkommt oder rausgeht. Man muss also den Pegelstand und die Richtung der Veraenderung kennen. Auch wenn das in manchen Faellen offensichtlich erscheint, sollte man auch hier schon explizit sein. Prinzip 1: Kenne die Geldbewegungen Ich habe also angefangen, die Situation genauer zu erfassen. Die Motivation dazu war, dass ich wissen wollte, wieviel Geld ich eigentlich zum Leben brauche und wofuer ich es ausgebe. Also habe ich alle Geldbewegungen erfasst. Diese haben typischerweise eine von drei verschiedenen Zeitcharakteristiken: monatlich, jaehrlich oder unregelmaessig. Lohn und Miete sind monatlich. Gelder aus Vereinstaetigkeiten und Versicherungen sind oft jaehrlich. Steuerrueckzahlungen und neue Waschmaschinenkaeufe sind bei mir unregelmaessig. Prinzip 2: Symmetrische Geldfluesse (gleiche Zeitdynamik) Verstaendnis und Ueberblick entsteht aus Einfachheit und Klarheit. Symmetrische Geldfluesse sind einfacher zu verstehen als versetzte. Was meine ich damit? Bei den meisten wird der Hauptteil der Geldeingaenge monatlich als Gehalt kommen. Folglich sollte der Hauptteil der Geldabgaenge auch monatlich sein. Ausga- ben wie Urlaube und die meisten Autokosten (ausser Sprit) sind aber unregelmaessig oder jaehrlich, zudem sind sie gross. Diese sollte man daher auf monatliche Ausgaben umlegen. Im besten Fall auch monatlich auf ein separates Konto abfliessen lassen, wo sich das Geld dann ansammelt fuer die groesseren unregelmaessigen Zahlungen. Auf diese Weise werden die Finanzfluesse viel klarer. Nur wenn man die Kosten von Urlauben, Heizoel-/Holzkauf, Autoan- schaffung und aehnlichem auf die Monate umlegt, sieht man, was man (durchschnittlich) wirklich an Ausgaben hat. Natuerlich kann man manche jaehrlichen Ausgaben auch mit jaehrli- chen Einnahmen in Verbindung setzen. Fuer manche koennten das z.B. die Steuerrueckzahlung und der Urlaub sein. Wichtig ist nur, dass die Zu- und Abgaenge die gleiche Zeitdynamik haben und damit symmetrisch sind. Das macht es viel einfacher, den Gesamtfluss zu ueberblicken. Prinzip 3: Das Girokonto als Durchflusskonto (gleichbleibender Pegel) Wenn man symmetrische Finanzfluesse hat, dann sollte das Girokon- to einen gleichmaessigen Pegel haben -- es kommt ja in gleichen Intervallen ebensoviel dazu wie weg geht. Natuerlich setzt dies voraus, dass man ein eher konstantes Leben fuehrt. In dem Fall ist dann etwa ein Monatsgehalt Puffer noetig, um die Schwankungen ueber den Monat abzupuffern. Bei einem wechselhafteren Lebensstil muessen die Finanzfluesse entweder Monat fuer Monat separat oder aber generell gemittelt betrachtet werden. Ggf. braucht es dann mehr Puffer auf dem Girokonto, um die Schwankungen abzufedern. Ueber laengere Zeit sollte der Kontostand des Girokontos aber konstant bleiben. Ueberschuesse sollten in gleicher Weise ab- fliessen wie sie entstehen. Prinzip 4: Ein Puffer zum Ueberbruecken (Notgroschen) Wenn man das Girokonto als Durchflusskonto versteht, dann deckt dieses zwar alle regulaeren und erwarteten Faelle ab, versagt aber bei Unvorhergesehenem. Manchmal im Leben braucht man nun eben ausser der Reihe schnell eine groessere Menge Geld. Damit einen das nicht kalt erwischt, sollte man sich ein separates Kon- to einrichten, das die Funktion hat, solche Situationen abzufangen. Hierbei reden viele von einem Notgroschen und verwenden ein Tagesgeldkonto dafuer. (Personen mit viel Disziplin und Uebersicht koennten auch den Pegel des Girokontos entsprechend hoeher ansetzen. Sie muessen sich dann aber bewusst sein, dass das Girokonto nun zwei separate, nicht zu vermischende Funktionen hat.) Meist werden etwa drei Monatsgehaelter als Notfallpuffer bereit- gehalten. Wichtig ist nicht, wie hoch genau dieser Geldbetrag ist, sondern dass er seine Funktion erfuellen kann. Das haengt vom Gehalt ab, von der Lebensfuehrung, von moeglichen Notfaellen, von sonstigen Absicherungen durch das Umfeld, usw. Entscheidend ist jedoch, dass dieses Geld sowohl sicher als auch volatil sein muss. Ein Sparbuch mit dreimonatiger Kuendigungsfrist eignet sich also nicht, da es nicht volatil ist. Ebensowenig eignen sich Aktien, da ihr Wert nicht sicher ist. Man muss sich klar werden, dass dieses Geld ausschliesslich der Notfallabsicherung dient und damit keine Gewinne erwirtschaften muss. Wie ein Feuerloescher hat es einen eingeplanten geringen Verfall (Inflation) und muss alle paar Jahre geprueft und ggf. aufgebessert werden. Prinzip 5: Jeder Geldtopf hat eine Funktion Es ist wichtig, sein Geld in verschiedene Toepfe mit unter- schiedlicher Funktion zu untergliedern. Das Girokonto hat die Funktion, das Durchflusskonto zu sein -- wie eine beliebige Stelle am Fluss mit immer ungefaehr gleichem Wasserstand und identischem Zu- und Abfluss. Das Tagesgeldkonto hat die Funktion, aussergewoehnliche, unerwar- tete und temporaere Faelle abzupuffern -- wie ein Staubecken, das man ablassen und in den Fluss einleiten kann, wenn temporaer der Zufluss stockt oder ueberraschend viel Wasser abgesogen wird. Mit dem Staubecken kann also der Wasserstand im Fluss konstant gehal- ten werden, falls sich Zufluss oder Abfluss aussergewoehnlich, unerwartet und nur kurzzeitig aendern. Danach muss das Staubecken natuerlich sofort wieder gefuellt werden! Weiteres Geld darueber hinaus kann verschiedene Funktionen er- fuellen: Es kann Schulden abbauen, Sicherheiten ansparen oder Gewinne erwirtschaften. Selten geht mehreres davon zugleich. Man muss sich entscheiden, was die Funktion jedes Geldtopfes ist. Prinzip 6: Entscheide zwischen Volatilitaet, Sicherheit und Rendite Zwischen diesen drei Zielen muss man stets waehlen wenn es um Geldanlagen geht. Alles zugleich geht nicht, auch zwei davon sind oft schon schwierig zu erreichen. Es haengt von der Funktion eines Geldtopfes ab, welche Eigenschaften er haben muss, und dem- nach, welche Art von Konto oder Anlageart passend ist. Die eier- legende Wollmilchsau gibt es nicht, darum muss man die Finanzen strukturieren, also separate Geldtoepfe mit unterschiedlichen Funktionen einrichten. Prinzip 7: Zuerst die Grundlagen legen Das Girokonto mit gleichbleibendem Pegel und der Puffer fuer Unerwartetes sind Grundlagen, die vor allem anderen stehen sollten. Erst wenn diese eingerichtet sind, kann man weiter- schauen. Denn in Chaos und Sorge entsteht selten Gutes. Also, auch wenn Schulden zurueckgezahlt werden muessen, ist es noetig, zu leben und auch dann kann die Waschmaschine kaputt gehen. Der laengerfristige Finanzplan zur Tilgung der Schulden darf das Leben im Jetzt nicht verhindern. Ein sinnvoll gefuehrtes Girokonto und ein Notfallpuffer sind noetig, um das Alltagsleben ordentlich bestreiten zu koennen. In der groesseren Perspektive braucht es aber natuerlich, unabhaengig davon, auch einen Plan, um die laengerfristigen Ziele zu erreichen. Prinzip 8: Einen Finanzplan haben Nun geht es darum, einen Plan zu entwickeln, was man mit dem hof- fentlich ueber die direkten Lebenskosten hinaus vorhanden Geld tun moechte. Von erster Prioritaet sollte es sein, etwaige Schul- den zu tilgen. Nur wenn man schuldenfrei ist, macht es nor- malerweise Sinn, sich mit Geldanlagen und Investitionen zu be- fassen. Dabei ist dann die wichtigste Frage, was man eigentlich will im Leben und wozu das Geld da sein soll. Will man eine finanzielle Sicherheit im Ruecken haben? Will man demnaechst oder in ferner Zukunft Wohneigentum erwerben? Will man sich selbststaendig machen? Will man fuer das Alter vorsorgen? Will man in Fruehrente gehen? Will man bloss nicht ans Geld denken muessen? Usw. Je nachdem was die Antworten sind, sollte man entsprechend Teile des Geldes in passender Weise einsetzen. Prinzip 9: Die Anlageform muss dem Zweck entsprechen Eigentlich ist das offensichtlich, wird aber dennoch oft nicht klar genug gesehen. So macht beispielsweise eine Investition in ETFs nur dann Sinn wenn ich das Geld langfristig anlegen will. Insofern ich mit dem Geld aber in wenigen Jahren eine Immobilie kaufen will, waeren ETFs eine eher unpassende Form, um das Geld bis dahin zu parken. Will ich eine Altersabsicherung, so sollte ich nicht an der Boerse mit Einzelaktien zocken. Altersvorsorge braucht eine sicherere Anlageform; Zocken dagegen ist ein Konsum- vergnuegen: wenn man mit Gewinn verkauft, toll!, aber das darf nicht mit einer verlaesslichen Geldanlage verwechselt werden. Ebenso darf das Sparbuch in Niedrigzinsphasen nicht als Moegli- chkeit zum langfristigen Vermoegenserhalt (oder gar -aufbau) angesehen werden. Es bietet zwar Sicherheit (bis 100.000,-), un- terliegt in Zeiten negativer Realzinsen (d.h. die Inflation ist groesser als der Guthabenzins) einem kontinuierlichen Wertver- fall. Prinzip 10: Geld als Tauschobjekt; Sachwerte als Aufbewahrungsobjekte Geld ist ein generisches Werttauschobjekt. Dafuer ist es entwor- fen und das kann es besonders gut. Als Aufbewahrungs- und Wertsi- cherungsobjekt eignet es sich nur bedingt. Sachwerte eignen sich dafuer angesichts der Inflation besser, da manche von ihnen einen langfristig konstanteren oder steigenden Wert haben. Zur lang- fristigen Geldanlage eignen sich Grundstuecke, Immobilien, Rohstoffe (Gold) oder Anteile an wachsenden Unternehmungen. Ak- tien von Apple oder Amazon werden auch wieder einen Verfall ha- ben, die Wirtschaft insgesamt wird aber vermutlich noch laenger wachsen (wenngleich auch dies eines Tages ein Ende haben wird ... wie ich doch sehr hoffe! ... besser frueher als spaeter!). In jedem Fall muss eine Investition einem Plan folgen (zumeist Investitionsstrategie genannt). Hat man also Geld, das man ueber lange Zeit erhalten oder steigern moechte, so sollte man es investieren. Man muss damit also wirtschaften. Das Geld muss leben und wirken. Laesst man es nur rumliegen, so verfaellt es wahrscheinlich. * * * Dies war eine Betrachtungsweise von Finanzen -- als Finanzfluss -- und eine Art sie zu strukturieren, um Klarheit und Ueberblick zu gewinnen. Nicht befasst habe ich mich mit der Frage, wie man seine Ausgaben reduzieren kann, falls man das will. Die Frage nach oekologisch und ethisch vertretbaren Investitionen habe ich auch aussen vor gelassen. Ebenso verzichtet habe ich darauf, fuer's Sparen, In- vestieren und den Zinseszinseffekt zu werben. Auch auf die offen- sichtlich wichtige Frage der privaten Altersvorsorge bin ich nicht naeher eingegangen. Das alles sind eigene Themen. Von konkreten Finanzempfehlungen, abseits von Durchflusskonto und Notfallpuffer, habe ich mich fern gehalten, da sie stark von der jeweiligen Situation und von persoenlichen Faktoren abhaengen. Ich wollte vielmehr ein Handwerkszeug an Betrachtungsweisen vorstellen, das helfen kann, Verstaendnis zu gewinnen und seine Finanzen in eine sinnvolle Grundstruktur zu bringen. [0] https://www.youtube.com/c/Finanzfluss http://marmaro.de/apov/ markus schnalke