2021-12-25 the real world Verschwoerungstheorien Eine Betrachtung In den letzten Tagen bin ich auf die Flache-Erde-Bewegung gestos- sen. Vor allem ueber Reaktionen darauf habe ich mich (eher in- direkt) damit beschaeftigt ... und eben auch mit den Reaktionen selbst. Hier ein paar Beobachtungen und Gedanken. Eine physikalisch basierte Idee wie die flache Erde bietet eine denkbar schlechte Ausgangslage fuer diejenigen, die die Realitaet gerne anders haetten als sie ist, denn hier kann man einfach messen und beobachten. Dadurch muessen die Anhaenger, um ihren Glauben fortfuehren zu koennen, zwangslaeufig ignorant gegenueber Experimenten werden und auf Manipulationsunterstellungen ausweichen. Ihnen bleibt gar nichts anderes uebrig, als sich auf Glauben, Bauchgefuehl, optische Effekte und dergleichen zurueckzuziehen und alles andere der Manipulation zu bezichtigen oder irgendwie abzulenken, da die Messergebnisse erdrueckend sind. Interessant sind die Widersprueche in den Aussagen und Haltungen der Verschwoerungstheoretiker. Sie springen willkuerlich zwischen verschiedenen Meinungen: Mal ``beweisen'' sie etwas mittels der Mathematik, dann aber verteufeln sie die Mathematik wieder und trauen stattdessen ihrem Bauchgefuehl. Sie sagen gerne, dass etwas logisch bzw. unlogisch sei, ignorieren die Logik aber gleichzeitig. Sie fordern dazu auf, selber nachzupruefen, straeuben sich aber gegen Experimente. Noch schlimmer ist der Widerspruch in ihrem Verhalten: Sie prangern globale Ver- schwoerungen an, denen man nichts glauben solle, verbreiten aber selbst genau solche Verschwoerungen, denen man glauben muss und sie dies auch voraussetzen. Sie fordern Selberdenken, verhindern dies aber in jeder Weise. Interessanterweise trifft alles was sie dem Gegenlager vorwerfen auf sie selbst viel mehr zu als auf die anderen. (Das scheint ueberhaupt ein beliebter Ansatz von Manipu- lierern zu sein: Nicht abstreiten sondern die Vorwuerfe vorweg nehmen und sie den anderen vorwerfen ... also wie ein Spiegel alle Angriffe einfach umkehren. Irrsinnigerweise scheint das erstaunlich gut zu funktionieren, egal wie absurd es ist.) Sich mit einer Verschwoerungstheorie um einen physikalischen Sachverhalt zu beschaeftigen ist recht muessig, da die Masse von Beobachtungen, Messungen, Berechnungen und Logik vollkommen er- drueckend ist. Das Verhalten der Verschwoerungstheoretiker kann nur ein sich Winden sein, das immer absurder wird, weil ihre Theorie immer mehr broeckeln muss. Physikalische Sachverhalte in Frage zu stellen ist also ein un- dankbares Betaetigungsfeld fuer einen Verschwoerungstheoretiker, da er sich dabei auf die Welt seiner Gegner einlassen, ihre Kon- sequenzen aber gleichzeitig leugnen muss. Er kann darum gar kein stimmiges Bild abgeben. Er kann auch nicht zulassen, beide Modelle gleichberechtigt zu betrachten. Einfacher haben es Verschwoerungstheoretiker, die sich ein Thema aussuchen, das man ihrer Aussage nach schlichtweg gar nicht messen kann. Damit halten sie sich die ganze Physik und Mathema- tik vom Hals. Desweiteren ist es sehr bequem den Unglaeubigen ue- berhaupt die Wahrnehmung des Phaenomens abzusprechen, da ihnen dadurch die Moeglichkeit genommen ist, dieses zu untersuchen. Auf diese Weise schafft man sich eine vollstaendig unangreifbare Welt und alle Deutungshoheit darueber. (Ich fuerchte, wenn ich hier nun schreibe, dass der Glaube an Gott genau so ein Fall ist, dann gehen dadurch bei vielen die Schotten zu. Damit zerstoere ich wohl die innere Offenheit fuer meine Betrachtungen und Gedanken. Ein Selbstschutzmechanismus verhindert, dass man sich auf das eigene Weltbild in Frage stel- lende Betrachtungen einlaesst, obgleich die Parallelen zu anderen Verschwoerungstheorien, die von den gleichen Menschen klar abgelehnt werden, gross sind.) Ein zentraler Punkt der meisten Verschwoerungstheorien ist, dass sich die Personen irgendwas nicht vorstellen koennen. Die Entfer- nung zwischen Erde und Sonne erscheint unmoeglich gross, so dass man sie nicht glauben kann. Den Messungen und Beobachtungen trauen sie weniger als ihrer Intuition und ihrem Bauchgefuehl, obgleich vielfach gezeigt worden ist, dass Menschen in vielen Dingen eine falsche Intuition haben und vieles nicht adequat ein- schaetzen koennen. Ein Grund dafuer ist, dass ihnen z.B. ein Gefuehl fuer Groessenordnungen fehlt. Da wird dann davon geredet, dass die Erde der Sonne mal naeher und mal ferner sei -- naemlich um rund 5.000.000 km schwankend, was eine unfassbar grosse Zahl ist, wenn man bedenkt, dass von diesen Personen der Abstand der Sonne ueber der Erdscheibe auf nur laeppische 6.000 bis 10.000 km geschaetzt wird -- und dass dies zu den Jahreszeiten fuehren wuerde. Natuerlich ist die Abstandsdifferenz von 5 Mio km ein fuer unsere Gewoehnung grosser Wert, da nichts auf der Erde diese Groessenregionen erreicht. Dennoch sind die 5 Mio km bezogen auf die Erdbahn relativ klein. Diese Schwankung macht naemlich nur rund 1.67% des Radius der Erdbahn aus! Obgleich der absolute Wert so viele Kilometer sind (und damit fuer uns Erdenmenschen ver- gleichsweise unfassbar riesig erscheint) ist die Abweichung rela- tiv gesehen nur sehr klein und damit in keiner Weise in der Lage die Jahreszeiten zu verursachen. Diese differenzierte Einordnung koennen viele Menschen nur schlecht. (Sie erfordert ein Loesen vom eigenen Betrachtungswink- el der Welt und die Einnahme alternativer und ggf. auch abstrakter Betrachtungswinkel.) Der gleiche Fall betrifft auch die unfassbar grossen Zeitraeume der Evolution. Die Effekte wer- den geleugnet weil man sich die zeitliche Perspektive nicht vorstellen kann. Das Bauchgefuehl uebertrumpft die Indizien. Ich denke, dass dieses Phaenomen auch jedem goettlichen Schoepfungs- glauben zugrunde liegt. Und falls auf die vorgebliche Perfektion der Schoepfung eingegangen wird, so ist dies eine absurde, aus dem Nichts geholte Behauptung, da es ueberall von Unperfektion nur so wimmelt! Kein Mensch wuerde eine so schlechte Welt und so fehlerhafte Koerper schaffen, aber Gott in seiner Allmacht soll das getan haben!? An dem Punkt werden dann allerlei Ausfluechte genommen und willkuerliche Theorien erfunden, anstatt sich auf das Argument einzulassen. Das Problem ist, dass die Menschen nicht in der Lage sind, das was um sie ist wahrzunehmen. Sie sind durch ihre Gewoehnung geblendet. Sie koennen die Dinge nicht erkennen, da sie sich nichts anderes vorstellen koennen als das was sie kennen und nicht wirklich wahrnehmen. So gesehen mangelt es den Glaeubigen an Fantasie, waehrend die nuechternen Wissenschaftler sie haben. ;-) Ein bewaehrtes Mittel bei der Bewertung von Theorien ist Occam's Razor, das die einfachste Erklaerung bevorzugt. Dieses erscheint mir besonders bei Verschwoerungstheorien um Geheimlogen und glo- bale Vertuschungen sinnvoll zu sein. Diese Verschwoerungstheorien scheinen mir die schwierigsten zu sein, da es bekanntermassen Abweichungen zwischen der Aussenfassade von Unternehmen und Vereinigungen (Marketing, Public Relations, Green Washing, ...) und dem was intern laeuft (interne Dokumente, Uebernahmestra- tegien, Kriegsfuehrung, ...) gibt. Waehrend es bei physikalischen Modellen um richtig und falsch (oder genauer gesagt, um die beste derzeitige Erklaerung der Dinge) geht, geht es hier darum in wel- chem Masse etwas der Fall ist. Bis zu einem gewissen Grad sind diese Effekte belegt (Leaks, Whistleblower, ...); die Ver- schwoerungstheorien sehen darueber hinaus bloss noch deutlich mehr im Dunkeln liegen. Die Grenze dazwischen ist fliessend und die Sachverhalte sind auch kaum greifbar, eindeutig oder experi- mentell messbar. Vermutlich zeigt hier der langweilige Ansatz von Occam's Razor den besten Weg, zumal er gerade durch seine zoegernde Traegheit am meisten beguenstigt, dass man einen klaren, nuechternen Kopf bewahrt. Nun argumentieren die meisten Gegner der Verschwoerungstheorien sachlich dagegen an, indem sie Gruende liefern, warum das so nicht sein koenne. Ich denke, dass dies wenig hilfreich ist, jedenfalls nicht um die Verschwoerungstheoretiker zu ueberzeugen. (In gleicher Weise wie es vermutlich wenig hilfreich war, dass ich oben gegen eine Existenz von Gott argumentiert habe.) Es sorgt nur dafuer, dass die Anhaenger des Glaubens ihn noch staerker vertreten und tiefer in diese Denkwelt einsteigen, um sich aus ihr heraus zu verteidigen. Fuer eine Kugelerde zu ar- gumentieren macht meiner Meinung nach Sinn, um das eigene Ver- staendnis der Dinge zu verbessern, da das Erklaeren und Argumen- tieren erfordert (jedenfalls wenn man es auf eine wissenschaft- liche Weise macht), dass man sein eigenes Verstaendnis doppelt prueft und untermauert. Man wird in diesem Prozess also selber viel dazulernen. Desweiteren ist es fuer andere eine Demonstra- tion des wissenschaftlichen Vorgehens und es erklaert ihnen den Sachverhalt besser, falls sie sich bislang noch nicht so gut da- rin auskennen. Ebenso bietet diese Argumentation einen Vergleich zur ``Argumentation'' der Verschwoerungstheoretiker, so dass Aussenstehende beides erleben und die Unterschiede wahrnehmen koennen. Sie koennen sich dann nicht nur fuer die Inhalte, son- dern auch fuer einen Stil und Umgang entscheiden. Bloss, um die anderen zu ueberzeugen, dafuer sind diese Argumentationen wenig hilfreich, meine ich. Der Grund dafuer stammt aus folgender Ue- berlegung: Verschwoerungstheoretiker sind meist Menschen, die nicht besonders erfolgreich im Leben sind. (Denn waeren sie erfol- greich, dann gaebe es keine Notwendigkeit, sich mit konstruierten Weltideen zu befassen. (Nun gut, Langeweile kann auch ein Grund sein.)) Da sie in der Welt sich nicht verstanden fuehlen, sich nicht verwirklichen koennen oder unzufrieden sind, schaffen sie sich eine Umgebung in der sie Erfolg haben und etwas besonderes sind. Manche Menschen erreichen dies alternativ in ihren Hobbies, manche in Fantasiewelten wie Computerspielen, manche ueber Ver- brechen, und manche bauen sich ein Gedankenkonstrukt auf, bei dem sie eine wichtige Rolle einnehmen (z.B. zu einer sehenden Elite zu gehoeren) und Sinn verspueren (z.B. missionarisch aktiv zu sein). Sie spielen dann eine wichtigere Rolle als in der Reali- taet und sehen in ihrem Leben mehr Sinn als in der Realitaet. Ich denke, sie suchen Anerkennung, Wertschaetung und eine Aufgabe, wie jeder Mensch das tut. Indem man sie nun in Grund und Boden argumentiert, hilft man ihnen nicht diese Beduerfnisse zu befriedigen, sondern verstaerkt ihr Problem nur weiter ... man demuetigt sie regelrecht, darum werden sie sich nicht auf die Argumentation einlassen koennen. Ihre Verschwoerungstheorie ist eine Flucht aus der man sie in die ungeliebte Realitaet zurueckholen will. Ihre Motivation fuer die Verschwoerungstheorie war, sich wichtig zu fuehlen und der un- befriedigenden Situation ihrer Lebensrealitaet zu entfliehen. Wie verlockend und anziehend muss der warme Schoss der Ver- schwoerungstheorie wirken, wenn man von ihren Gegnern totargumen- tiert und angegriffen wird! Diese Menschen in den Boden zu argumentieren und ueberzeugen zu wollen befriedigt in erster Linie das eigene Macht- und Wichtig- keitsbeduerfnis, denke ich. Es baut die eigene Erfolgsposition im Leben aus und verschlimmert deren miserable Situation weiter. Da- bei sollte man genau das Gegenteil davon erreichen wollen. Gerade den wissenschaftlich gepraegten Personen sollten klar sein, dass man an den Gruenden und nicht an den Auswirkungen ansetzen muss. Wir brauchen also einen gesellschaftlichen Ausgleich. Wir muessen als Gesellschaft darauf achten, dass niemand ins Abseits geraet. Wir muessen frustrierende Lebenssituationen verhindern und jedem Menschen Wertschaetzung, Anerkennung, Selbstverwirklichung und Sinn zukommen lassen. Dann werden die Folgen mit der Zeit von al- leine verschwinden. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke