2021-11-12 the real world Pirouetten uns selbst bewegen Meine Interessen sind vielfaeltig. Unter anderem interessiere ich mich fuer Discgolf. Wie ich schon mal geschrieben habe, habe ich durch meine Beschaeftigung mit Discgolf eine Menge ueber Faust- ball (meinen ``Hauptsport'') gelernt. Weil ich Discgolf spiele, oder genauer gesagt, weil ich mich intensiv mit Discgolf auseinandersetze, bin ich ein besserer Faustballer geworden und kann dort klarer sehen. An der Stelle endet es nicht. Ich interessiere mich naemlich auch fuer's Skateboarden. Ausser auf dem Longboard rumzucruisen prak- tiziere ich es nicht, aber ich beschaeftige mich intensiv damit. Ein herausragender Skateboarder ist Rodney Mullen. Sein Einfluss auf das Skateboarden ist aehnlich wie der von Heyerdahl oder Schliemann zur Archaeologie -- und alle drei haben eines gemein- sam: sie sind Quereinsteiger. Ihr Erfolg liegt darin begruendet, dass sie andere Blickwinkel von aussen reinbringen und damit Mehrwerte schaffen, weil sie erkennen oder greifen koennen was den Berufsblinden verwehrt bleibt. Einem solchen Effekt verdanke ich meine Fortschritte im Faust- ball, die aus der Discgolfwelt inspiriert wurden. Nun hat aber auch das Skateboarden Einfluesse, und zwar auf das Discgolfen ... und wenn man genau hinschaut, dann stammen diese Skateboardein- fluesse urspruenglich aus dem Turnen/Tanzen/Eiskunstlauf oder waeren aus dortiger Sicht noch einfacher greifbar und klarer gewesen: Es geht um Pirouetten (oder ``360s'', wie amerikanische Freestyle-Skateboarder dazu sagen). Hier ein Auszug aus Rodney Mullens Autobiographie: 360s taught me more about the essence of balancing on a skateboard than any other move. You need to be centered to stay balanced and to keep spinning. Being centered helps with every aspect of the trick. I remember not beeing able to do more than five and a half 360s after months of trying. Every day I would struggle to in- crease my record by a single spin. Then one day I near- ly doubled my record. Immediately, I feared that I'd lose my spinning ability, but within a week, I was at twenty. That was my first breakthrough in learning a trick. I had wasted months until I finally stumbled across the ``secret'' to 360s, of simply finding my center. I was angry at myself for wasting so much time. From that point onward I focused on the mechanics of each trick: every motion would be taken apart and cycled over and over in my head, whether I was on my board or lying in bed, from foot placement and weight distribution to where I held my shoulders and eyes. [0] Schaut man sich Rodney Mullen auf dem Skateboard an, so unter- scheidet er sich von jedem anderen Skateboarder. Der Grund ist, dass er eigentlich ein Freestyleskater ist. Freestyleskaten kann ganz gut mit Eiskunstlaufen verglichen werden -- Balance und Momentum sind von zentraler Bedeutung. Die meisten Streetskater knallen ihre Tricks hin, Rodney Mullen dagegen tanzt sie! Seine Koerperdrehungen sind alle in einem Fluss: Verdrehen zum Schwung holen, loesen, Arme eng, Arme weit ... stets balanciert um die Mitte. Es ist eine Augenweide, den harmonischen Fluss seiner Bewegungen anzuschauen! Mir scheint, er hat eine ganz andere Herangehensweise und einen ganz anderen Blick auf die Sache. Diesen -- und darum geht es mir -- hat er beim Pirouettendrehen gelernt. (``I practiced some more 360s.'') Der Rueckhandwurf im Discgolf ist auch eine Drehbewegung, sie hat auch die Komponenten langsam und schnell, weit und eng und wieder weit. Vielleicht sollten wir Eiskunstlaufen oder Freestyleska- teboarden wenn wir im Discgolf weiter werfen lernen wollen. Jedenfalls sollten wir, wenn wir etwas ueber Balance und Momentum lernen wollen, uns mit dem Eiskunstlaufen befassen. Wenn wir etwas ueber andere Aspekte verstehen wollen, dann sollten wir sie uns dort anschauen wo sie von zentraler Bedeutung sind. Ich glaube, dass die Quereinfluesse und die Transfermoegli- chkeiten unterschaetzt werden. Ich denke, dass man sich vor al- lem Umgebungen und Kulturen suchen sollte, die das bieten was man sucht. Auf diese Weise lernt man es besser als wenn man versucht, nur das Thema in die eigene Umgebung zu ziehen. Wir versuchen viel zu oft, die Themen zu uns zu bewegen anstatt uns selbst zu bewegen. Es ist doch klar: Wenn wir uns entwickeln wollen, dann koennen wir nicht da bleiben wo wir sind. Wir muessen uns bewegen, zu den Themen hin, in andere Umgebungen. Das macht den unterschied. Nachtrag 2021-12-02: Nun habe ich auch noch vom Discgolf etwas in die Informatik ue- bertragen gefunden. Im Discgolf ist ein typisches Thema der Umgang mit der Auswahl. Wenn ich also viele Scheiben habe, die alle aehnliche Dinge tun koennen, dann habe ich eine schwierige Auswahl, welche davon ich werfen soll. Wenn ich genau eine habe, dann ist die Wahl schon getroffen und ich kann mich auf anderes konzentrieren. Genau diese Idee habe ich nun, bei meiner Beschaeftigung mit der Programmiersprache Go, zum ersten Mal in der Informatik wiedergefunden: Go hat ganz bewusst so wenige Features, damit gar nicht die Frage aufkommt, auf welche der ver- schiedenen Arten ich etwas umsetzen sollte -- es gibt nur eine Art, damit ist diese Frage schon beantwortet. Seit uzbl hat mich nichts in der Informatik mehr so ueberrascht und begeistert wie dieser Gedanke. [0] p. 41 f. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke