2021-08-24 the real world Neues Geduld und Offenheit Wenn man etwas Neues erfahren will, so muss man sich darauf ein- lasen koennen. Man wird keine neuen Welten entdecken, wenn man sich nur im Bekannten bewegt. Alles Neue ist aber zunaechst ungewohnt und demnach schwer verstaendlich. Es wird abschrecken oder kryptisch bleiben insofern man nicht bereit ist, sich darauf einzulassen. Sich darauf einzulassen bedeutet zunaechst, vorerst nicht zu bewerten. Bewerten wuerde man ja doch nur nach bekannten Kri- terien, ohne aber die noch unbekannte Form ueberhaupt erfasst zu haben. Folglich muss man allem Zeit geben. Neues braucht auch einen offenen, lernwilligen Geist. Beobachtung ist wichtig. Keine einordnende Beobachtung, sondern mehr ein Wahrnehmen der eigenen Empfindungen. Noetig sind ebenso Zeit und Offenheit, um sich auf diese Schwingungen und Stimmungen und den Rhythums einzulassen, denn sonst wird man nichts fuehlen koennen. Wenn Neues und Unbekanntes abstoesst, dann hat man es wahrschein- lich nicht verstanden. Das ist wohl die einfachste und tref- fendste Aussage. Vielleicht ist die schwierigste Situation diejenige, wenn man unerwartet mit Neuem konfrontiert wird, weil man dann nicht un- bedingt offen dafuer ist und sich nicht unbedingt genug Kennen- lernzeit gibt. Wie schnell lehnt man etwas ab, ohne sich ue- berhaupt in die Lage versetzt zu haben, die Sache erfassen zu koennen! In den meisten solchen Faellen ist wohl der Einstieg zu rau gewesen. Sich ploetzlich in einer unerwarteten Umgebung wieder- zufinden, fuehrt oft zu einem Abwehrverhalten ... zunaechst. Dieses muss man mit Zeit und Offenheit ueberwinden, was aber na- tuerlich schwer ist, da es das Gegenteil der ersten Reaktion ist. Wie schafft man es dennoch? Vielleicht am ehesten durch viele po- sitive Erfahrungen ... was jedoch wenig hilfreich ist, da sie lediglich eine positive Feedbackschleife darstellen, diese jedoch nicht gezielt starten koennen. Wie also gewinnt man erste posi- tive Erfahrungen? Wie findet man diese Geduld und Offenheit? Vielleicht ist doch mehr Positives als erwartet daran, wenn man keine Buecher abbricht, sondern allen schlechten Anfaengen doch eine Chance gibt. Vielleicht ist das gerade eben keine Verschwen- dung, sondern ein Gewinn! Wahrscheinlich wird er aeusserst garstig zu uns verk- noecherten alten Burschen sein, dachte Mr Bankes, der sich alle Muehe gab, Nachsicht zu ueben, denn ein eigenartiger physischer Eindruck, als straeubten sich ihm die Nerven in der Wirbelsaeule, sagte ihm, dass er eifersuechtig war, teilweise auf ihn selbst, mehr jedoch wahrscheinlich noch auf seine Arbeit, seinen Standpunkt, seine Wissenschaft; und folglich war er auch nicht ganz aufrichtig oder voellig fair, denn Mr Tansley schien sagen zu wollen, ihr habt euer Leben vergeudet. Ihr habt alle unrecht. Ihr armen verknoe- cherten alten Burschen, ihr seid hoffnungslos rueck- staendig. Er schien ziemlich vorlaut, dieser junge Mann; und seine Manieren waren schlecht. Doch Mr Bankes befahl sich, aufmerksam zu sein, er hatte Mut; er war tuechtig; er kannte sich ungeheuer gut in den Tatsachen aus. Wahrscheinlich, dachte Mr Bankes, waehrend Tansley ueber die Regierung schimpfte, ist an dem, was er sagt, einiges dran. [0] [0] Virginia Woolf: Zum Leuchtturm, S. 145/146 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke