2021-05-25 gesellschaftsanalyse Coexistenz In Gleichgewicht und Demut ``Den Virus ausrotten!'' oder: ``Die Schnecken im Garten loswer- den!'' oder: ``Schnaken und Zecken eliminieren!'' Das sind Beispiele fuer ein verbreitetes Schwarz-Weiss-Denken, das im vollstaendigen Entfernen des Unliebsamen die Loesung sieht. Der Leitgedanke dabei ist, dass man das Stoerende in so umfassender Weise bekaempfen muesse, dass es in der eigenen Le- benswelt gar nicht mehr vorkommt: Kein Corona-Toter mehr, kein an Schnecken verlorener Salatkopf mehr, kein Schnaken- oder Zeck- enstich im Sommer mehr, usw. Dabei uebersieht man: Was man in diesem Zuge tatsaechlich elim- inieren moechte ist das Leben selbst! All dies ist die Normali- taet des Lebens. Und um diese loszuwerden muss man le- bensfeindliche Raeume schaffen. Das tut der Mensch seit rund einem Jahrhundert: Er macht Lebensraeume zu Wuesten: Agrarwuesten, Betonwuesten, sterile Wuesten, ... Der darauf fol- gende Artenschwund ist die logische Konsequenz, schliesslich el- iminiert der Mensch das Leben um sich. Nur realisiert er nicht was er dabei tut. Der Mensch versteht das Leben nicht. Er nimmt fuer unweigerlich gegeben was ausgekluegelte Gleichgewichte sind. Er sieht entkoppelte Einzelfaelle wo alles ein umfassend verwobenes System ist. Er meint, er koenne mit Technik und Chem- ie leisten was noetig ist, dabei versteht er nicht wie umfassend und komplex und arbeitsreich der Beitrag der unzaehligen Le- bewesen in all den unzaehligen Zusammenhaengen und Kreislaeufen ist. Indem der Mensch das Leben zu eliminieren versucht tut er sich selbst -- im Gegensatz zu seiner naiven Annahme -- nichts Gutes. Stattdessen bedroht er damit seine eigene Existenz. All diese Viren, Schnecken, Schnaken, Zecken sind Teil des Le- bens. Sie alle haben Funktionen und Tragen einen Teil zum Grossen und Ganzen bei. Der Mensch ist davon nicht entkoppelt, sondern ein Teil davon. Er ist ebenso darin eingewoben wie alle anderen Lebewesen. Der einzige Unterschied ist, dass der Mensch inzwischen in der Lage ist das ganze System des Lebens zu zer- stoeren. Das Problem sind nicht die Schnecken, das Problem sind Schnecken- plagen. Die Weise in der der Mensch diese bekaempft ist jedoch gerade die falsche, denn genau diese Weise hat die Plage ue- berhaupt verursacht! Mit genug Fressfeinden (und in Mischkulturen) sind Schnecken kein Problem. Wenn man aber die Lebensgrundlage der Fressfeinde zer- stoert, sollte kaum verwunderlich sein, dass dann die Schnecken zur Plage werden. Nun gut, dann eliminiert man die Schnecken halt auch, mit Technik und Chemie ... und macht damit den selben Fehler erneut, weil man sich wiederum nicht fragt, was die Funk- tion der Schnecken ist und was passiert wenn diese auch nicht mehr da sind! Statt das grundlegende Problem nach und nach zu loesen schafft man sich ein immer groesser werdendes Problem, das uns schon jetzt zu ueberrollen droht. Ungeachtet dessen glaubt man noch immer, dass dies der Weg in eine leuchtende Zukunft waere. Dabei war der erste totalitaere Gedanke schon ein Fehler. Der erste Gedanke, bei dem man sich selbst aus dem Gefuege der Umwelt herausloest, fuehrt bereits in die falsche Richtung. (Das be- trifft im Uebrigen zwischenmenschliche ebenso wie oekologische Situationen.) Jedes simple Abhaengigkeits- und Auswirkungsver- staendnis, das man begriffen zu haben meint, verpasst den zen- tralen Punkt: es ist ein grosses, verwobenes System in dem allen voneinander abhaengt. Ich habe rein gar nichts mit Religion und Glauben am Hut, aber die dort vorhandene ``Ehrfurcht vor der Schoepfung'' ist etwas das die Wissenschaft bisher nicht geschafft hat. Die Ueberhebli- chkeit des Irrglaubens des Verstehenkoennens ist fehl am Platz. Eine gute Portion Demut waere noetig. Wir Menschen ueber- schaetzen uns masslos! Wie glauben, wir koennten und verstuenden -- beides ist aber nur zu einem Bruchteil der Fall. Dabei koennten wir beides besser wenn wir demuetig beobachten, lernen und verstehen wollen wuerden. Wenn wir uns selbst zuruecknehmen wuerden, dann koennten wir viel mehr von dem erreichen was unsere blindmachende Ueberheblichkeit verhindert. Das Ziel ist nie die Elimination. Das Ziel ist die Coexistenz! Schlimm sind nicht die ``Schaedlinge'' (Ohne gefraessige Raupe kein schoener Schmetterling!) oder Krankheiten, sondern wenn sie aus dem Gleichgewicht kommen. Das Problem sind dann aber immer noch nicht die ``Schaedlinge'' oder Krankheiten, sondern das fehlende Gleichgewicht. Dort muss man ansetzen! All das ist altbekanntes Wissen -- seit Jahrzehnten und Jahrhun- derten und teils seit Jahrtausenden bekannt. * * * Im naturgemaessen Garten geht es niemals darum, laes- tige ``Mitesser'' auszurotten. Schon zu Beginn dieses Buches hat der Bio-Gaertner erfahren, dass es ``Schaedlinge'' im Sinne der Natur gar nicht gibt. Jedes Lebewesen erfuellt im weitverzweigten oekolo- gischen Netz nuetzliche Funktionen, die ein Gaertner nicht ungestraft ``ausradieren'' darf. Lernen wir also wieder, mit den grossen und kleinen Geschoepfen der Erde zusammen zu leben. [0] Die aussergewoehnlich grossen Schneckenmengen, die in den letzten Jahren in zahlreichen Gaerten beobachtet wurden, zeigen deutlich, wie sehr das oekologische Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist. Der Bio- Gaertner sollte zunaechst versuchen, moeglichst viele natuerliche ``Gegenspieler'' wieder in seinem Garten ``auf die Jagd'' zu schicken, zum Beispiel Igel, Kroe- ten, Blindschleichen, Zauneidechsen, Voegel, Laufkaefer, Maulwuerfe und Spitzmaeuse. [1] Wer konsequent und unbeirrt nach biologischen Methoden arbeitet, der hat es bald nicht mehr noetig, zornig auf Entgleisungen des Gleichgewichtes zu reagieren. [2] ... die er, wohlgemerkt, letztlich selbst verschuldet hat. [0] Marie-Luise Kreuter: 1x1 des Bio-Gaertnerns (1984), S. 56 [1] S. 65 [2] S. 66 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke