2021-02-26 the real world Going Lightweight Minimalismus Ich bin nicht unbedingt ein Minimalist, sicher kein typischer Minimalist und in vielen Bereichen auch eher das Gegenteil. Teilweise bin ich eine seltsame Mischung, die ich auch selber gar nicht so genau einordnen kann. Ich bin aber schon eher ein Sammler als ein Loswerder. Jedoch nicht an jeder Stelle. Beim Discgolf bin ich ein Disc-Minimalist. Ich versuche mit moe- glichst wenigen Frisbees erfolgreich zu spielen. Typische Bags umfassen 10-25 Scheiben. Mich fasziniert viel eher die ``I carry my discs in the hand'' Gruppe von sonny. Der spielt seit Jahren erfolgreich mit nur drei Frisbees, die er in der Hand traegt. Die meisten meiner besten Runden habe ich auch mit nur drei Frisbees gespielt. Es ist erstaunlich wie gut das geht und wie erfolgreich das ist. Wenn ich Turniere spiele, dann habe ich eher 7-10 Scheiben dabei, von denen ich aber nur etwa 5 wirklich nutze. Manche der anderen sind nur fuer spezielle Situationen und andere sind nur Backups, wirklich brauchen tue ich die nicht. Dort koennte ich auch noch mutiger werden. Darum lese ich gerne sonnys Gruppe. Sie motiviert mich immer wieder dazu Schritte zu machen. Minimalismus an sich ist fuer mich wohl gar nicht so wichtig. Vielleicht geht es mehr um die Aufgeraeumtheit, um Klarheit und um Organisiertheit. Ob ich z.B. wenige oder viele Buecher besitze verkompliziert mein Leben nicht (zumindest in meinem Empfinden). Auch beim Besteck und Geschirr wird es nicht schlechter -- dort ist alles geordnet und organisiert. Die Menge und Vielfalt sind mir dort hilfreich und tun mir gut. In anderen Bereichen ist das weniger so. Beim Discgolf ist mein minimalistisches, kleines Bag eine Wohltat. Die Entscheidungsfindung ist einfach. Ich merke schon wie Roc3 und MOLF -- zwei neuere Scheiben -- die Sache schwieriger machen. Beide bieten Mehrwerte und passen auch gut, aber es ist Klarheit verloren gegangen. Lieber spiele ich nur mit 3-4 von den 10 Scheiben, die mein Bag zur Zeit insgesamt umfasst. Es ist dann auch gar nicht so wichtig, welche genau es sind, so lange von jedem Typ eine dabei ist (damit ich das ganze Spektrum abdecken kann). Heute habe ich ein In-the-Bag-Video [0] angeschaut, wo ein Spieler sich sein Bag aus den Hundert oder so Scheiben, die er besitzt, zusammenstellt. Viele tun das anhand der Idee, fuer jede Geschwindigkeitsklasse drei Stabilitaeten abgedeckt zu haben. Das fuehrt dann zu einem 15-20-Scheiben-Bag. Aus meiner Sicht ist das zu viel. Ich finde es sinnvoller, ein Set von Scheiben zusam- menzustellen, mit dem man alle noetigen Lines werfen kann, oder anders formuliert: mit dem man alle Problemstellungen, die der Kurs einem bereithaelt, loesen kann. Ich komme also vom Ende her und arbeite mich zum Anfang hin durch. Das finde ich sinnvoller. Der Typ heute hat sein Bag nach dem Prinzip gebaut, welche Scheiben er gerne hat. Es spricht schon auch etwas dafuer, die Lieblingsscheiben einzusetzen, weil man die man besten kennt, die Probleme dieses Ansatzes wurden aber schnell deutlich: Kurze In- the-Bag-Videos sind 5-8 Minuten (die mag ich am liebsten). Die meisten sind 10-12 Minuten. Lange ITBs sind 15-20 Minuten. Dieses war 38 Minuten lang! Wie viele gleichartige Scheiben er auch ausgewaehlt hat! MF Max, Tilt, FAF Firebird, OS PD2 ... nun gut, alles nette Discs, aber letztlich tun sie alle das Gleiche. Und wie oft er auch beim Auswaehlen zerrissen war zwischen all den Trusties, die er gerne hat! Ich will nicht wissen wie es ihm dann auf dem Kurs geht. 31 Frisbees hat er in seinem Bag. Das sind immerhin auch schon ueber fuenf Kilo reines Scheibengewicht, die er schleppen muss. Fuer grob gesagt 60 Wuerfe einer Runde, von denen etwa die Haelfte Putts und Putter-Approaches sind, also also mit 2-3 Puttern gemacht werden. Folglich hat er noch weitere 28 unterschiedliche (bzw. teilweise recht gleiche) Scheiben fuer ungefaehr nochmal ebenso viele weitere Wuerfe. Schwer vorstellbar, dass -- rein von der Logik -- so viele sinnvoll sein koennten. Wenn Dave Feldberg, als Weltmeister und jahrelang bester Spieler der Welt 30+ Scheiben hat, dann kann ich das nachvollziehen -- der hat bewiesen, dass er damit erfolgreich ist. Am anderen Ende haben Crazy John Brooks und Ron Russell gezeigt, dass man mit wenigen Scheiben gleichermassen auf Weltklasseniveau spielen kann. Ein mittelmaessiger Spieler wird eine Masse von Scheiben jedenfalls nicht noetig haben. In unstrukturierter Weise, wie im erwaehnten Beispiel, schaden sie nur. Fuer mich war es kaum ertraeglich, mir dieses ueberfuellte Chaos anzuschauen. Schon bei den Puttern wollte ich ihm sagen, dass halb so viele reichen wuerden. Nachdem er sich seine ``no- brainer'' Scheiben gleich schon ins Bag gesteckt hatte, wollte ich ihm sagen, dass er den ``shortlist'' Stapel gar nicht mehr anschauen, sondern gleich beiseite legen sollte, weil die ``no- brainer'' bereits alle Lines abdecken. Und jedes Mal wenn er wieder eine schwierig zu entscheidende Disc in der Hand gedreht und gewendet hat, und man gemerkt hat, wie ihn die Entscheidung quaelt, habe ich gehofft, dass er sie am Ende weglegt -- natuer- lich hat er sie sich ``sicherheitshalber'' doch ins Bag gesteckt. Mit ihm will ich echt nicht am Tee stehen. Oder vielleicht anders gesagt: Mich wuerde interessieren wie viele Discs er nach zehn Runden auf verschiedenen Kursen noch kein einziges Mal geworfen hat. (Oder ob er manchmal auch sagt: ``Ach, diese Scheibe habe ich ja schon lange nicht mehr geworfen. Was soll's, probieren wir sie hier mal wieder aus.'') So! Dies in der Weise zu beobachten und zu erleben ist eine in- teressante Erfahrung. Vermutlich geht es Boris umgekehrt genau so wenn er bei mir in der Wohnung ist. In manchen Dingen verhalte ich mich naemlich auch wie dieser Discgolfer. ;-) -- Warum? Es ist wie wenn das eine Frage von Bedeutung im Leben ist. Was mir viel bedeutet muss organisiert sein, dazu muss es klar und dazu normalerweise reduziert sein. Anderes, das mir weniger wichtig (aber dennoch nicht unwichtig) ist (und das ich gut aus- blenden kann) muellt eher zu. Hier stehen keine Antworten, da ich keine habe. Es sind nur Beobachtungen und Gedanken frei in den Raum hinein. Mal sehen was daraus wird ... [0] http://youtu.be/qtpKnKP7W44 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke