2020-04-27 gesellschaftsanalyse Beziehungsstress Abhaengigkeit Gestern gab es Beziehungsstress ... Wie unglaublich fern mir das ist! Dieses Phaenomen ist meinem Le- ben so fremd geworden, dass ich es mir kaum noch fuer mich vorstellen kann. Aber wahrscheinlich ist es normal zu vergessen. Die Quelle des Beziehungsstresses ist meist die gegenseitige Abhaengigkeit. Sie erzeugt die Konflikte, denen man sich nicht entziehen kann. Man kaempft dann um Hoheiten und Macht im Gemein- samen. Die Ausloeser sind meist wohl Unbalanciertheiten und Frust. Es ist vermutlich egal welchen Charakters man ist, in schaedli- chen Lebensbedingungen beginnt man irgendwann sich zu wehren ... sofern man nicht aufgibt, was auch nicht besser ist. Es bedarf der Freiheit und daher der Unabhaengigkeit fuer eine entspannte und ehrliche Beziehung. Beziehung sollte Geschenk sein, nicht Pflicht: immer wieder neu und freiwillig. Das Sicherheits- und Besitzbeduerfnis (verhuellt in romantische Erscheinung) ist daher ein erster Schritt in die Abhaengig- keitsprobleme und ihre Folgen. An die Beziehung geknuepfte son- stige Verbindlichkeiten wie Kinder oder Hauskredite schaffen auch Abhaengigkeiten. Nicht dass man all das nicht eingehen sollte (abgesehen von der lebenslangen Ehe), aber man sollte die passende Perspektive darauf bewahren. (Natuerlich betrifft das ebenso andere Arten von Beziehungen und Verpflichtungen, die man fuer sich alleine eingeht.) Viel zu sehr ist all das von einer gesellschaftlich gepraegten Romantik durchdrungen, die nicht in Frage gestellt wird. Sie ver- fuehrt zu etwas dessen wirkliche Struktur man erst spaeter zu verstehen beginnt ... wenn eben die Romantik abgetragen ist. ``Ich war noch niemals verheiratet, und ich weiss nicht, ob es mir gefallen wird.'' [0] Sachliche Nicht-Romantik hat entscheidende Vorteile, nur ist sie halt weniger schoen (verblendend), sondern nuechtern. ... aber vielleicht laeuft es am Ende doch nur auf die Frage hinaus, ob man mehr unter den Fehlern leidet, die man gemacht hat, oder mehr unter den Chancen, die man nicht ergriffen hat. Ich bin ersterer Typ, darum sind mir Klarheit und sachliche Analyse wichtig. Stress ist fast immer schlecht, Konflikte sind es nicht zwangslaeufig. Bei ihnen ist das Wie entscheidend. Konstruktive Konflikte bringen einen voran; sie ruetteln das Eingefahrene auf, schaffen Raum fuer eine neue Ordnung, neue Sichtweisen. Destruktive Konflikte sind Kaempfe um Hoheiten, sie basieren auf Egoismus, auf Angst, auf Konkurrenz. Sie entzweien. Jeder Sieg einer Partei ist eine Niederlage des Gemeinsamen. -- Wozu das alles? Wo ist die Wertschaetzung!? die Liebe!? Paarbeziehungen sind eine riesige Herausforderung, fuer die die Umstaende passen muessen und geeignete Faehigkeiten und Methoden erlernt werden muessen. Sie koennen eine Option sein. Tatsae- chlich treten sie aber als fast alternativloses Normal auf, fuer das keine bewusste und schon gar keine freie Entscheidung getrof- fen wird. Dass Beziehungsstress darum so verbreitet ist, ja gewissermassen normal ist -- ein etabliertes aber starkes Kontrastbild zur romantischen Vorstellung, dessen Kollision nicht thematisiert wird -- verwundert nicht. Ich finde es ernuechternd, dass so viel dem Zufall ueberlassen wird, wo man auch bewusst daran arbeiten koennte, dass das Zusam- menleben gut funktioniert und dass Katastrophen nicht entstehen. Dazu muss man die romantischen Maerchenvorstellungen ueberwinden und seinen Geist oeffnen fuer scheinbar Undenkbares, Unthema- tisierbares, Uninfragestellbares. Der Romantik anzuhaengen emp- fiehlt sich nur wenn man auf Gluecksspiel und Katastrophen steht. Pray for a different scene We can ask but won't receive But you apologize over and over You don't want to hear Cause it's all white noise swallowing me Taking your high horse and I'll be free Cause it's all white noise swallowing me Maybe we'll know why eventually [1] [0] Stephen King: Die Augen des Drachen, S. 23 [1] Ella Vos: White Noise http://marmaro.de/apov/ markus schnalke