2019-12-10 gesellschaftsanalyse Hueter des Weltwissens gemeinsam zusammengetragen Erst vor ein paar Tagen habe ich darueber nachgedacht, dass ich alles fuer mich Relevante im Web weiterhin nutzen kann ... auch mit w3m und Firefox 8 auf dem alten Crux Linux. Heute der Schock: Wikipedia hat mich ausgesperrt! Ich bekomme nur noch eine Infoseite angezeigt, die erklaert, dass keine aelteren TLS-Versionen mehr akzeptiert werden und ab nae- chstem Jahr noch nicht mal mehr ein Hinweis angezeigt werden wird. We are removing support for insecure TLS protocol ver- sions, specifically TLSv1.0 and TLSv1.1, which your browser software relies on to connect to our sites. This is usually caused by using some ancient browser or user agents like old Android smartphones. Also it could be interference from corporate or personal "Web Securi- ty" software which actually downgrades connection secu- rity. You must upgrade your browser or otherwise fix this is- sue to access our sites. This message will remain until Jan 1, 2020. After that date, your browser will not be able to establish a connection to our servers at all. (Nicht extra erwaehnt, aber ebenso Realitaet: HTTP wird auf HTTPS umgeleitet.) Fuer mich bedeutet das, dass ich nun die Wikipedia nicht mehr nutzen kann. Das Community-Projekt, das zum universellen Lexikon geworden ist, ist jetzt fuer manche nicht mehr nutzbar ... darunter auch welche, die beigetragen haben die Inhalte aufzu- bauen und zu pflegen. Ich finde es arrogant, sich so zu verhalten. Meiner Meinung nach kommt die Wikipedia dadurch ihrem Ziel nicht mehr nach. Sie beherbergt das Wissen der Menschheit, von der Menschheit fuer die Menschheit ... Jetzt nur noch fuer einen Teil der Menschheit. Klar, davor waren auch schon diejenigen ohne Computer und Inter- netzugang weitgehend aussen vor. Das geht halt schlecht anders. Aber nun sind ploetzlich all diejenigen ausgeschlossen, die nicht der Norm entsprechen. Das macht mir Angst, weil diese Tendenzen toxisch sind. Ich selber bin nur ausgeschlossen, weil ich das alte System nicht upgraden *will*. Andere sind ausgeschlossen, weil sie nicht up- graden *koennen*. Hat daran schonmal jemand gedacht? Und falls die finanziellen Moeglichkeiten da sind, dann ist diese Entscheidung womoeglich schuld daran, dass sich Menschen neue Hardware kaufen muessen, um die neue Software ausfuehren zu koen- nen, die jetzt noetig ist, um am gemeinsam zusammengetragenen Weltwissen teilhaben zu koennen. Das erzeugt einen erhoehten Res- sourcenverbrauch und traegt zu den Konflikten in den Rohstoffab- baugebieten bei. Ebenso werden auch Nutzungsszenarien aus- geschlossen die abseits des Mainstreams liegen. Es werden Huerden aufgebaut die Menschen ausschliessen, die andersartig sind. Und das eben ist arrogant. Die Wikipedia verfehlt aber auch ihr Ziel. Sicherheit ist wichtig, aber wichtiger bei so einem Projekt ist die Zugaengli- chkeit. Das wird nicht verstanden. Ich fordere als Kriterium, dass die Inhalte der Wikipedia manuell per Telnet via HTTP abgreifbar sein muessen. Es muss moeglich sein, auf einem internetfaehigen Computer mit einem generischen Netzwerk-Kommunikations-Programm die Inhalte der Wikipedia abzurufen. Die Huerde hier muss so niedrig wie moeglich sein, weil das Ziel sein muss, eine universelle Nutzung zu ermoeglichen. Andere kon- kurrierende Ziele hoeher zu stellen finde ich falsch ... insbesondere solche, die von einem ``Normal'' ausgehen und Ander- sartige ausschliessen. Ich bin schwer enttaeuscht von dieser Aktion. Ich sorge mich wegen des weichenstellenden Effekts daran. Und ich aergere mich, dass ich nun von meinen eigenen Beitraegen nicht mehr profitieren kann. Meinem Bild des Projekts hat das deutlich geschadet. ... Jetzt haette ich gerne das, wessen Fehlen Francesc schon vor zwei Jahren kritisiert hat: Alternativprojekte. Was mir an Wikipedia nicht gefällt ist, dass sie die Vielfalt kaputt gemacht hat. Sie ist gut, verdammt gut, reichhaltig und sehr gut strukturiert. Außerdem, mehrsprachig. Ich freue mich oft auf ihre Artikel und habe nichts dagegen, dass es sie gibt. Aber: ich bin gegen sie, weil sie Enzyklopädien in aller Welt, von der Britannica zum Brockhaus, zerstört und ihre Weiterentwicklung gerade in Zeiten der Digitalisierung gekappt hat. Die Landschaft aus mehreren, unabhängigen, sehr professionalisierten Verlagen ist vernichtet wor- den. [...] Das Schlimme ist die Gefräßigkeit, mit der dieses Angebot die bisher existierenden Angebote und damit die Vielfalt vernichtet hat. Unterm Strich halte ich das Phänomen Wikipedia für einen gravierenden, besorgniserregenden kulturellen Verlust. [0] (Erst heute verstehe ich seinen Text wirklich.) Die Wikipedia ist ein Monopol. Darum nur kann sie sich so eine Entscheidung erlauben und darum ist die Entscheidung auch so schlimm. Denn ich habe keine Wahl mehr. Egal wie positiv eine Institution oder ein Projekt auch besetzt sein mag, man darf die Alternativen nie dafuer opfern. Jedes Monopol bildet letztlich die gleichen zerstoererischen Tendenzen heraus. Traurig! [0] Francesc Hervada-Sala, 2017-11-16 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke