2019-07-29 the real world Designstars Potenz Mit Mitarbeitern im Team ist es wie mit den Gliedern einer mathematischen Funktion. Ihre Potenz bestimmt ihren Einfluss auf das Ergebnis. Verglichen mit einem x^3 sind 20 x letztlich bedeu- tungslos. Diese Erkenntnis hat Gewicht. Sie rechtfertigt Stargehaelter. Man muss sich an dieser Stelle aber auch Gedanken zum Geltungs- bereich der Aussage machen. Sie kann nur dort zutreffen, wo Ar- beitsinput und Arbeitsoutput eine geringe Abhaengigkeit voneinander haben. Am Fliessband, beispielsweise, trifft sie nicht zu. Es bedarf schon kreativer Prozesse. Ebensowenig trifft sie in eng beschraenkten Umgebungen zu. x^3 ist nur dann po- tenter, wenn es seine Potenz ausspielen kann. D.h. nur wenn die Moeglichkeit besteht, das Fliessband durch eine bessere Fer- tigungstechnik ersetzen zu koennen, dann ist x^3 potenter als x in diesem Szenario. Das betrifft sowohl das Duerfen als auch das Erkennen, denn Pro- jektionen von hoeherwertigen in niederwertige Welten verlieren meist ihr Potenzial. Man muss das Hoeherwertige schon auch erken- nen koennen. Manchmal ist es ein Ei des Kolumbus: Kaum hat es einer entdeckt, sehen es alle. Viel oefter entsteht aber ein Mehrwert den die Niederwertigeren weder greifen noch auf seine Ursachen zurueckfuehren koennen. Oft genug koennen sie ihn mit ihrer beschraenkten Sicht noch nicht einmal erkennen. (Und viel zu oft wollen sie ihn auch gar nicht erkennen.) Die Potenz Hoeherwertiger ist meist die Faehigkeit zum Dur- chbrechen der niederwertigen Denkwelt, also ein Out-of-the-box- Denken. Sie beruht auf dem Leben in mehr Dimensionen, dem Sehen aus mehr Perspektiven, dem Erkennen von mehr Mustern, dem Schoep- fen aus einem groesseren Repertoire. Diese Faehigkeiten lassen sich mit keiner noch so grossen Zahl niederwertiger Arbeiter er- langen. (Zumal man den Overhead einer groesseren Zahl an Ar- beitern nicht vergessen sollte!) Ich moechte ein paar Beispiele anfuehren: Zuerst das Point'n'Click-Adventure ``Monkey Island''. Hier besonders Ron Gilberts Regeln fuer Adventurespiele [0] die er 1989 veroeffentlicht hat. Sie zeigen eine Durchdringung des The- mas auf einer hoeheren Ebene. Der Erfolg von Monkey Island ist kein Zufall, sondern die verdiente Folge von guten Desig- nentscheidungen eines hervorragenden Designers! Es haengt nie nur an einer Person, aber ohne Gilbert waere Monkey Island dennoch kein solcher Erfolg geworden. Haengt es also doch an einzelnen Personen? Hinweisen will ich auf die Wortgefechte -- ein klarer Fall von Out-of-the-box-Denken -- so simpel, so effektiv und am Ende sogar wertvoller, da sie atmosphaerische Moeglichkeiten bieten, die an- dernfalls nicht vorhanden gewesen waeren. Hier wurde durch eine einzige geniale Idee eine Schwaeche in eine Staerke und charak- teristische Eigenschaft des Spiels umgewandelt. Ich koennte noch Weiteres anfuehren, das gutes Design in Monkey Island darstellt (nicht zuletzt die Entwicklung von SCUMM). Wichtiger erscheint mir aber, auf eine kleine Nebengeschichte hinzuweisen: In ``Maniac Mansion'' (einem Vorgaenger von Monkey Island) wollte Gilbert den Dialogspruch ``You're a shithead!'' verwenden. Das Management war dagegen. Hier zeigt nun das Management seine Potenz, denn es stellte die richtige Frage: Was traegt das Wort ``shit'' zur Story bei, zur Stimmung, zu den Charakteren? Als Gilbert nichts finden konnte, aenderte er den Satz in ``You're a tunahead!'' und schuf damit Kult. [1] Bei ``Diablo'' finden sich helligkeitsabgestufte Farbpaletten, die jede beliebige Textur dynamisch dunkler werden lassen koen- nen, wenn sie sich von Lichtquellen entfernt (in Zeiten wo das die Grafikengine noch nicht automatisch geboten hat). Dieser Fak- tor traegt zentral zur Atmosphaere des Spiels bei. Oder nehmen wir Deccard Cain, der alleine ein Gefuehl von Zuhause erzeugt -- sowohl beim Spielen als auch beim Zurueckkommen ins Spiel. Die Personen, die das designt haben, haben wichtige Erfolgsfaktoren geliefert. Sie sind es, warum Diablo funktioniert. [2] Besonders signifikant im Computerspielebereich sind die heraus- ragenden Potenzen bei id Software. Es gibt wenig was so eingeschlagen hat wie ``Doom''. Das liegt daran, dass die Jungs bei id Software nicht nur die ersten waren, sondern auch gleich noch so gut wie alles richtig gemacht haben -- Bei id Software kein Einzelfall, sondern die Regel: Siehe Quake-Engine. Ebenso die Perfektionierung des Informationsfeedbacks bei ``Quake III Arena''. Und auch ``Doom (2016)'': Es ist kein Spiel, das ich spielen wollen wuerde, aber die darin enthaltene Designpotenz muss ich schlichtweg bewundern. Um ein paar Aspekte zu nennen: Die Frage, was Doom eigentlich ausmacht. Die Desig- nentscheidungen, die das Spiel schnell und offensiv machen, indem sie dieses Verhalten belohnen. Levels, die dem Spieler helfen, sich zurechtzufinden, ohne dass er dies merkt. Bewusstes Musik- design. Gegner, die mit Schachfiguren verglichen werden. Ein musterbeispielhaftes Startlevel, mit implizitem Storytelling, Stimmungssetzung, usw. -- nichts davon zufaellig, sondern die Folge von Designpotenz auf hoechstem Level. Hugo Martin hoert sich diesbezueglich nicht anders an, wenn er ueber das Design des neuen Dooms redet, wie wenn John Romero ueber das Design des ori- ginalen Dooms erzaehlt. Beide sind hochpotente Designstars, die wissen wie man es richtig macht. [3] [4] [5] [6] [7] Diese Potenz kann man nur auf einem Weg erlangen: Indem man die besten Leute hat. Alfred Nobel wusste das damals schon: man braucht nicht viele, nicht die billigsten und auch nicht die Preis-Leistungs-Sieger, sondern die Besten. Diejenigen, die wirklich gut sind, sind ihren Preis auch wert. Hochpotente Designstars sind nicht nur der beste (und vielleicht einzig planbare) Weg zu Innovation, sie haben auch einen verhaeltnismaessig kleinen Overhead, weil sie mit weniger Per- sonen die gleiche Leistung bringen. Aber nein, sie bringen gar nicht die gleiche Leistung. Ihre Leistung ist genausowenig ver- gleichbar wie die Verlaeufe von x und x^3, egal was fuer Faktoren man davor schreibt! Es ist egal wieviele xe man hat, ohne ein x^3 wird man nicht abheben. Aber klar, wenn man am Boden bleiben will, dann braucht man kein x^3 ... dann kann man es auch einfach als normales x ansehen und so behandeln. Am Fliessband schaffen x und x^3 gleich viel, weil beide in einen Rahmen (Box) eingesperrt sind, den sie nicht dur- chbrechen duerfen. Wenn das x^3 in der Situation -- und sei es nur weil ihm die stupide Arbeit leid ist -- vorschlaegt, dass man das Fliessband durch einen Fertigungsroboter ersetzt, fuer den man ein weiteres x^3 einstellen muesste, zwei x weiter beschaef- tigen kann und die uebrigen 18 x nicht mehr braucht, dann ist das schoepferische Zerstoerung ... ein Fortschritt, der von vielen unerwuenscht ist. Auch die x^3 sind eigentlich unerwuenscht. Man haette gerne x^1,5 aber nicht mehr, und man haette gerne Fliessbaender, die schnell- er laufen, sonst soll sich aber nichts aendern. Man haette also gerne Stricker, die schneller stricken, aber bloss keine Strick- maschinen. [8] Das x^3 will nicht nur, sondern es muss auch, ein x^3 sein. Dazu braucht es eine Umgebung, die abheben will, und bereit ist, die dafuer noetigen Schritte zu gehen. [0] https://grumpygamer.com/why_adventure_games_suck [1] http://youtu.be/Q6IYgWh-qnY?t=2454 [2] http://youtu.be/VscdPA6sUkc (Farbpaletten bei 15:39) [3] http://youtu.be/PS6SBnccxMA [4] http://youtu.be/vsoVQWnSOfM [5] http://youtu.be/r0nOsuaPDeg [6] http://youtu.be/eBU34NZhW7I [7] http://youtu.be/KFziBfvAFnM [8] http://marmaro.de/apov/txt/2015-07-27_unerwuenschter- fortschritt.txt http://marmaro.de/apov/ markus schnalke