2019-07-03 gesellschaftsanalyse Spoiler Alert Stay a while and listen In den guten alten Zeiten haben die Leute noch darueber nachgedacht, was fuer Auswirkungen das hat, was sie von sich ge- ben. Eine bemerkenswerte und heute verlorengegangene Technik in der schriftlichen Kommunikation ist Rot13 (fuer Rotation um 13 Buchstaben). Das ist Usenet-Style: Wenn man ueber das verbluef- fende Ende eines Films diskutiert, z.B. wer Mr. Burns erschossen hat, dann macht man diese Informationen mittels des reversiblen Caesar-Chiffres Rot13 unleserlich, so dass unbedarfte Personen, die nur Rahmeninfos zu der Simpsonsfolge suchen, nicht gleich die Aufloesung des Whodunnit erfahren. (Man versuche mal, sich in der Wikipedia ueber einen Film zu in- formieren, ohne gleichzeitig seine Handlung mitzubekommen!) Das Schoene an Rot13 ist, dass es seine eigene Umkehrfunktion ist. Zweimal Rot13 angewendet, ist wieder der Ursprungstext. Im- plementieren kann man das (unter Unix) einfach so: tr a-zA-Z n-za-mN-ZA-M (Was es nicht abdeckt sind Zahlen, Sonderzeichen und Nicht- ASCII-Zeichen. Meist ist das jedoch (bei lateinischen Schriften zumindest) kein Problem.) Antreffen tut man sowas in der heutigen Computerkommunikation so gut wie nicht mehr. Das liegt an der fehlenden teschnischen Un- terstuetzung dafuer und an dem nicht mehr fuer noetig erachteten Bedarf dafuer. Interessanterweise geht diese Kommunikationstradition nicht kom- plett unter, sondern bildet seltsame Stilblueten heraus. Frueher haette man am Anfang eines Vortrags darauf hingewiesen, dass man diese und jene Themen diskutieren wird, die fuer mache Anwesenden den Spass an diesen und jenen Spielen, Filmen, Buechern zerstoeren koennten. Mit diesem Hinweis wird ihnen die Moeglichkeit gegeben, den Vortragssaal fuer den Talk oder Teile davon zu verlassen. Heute wird einfach drauflos erzaehlt ... und dann passiert sowas: oyn oyn oyn ... Qrpxneq Pnvar fgveog va Qvnoyb 3 -- Fcbvyre Nyreg! -- oyn oyn oyn Man spoilert also und weist direkt *danach* auch noch darauf hin. Danach darauf hinzuweisen, dass man das davor eigentlich nicht haette sagen sollen, ist idiotisch! Es ist viel schlimmer als gar nicht darauf hinzuweisen. Aber selbst wenn man direkt *davor* darauf hinweist: Wer kann schon in einer halben Sekunde unvorbereitet entscheiden und sich die Ohren zuhalten? Wenn man aber schon (aus Versehen) das Geheimnis ausgeplaudert hat, dann sollte man nicht auch noch betonen, dass das jetzt ein Geheimnis war, damit es sich erst recht ins Gedaechtnis der Zuhoerer einpraegt. Haette man nichts dazu gesagt, dann haetten diejenigen, die die Geschichte noch nicht kennen, die Bedeutung der Aussage vielleicht gar nicht realisiert und, weil sie sie nicht einordnen koennen, gut moeglich gleich wieder vergessen. Mit dem expliziten Hinweis darauf geht das nicht mehr. Ein nachtraegliches ``Spoiler Alert!'' ist in seiner Auswirkung das genaue *Gegenteil* von dem was ein Spoiler Alert eigentlich sein sollte! In aehnlicher Weise stoert mich das krampfhafte Entschuldigen nach Niesen, Husten, Raeuspern. Warum tut man das? Ich meine, wenn man jemandem ins Gesicht gehustet hat, dann sollte man sich schon entschuldigen, aber wenn es nur ein unver- meidlicher Huster zwischendurch war ... Ich entschuldige mich doch auch nicht dafuer, dass ich atme! Warum entschuldigt man sich, wenn man nicht klar wegen einer Unachtsamkeit jemandem geschadet hat? Man entschuldigt sich wegen der Stoerung ... indem man durch die Entschuldigung selbst no- chmal stoert!? Man stelle sich nur vor, wenn jeder Huster im klassischen Konzert von einer Entschuldigung gefolgt werden wuerde! Wenn einem die Stoerung leid tut, sollte man sie so gering wie moeglich halten und sie nicht noch extra betonen. Das ist doch Irrsinn: Wir erzeugen genau das Gegenteil von dem was wir eigentlich erreichen wollen. Warum nur? Man sollte genauer analysieren, was man denn so genau tut, warum man das tut und ob man mit seinen Taten die gewuenschten Ziele erreicht. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke