2019-04-10 gesellschaftsanalyse Transparenz Klarheit gewinnen Alle Ueberlegungen zu einer besseren Gesellschaft, besserer Poli- tik, einem besseren Miteinander muessen an der Basis beginnen. Es ist verschwendet, auf hoeheren Ebenen zu diskutieren oder zu kaempfen, wenn die Grundlagen schon nicht stimmen. Letztlich gilt diese Erkenntnis fuer alles im Leben. Derzeit lese ich in Roberto BolaƱos ``2666'' den Teil von den Verbrechen. Es ist eine lehrreiche Beschreibung eines Systems, das die Aufklaerung der Verbrechen schlichtweg nicht leisten kann. Ihm mit dieser Forderung entgegenzutreten ist sinnlose Muehe. Am eindrucksvollsten war fuer mich die beilaeufige Erwaehnung, dass die Obduktionsunterlagen auf dem Weg vom Labor zum Archiv verschwunden seien. Entscheidend dabei ist das Wort ``beilaeu- fig'', da dieses Ereignis allem Anschein nach beachtungs- und folgenlos war. Diese beilaeufige Erwaehnung finde ich sogar noch aussagekraeftiger als die kaum jemals erwaehnte und somit moegli- cherweise auch gar nicht durchgefuehrte Basis der Ermittlungsar- beit: Das Faktensammeln. Alles Faktensammeln bringt aber nichts, wenn die erfassten Informationen danach verloren gehen oder nicht sorgfaeltig oder nicht vertrauenswuerdig verwahrt werden. Solange diese Basis nicht vorhanden ist, kann nichts darauf Aufbauendes funktionieren, zumindest nicht verlaesslich. Nun kommen wir zur Transparenz, einer der meiner Meinung nach wichtigsten Eigenschaften fuer Systeme aller Art. Wenn die Faktenlage nebuloes ist, wird nichts darauf Aufbauendes klar und nachvollziehbar sein koennen. Wenn die Fakten klar waeren, aber die Prozesse nebuloes, dann koennte man diese wenigstens zu reverse-engineeren versuchen oder selber alternative Prozesse aufbauen. Dennoch koennte man sich auf keine Ergebnisse aus den nebuloesen Prozessen verlassen. Korruption kann nur in einem nebuloesen System funktionieren. Ausbeutung und Unterdrueckung funktionieren zwar auch in einem klaren System, erfordern dort aber viel mehr Machtgefaelle. Nebu- loesitaet macht es einfacher. Kurzum: Ein faires Miteinander unter Gleichen kann nur auf der Basis von Transparenz entstehen. Die Transparenz sichert naemlich jedem einzelnen eine vollstaendige Kontrollmoeglichkeit zu. Sie sichert jedem die gleiche Informtationsbasis und damit die gleiche Entscheidungsgrundlage zu. Die Offenlegung der Faktensituation ist dabei der wichtigste Schritt. Darauf aufbauend folgt dann die Offenlegung der Prozesse und der Organisation. Ich behaupte, dass jede Verweigerung, Transparenz zu schaffen, der Sicherung einer eigenen Machtposition dient. Wenn wir unsere Mitmenschen aber als vollwertig ansehen und darum eine Gemeinschaft unter Gleichen anstreben muessen, muessen wir auch die Transparenz als die Grundlage alles Weiteren sicherstel- len. Wer die Transparenz verweigert, sieht damit zwangslaeufig die an- deren als nicht gleichwertig an und nimmt sie nicht fuer voll. Es darf in diesen Dingen kein ``ja, aber'' geben. So ist das! (Wohlgemerkt sage ich nicht, dass man als Gemeinschaft nicht auch andere Ziele hoeher stellen kann als die Gemeinschaft unter Gleichen. Ich positioniere mich aber insoweit klar, dass das eine transparente, freiwillige und jederzeit aenderbare Entscheidung jedes Einzelnen sein muss.) Wie Whistleblower und die unabhaengige Presse oder auch nur die freie Meinungsaeusserung behandelt und angesehen werden, ist ein deutliches Zeichen fuer das Machtgefaelle, die Ungleichheit der Menschen und wie viel oder wenig sie fuer voll genommen werden. Eine (wohlwollende) Diktatur hat so manche Vorteile, aber die (potenziellen) Nachteile ueberwiegen sie klar. Die vollstaendige Transparenz hat manche Nachteile, aber die Vor- teile ueberwiegen sie klar. Bisher habe ich in erster Linie ueber Abhaengigkeiten und Auswir- kungen geschrieben, also ueber das Verstaendnis von Systemen. Ein Aspekt ist im expliziten Fokus noch nicht aufgetaucht, sondern bloss implizit mitgeklungen: Der Wille bestimmte Ziele zu erreichen. Die Regeln (d.h. ``Naturgesetze'', Abhaengigkeiten, Auswirkungen) eines Systems zu verstehen ist nur ein -- wenn auch wichtiger -- Teil. Der andere -- ebenso wichtige -- Teil ist die Frage des zu erreichenden Ziels. (Menschensysteme sind nicht anders als komplexe Spiele, es kommt auf drei Dinge an: (1) Wie ist die Situation? (Faktenlage) (2) Welche Moeglichkeiten habe ich? (Prozesse, Abhaengigkeiten, Auswirkungen) (3) Was will ich erreichen? (Ziel meines Spielens)) Mit dem Wille, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, befinden wir uns wieder auf der grundsaetzlichen Ebene. Wenn zwei Personen unter- schiedliche Ziele anstreben, ohne sich dessen bewusst gemacht zu haben, sind Diskussionen ueber Methoden verschenkte Zeit, denn in den allermeisten Faellen werden sie sich nur streiten, sich aber weder verstehen noch einigen koennen. Es ist entscheidend, zu wissen, dass jemand ein Machtgefaelle an- strebt, weil dann klar ist, dass ihm Transparenz hinderlich sein wird. Das Problem ist allerdings, dass schon die Bekenntnis seines Ziels eine ihm unerwuenschte Transparenz ist. Dadurch ergibt sich aber wiederum die Moeglichkeit, das darge- botene Level an Transparenz als Indikator fuer die angestrebten Ziele nutzen zu koennen. Es ist erschreckend, wie schlecht die Grundlagen auch in unserer Gesellschaft noch sind, wenngleich sie in den meisten anderen Laendern noch viel schlechter sind. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke