2019-04-08 the real world Reden und Zuhoeren Das Verhalten des Meisters Paul K. hat es am besten auf den Punkt gebracht. Er meinte, dass er als Kind seinen Mund gar nicht aufgekriegt habe -- was man sich heute kaum vorstellen kann: Er redet wie ein Wasserfall. Er meinte (und das vollkommen klar, selbstreflektiert und offen), dass er irgendwann gemerkt habe, dass er etwas zu sagen hatte. Von diesem Tag an haette er dann seinen Mund nicht mehr zu gemacht. Bevor er mir das erzaehlt hat, habe ich nie so genau darueber nachgedacht, vielleicht weil die Situation bei mir nicht so ein- fach und deutlich ist, wie er sie von sich dargestellt hat. Ich war schon immer beides: Der Lauteste der Gruppe, die Fuehrungsperson durch Dominanz und ebenso ein stiller Beobachter, zurueckgezogen und unsicher. Beide Seiten begleiten mich schon seit meiner Kindheit. Ich kann immer noch zuhoeren und Nachfragen fuer's Verstehenwol- len stellen. Fuer mich sind immer noch sehr viele Themen und Fachgebiete neu. Andererseits stelle ich auch fest, dass ich im- mer haeufiger Themen weitreichend durchdrungen habe. Oftmals besser als meine Gespraechspartner, vielleicht nicht auf die uebliche aber doch auf eine stimmige Weise. Mein Defizit ist vor allem fehlendes Faktenwissen, das Defizit vieler anderer ist eine fehlende Struktur und Klarheit in ihren Gedankengebaeuden. (Viele denken zu sehr wie Navigationssysteme es einen lehren: wegebasiert, nicht aber wie Landkarten es einen lehren: struk- turbasiert. Sie haben also keine Gedankengebaeude, keine Gesam- tarchitektur ihres Wissens, sondern nur eine Vielzahl von Gedank- enwegen. Ihnen fehlt der Schritt, sich aus der Ego-Perspektive herauszuloesen und sich das Gleiche nochmal von oben anzuschauen. Ihnen fehlt der staendige oder nachtraegliche Abgleich des von innen Erlebten mit dem von aussen Betrachteten. Die Perspektive von aussen, die bringt die Struktur mit sich.) Zuhoeren bringt Wissen. Um dazuzulernen muss man zuhoeren ... in akustischer, schriftlicher oder optischer Form. In jeder Weise ist es ein Aufnehmen und fuer sich selber Analysieren der fremden Information. Man sollte sich dabei mit Fragen zurueckhalten (sie nicht zwangslaeufig ganz vermeiden, aber sich doch zurueckhal- ten), da Fragen schnell die Kontrolle uebernehmen koennen. Ich habe Situationen erlebt, wo eine einzige Frage dem gesamten weiteren Gespraech den Stempel aufgedrueckt hat. Das haengt auch vom Gespraechspartner ab. Je weniger gefestigt er ist, desto mehr sollten die Rueckfragen in seiner Gedankenwelt (Begriffe, Denkweisen) verwurzelt sein. Bei sehr gefestigten Personen sollten die Rueckfragen dagegen gerade andere Denkweisen ins Spiel bringen, zu denen man sich positionieren muss. Sehr viel oefter als frueher hoere ich in Gespraechen mir bereits bekannte Betrachtungsweisen. Natuerlich, denn ich kenne inzwischen einfach sehr viel mehr. Immer oefter wiederholt es sich fuer mich. Dies ist ein Zeichen, dass ich zu dem Thema ver- mutlich mehr weiss als die Person gegenueber und es folglich sinnvoller ist, wenn ich etwas weitergebe als mir erneut an- zuhoeren was ich groessteils schon kenne. Dadurch passiert es, dass ich heute oefter und mehr rede als frueher. Nun ist das aber noch nicht das Ziel. Deutlich besser waere es, in diesen Situationen, nicht einfach selber zu erzaehlen, sondern mittels Maeeutik den anderen sein Wissen selber schaffen zu lassen. Das ist fuer ihn befriedigender, dauerhafter und fuer mich eine groessere Herausforderung. Ausserdem bleibt so die Moeglichkeit offen, dass ich von ihm noch etwas lerne, was beim Vortrag und der eigenen Gespraechskontrolle deutlich weniger wahrscheinlich ist. Das eben hebt einen Meister ab. Das ist eine Frage von Disziplin und Demut. Der andere Aspekt, der von Disziplin und Demut bestimmt ist, ist es sein Wissen zu fundieren und zu verschriftlichen. Dadurch hebt man es auf ein hoeheres Qualitaetsniveau. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke