2017-10-23 the real world Obsoleszenz Der Wunsch nach guten, lang haltenden Produkten Zum Glueck muss ich mir derzeit kein neues Notebook kaufen. Ich koennte naemlich kein passendes Geraet finden. Zu verschieden sind meine Wuensche und das derzeitige Angebot. Beginnen wir mit der Tastatur: Als Zehn-Finger-Tipper ist mir hoechste Taktilitaet wichtig. Die modernen Tastaturen streben aber mehr nach schoener Optik als nach guter Tipperei. Das aeussert sich beispielsweise an fehlenden Fingermulden auf den Tasten. Bei flachen Tasten findet ein Finger seine Position nicht von alleine. Dann kleine Enter-Tasten, kleine bzw. verschieden grosse Pfeiltasten, kleine F-Tasten -- alle vermindern meine Tippgeschwindigkeit oder -korrektheit. Das mag zum Touchzeitalter passen, reduziert aber meine Produktivitaet, die mein Hauptziel beim Mensch-Computer-Interface ist. (Uebrigens ist es komisch, dass man die derzeitigen Interfaces ``Touch'' nennt, wo sie null Taktilitaet haben. Ein Blinder ist unfaehig sie zu bedienen, obwohl er vollen Touch hat. vielmehr muesste man sie optische Eingabe nennen, da sie sowohl ihre Funk- tionen als auch ihr Feedback optisch anbieten.) Weiter zu den Anschluessen: Ich will LAN, VGA, Klinkenaudio und USB. Das passt zu meinen Arbeiten und zu meiner sonstigen Infras- truktur. Auch ein ganz normaler, dedizierter Stromanschluss (op- timalerweise kompatibel zu IBM Thinkpad-Netzteilen) finde ich wichtig. Hier koennte ich allerdings eine USB-Stromversorgung akzeptieren, da diese Standardisierung und Kompatibilitaet ver- spricht. Ein werkzeuglos wechselbarer Akku ist mir wichtig, weil Akkus schneller alt werden als der Rest des Notebooks und weil ich einen Zweitakku zum Wechseln haben koennen will. Im Idealfall koennte ein interner Akku eine Minute ueberbruecken, damit man den externen Akku im Akkubetrieb wechseln kann. Als letzten Punkt dieser Aufzaehlung das Display: Glaeserne Displays moegen in Idealsituationen brillianter sein, im Alltag spiegeln sie aber den Grossteil der Zeit unangenehm. Ich will also ein mattes Display. Breitbildformate bieten fuer meine Anwendungen nur Nachteile, zudem liegt bei ihnen die Darstel- lungsflaeche tiefer, was zu einem staerkeren Knick in der Halswirbelsaeule fuehrt. Derzeit habe ich ein zehn Jahre altes IBM Thinkpad X41, mit einem 1,6 GHz Einkern-Pentium M, 2 GB RAM, 8 GB CF- + 32 GB SD-Karten als Speicher, 14" XGA-Display, Fullsize-Tastatur, etwa 4h Akku- laufzeit, bei 1,5 kg. Es hat mich vor ein paar Jahren gebraucht 100,- gekostet plus 30,- fuer einen neuen Akku. Ich bin mit diesem Rechner ueberaus zufrieden. Es gibt nur eines was mich stoert: Mit heutiger Technologie koennte man fuer die gleiche Leistung mit halber Akkugroesse 12 h Laufzeit bieten. Dieses Option aber -- die stromfressenden Kom- ponenten und den Akku durch moderne Stromspar-Komponenten und eine bessere Akkutechnologie zu ersetzen -- wird nicht angeboten und ist nicht vorgesehen. Man kann nur sehr begrenzt durch eigene Basteleien etwas erreichen. Ich muss nun hoffen, dass mir mein Notebook noch lange genuegt. (Gegen Hardwaredefekte habe ich ein identisches Zweitgeraet zum Ausschlachten.) Aber was bedeutet schon dieses ``genuegt''!? Mir genuegt die Leistung noch lange. Sie ist um ein Vielfaches hoeher als die meines Cubietrucks, der mir noch genug Leistung fuer meine Alltagsdesktopbeduerfnisse (Mail, Musik, Filme, Program- mieren & Co.) bietet ... nur nicht fuer's Web. Da leider wird die Entscheidung fallen, denn im Web habe ich keine eigene Wahl. Mein Cubietruck hat genuegend Leistung fuer einen einfachen Browser, doch einfache Browser koennen das moderne Web nicht mehr verar- beiten. Moderne Browser aber brauchen mehr Rechenleistung als mein Cubietruck bieten kann. Man kann es auch so formulieren, dass die Webdesigner heute mehr Leistung auf den Clients fordern. So oder so, mein Cubietruck war noch nie dazu in der Lage, diese Leistung zu bieten. Wenn die Websites nicht mit dem Textbrowser w3m nutzbar sind (was immer seltener der Fall ist), dann ist er raus. Mein X41 ist noch nicht an diesem Punkt angekommen, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Es wird vom Leistungshunger des Web in den Ruhestand gedraengt werden ... von einem unnoetigen Leistungshunger, wie ich betonen will, denn die Anzeige von Wet- terinformationen beispielsweise erfordert nicht mehr Leistung als man fuer HTML 2.0 und einen w3m braucht. Das ist das Idiotische und eben auch Aergerliche daran: Meine eigenen Beduerfnisse koennte mein Notebook noch viele Jahre erfuellen, ebenso den tatsaechlichen Leistungsbedarf fuer die Anwendungen, die ich nutze; es veraltet ausschliesslich weil es fuer die unnoetigen und hoechstens bequemen Schnoerkel im modernen Web nicht genug Leistung uebrig hat. (Diese Schnoerkel benoetigen weit mehr Leistung als die eigentliche Anwendung ... von Werbung gar nicht zu reden.) Das Kernproblem hier ist eine Grundansicht, eine Prioritaeten- saetzung, eine Entscheidung (bewusst oder unbewusst) fuer Wichtiges. Es betrifft nicht nur meine Computer. Die gleiche Si- tuation finde ich beim Auto vor, wenn sie dort auch etwas nostal- gischer gepraegt ist. Mein Traumauto ist ein Opel Kadett C1 vom Ende der 70er Jahre. Er wiegt rund 800 kg, hat 56 PS, faehrt 140 km/h ... verbraucht aber 10 l/100km! Ein moderner Kleinwagen wiegt um die 1.100 kg, hat 80 PS, faehrt 160 km/h ... verbraucht aber nur 6 l/100km. Mit der modernen Motorentechnologie koennte der alte Kadett mit halb so viel Sprit fahren (solange es nicht nur Langstrecken sind, wo die Aerodynamik staerker rein spielt). Diese Option gibt es aber nicht. Finanziell mag ich mit einer H-Zulassung und guenstigerer Versi- cherung trotz des grossen Benzinverbrauchs vielleicht einiger- massen hinkommen, aber die Umwelt muss ich zwangslaeufig belasten wenn ich mein Traumauto fahren will. Von Nachhaltigkeit ist keine Spur zu erkennen. Man kann regel- maessig die neuesten, betriebsressourcensparenden Produkte kaufen und durch ihre Produktion Ressourcen verbrauchen, oder man kann die Produktionsressourcen sparen, dafuer dann aber im Betrieb mehr Ressourcen verbrauchen. Zwischenwege, wie den komponen- tenweisen Austausch, stehen ausserhalb des Sichtfelds, obwohl sie in diesen Faellen technisch einfach realisierbar waeren. (So ein Kadett-C-Motorraum ist riesig und leer, da hat's Platz um jeden beliebigen Motor einzubauen.) So bleibt als einzig nachhaltiger Weg die Nichtnutzung, die im Falle des Webs oder des Autos (in einem kleinen Dorf auf dem Land) einem gesellschaftlichen Ausschluss gleich kommt. Optionen entstehen erst wenn die Gesellschaft sich ihnen oeffnet, sie anerkennt und fordert. Das tut sie aber erst wenn Einzelne sich ihnen zuwenden und ihre Machbarkeit, Vorteile und Werte demonstrieren. Diese Pioniere sind Menschen, denen diese In- teressen besonders wichtig sind, da sie dafuer zwangslaeufig viel Zeit und Energie investieren muessen. Ich werde nicht zu den Pionieren gehoeren, die moderne Antriebe in alte Autos einbauen. Aber ich springe gerne auf solch einen Zug auf, wenn ich ihn sehe. Moeglicherweise ersetze ich die herkoemmliche Beleuchtung des Notebook-Displays durch LEDs; ein Austauschen der Akkutechnologie uebersteigt aber meine Kenntnisse und Faehigkeiten. So hoffe ich, dass andere diese Schritte tun, dass die Gesellschaft Nachhaltigkeit anstrebt und dass dies schneller ein- tritt als meine derzeigte Hardware unnoetigerweise obsolet gemacht wird. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke