2016-10-26 gesellschaftsanalyse Oeffentlicher Dienst Zu allererst fuer die Menschen! Der Oeffentliche Dienst hat sich selber verloren, er hat es nur noch nicht gemerkt. Wie ein Pupertierender ist er stolz auf seine Verfehlungen. Hoffentlich wacht er bald auf. Eine Geschichte: In einer grossen wissenschaftlichen Bibliothek in Deutschland kommt eine Nutzerin mit einer Handvoll Disketten zur Information. Sie habe diese zuhause gefunden und wuerde gerne die Inhalte bewahren, doch sie habe kein Diskettenlaufwerk mehr und auch in ihrem Bekanntenkreis haette keiner mehr eines. Ob ihr die Bi- bliothek weiter helfen koenne? Das musste zuerst geklaert werden. Die Bibliothek besitzt dur- chaus ein externes Diskettenlaufwerk, mit dem man Disketten- inhalte auf moderne Rechner kopieren kann, doch das darf nicht dafuer verwendet werden, um Daten von Nutzern zu kopieren. Es wird aus Gruenden der Datensicherheit (?) nur zum Lesen von Disketten, die im Magazin liegen, verliehen. Als die Nutzerin einige Zeit spaeter wiederkam, wurde ihr gesagt, dass man ihr nicht helfen koenne. Damit war die Sache erledigt. Einen groesseren Imageschaden kann man sich kaum vorstellen. Da sind Nutzer, die sich mit Problemen an die Bibliothek wenden, die (a) in deren Themengebiet fallen (man haette das schliesslich wunderbar als Aufhaenger zum Thema Langzeitarchivierung nutzen koennen), die (b) technisch problemlos loesbar sind (das externe Diskettenlaufwerk war vorhanden), und die (c) wenig Aufwand er- fordern (es handelte sich nur um wenige Disketten), ... aber diese Nutzer werden abgewiesen, weil es der Bibliothek lieber ist, ihr externes Diskettenlauf im Schrank liegen zu lassen, statt es dafuer einzusetzen, wozu es dienlich sein kann. Wenn eine Bibliothek die Zahl ihrer Zeitschriftenpakete ver- zehnfacht (mit sowas beschaeftigen sich Bibliotheken typ- ischerweise), dann aendert das an ihrem Image nichts ... die Nutzer merken das noch nicht einmal. Wenn aber eine Bibliothek Nutzer abweist, die sich mit (sinnvollen) Problemen an sie wen- den, dann nimmt das Bild der Bibliothek dauerhaft Schaden. Diese Nutzerin wird sich bei zukuenftigen Problemen sicher nicht mehr an die Bibliothek wenden. Zugleich wird die Nutzerin ihre Geschichte bestimmt ihren Bekannten klagen ... und diese werden sie weiter erzaehlen, weil sie so unfassbar ist. Dabei sollte wirklich jeder, der sich auch nur rudimentaer mit Marketing beschaeftigt hat, wissen, dass es zu den wichtigsten und zugleich einfachsten Regeln gehoert, solche Faelle zu ver- meiden, wenn man ein gutes Image aufbauen will. Und ebenso sollte bekannt sein, dass es sehr viel mehr positive Meldungen braucht, um eine einzige negative auszugleichen. Wie kann also so ein Image-Desaster passieren? Das muss doch eine Sache der Grundein- stellung sein ... Von ``Die Bibliothek, wir helfen Ihnen!'' ist man jedenfalls weit entfernt! Der Imageschaden ist eine Sache, die Frustration, zu der so ein Erlebnis bei den eigenen Mitarbeitern sorgt, eine zweite, aber man kann die Sache auch noch in einem groesseren Zusammenhang be- trachten: Was dem Oeffentlichen Dienst naemlich verloren gegangen ist, ist sein Selbstverstaendnis. Wofuer gibt es ihn? Was strebt er an? In den letzten Jahrzehnten ist das Oeffentliche Dienst grossteils zu einer schlechteren Version der Freien Wirtschaft geworden. Er hat dies sogar freudig angestrebt. Nichts Schlimmeres haette er machen koennen! Auf diesem Weg verliert er alles. Ich will nicht bestreiten, dass der Oeffentliche Dienst Problemen hatte, die durch Methoden der Privatisierung (oder sagen wir ``Verwirtschaftung'') geloest werden sollten. Dabei hat man, aus meiner Sicht, aber das grosse Bild aus den Augen verloren. Der Oeffentliche Dienst wird nie der Freien Wirtschaft gegenueber konkurrenzfaehig sein. In allen lukrativen Bereichen wird die Freie Wirtschaft effizienter und motivierter sein. Die unlukra- tiven Bereiche aber sind einem sowieso nur ein Klotz am Bein; den die Freie Wirtschaft einfach abschneidet, der Oeffentliche Dienst aber eigentlich nicht abschneiden kann oder sollte. Man wird im Oeffentlichen Dienst auf dem Spielfeld der Freien Wirtschaft nicht konkurrenzfaehig sein koennen. Wenn man zudem beruecksi- chtigt, dass man kaum Chancen hat, an die richtig guten Mitar- beiter zu kommen, verstaerkt sich die Lage noch. Wieso versucht man also zu konkurrieren? Keiner, der etwas von der Wirtschaft versteht, wuerde das versuchen. Gleichzeitig gibt man seinen wichtigsten Trumpf aus der Hand, in- dem man sich auf dieses Spiel einlaesst. Man sollte sich auf seine Alleinstellungsmerkmale besinnen, darauf was die Freie Wirtschaft nicht bieten kann. Das ist wie der Mathestreber, der seine Faehigkeiten verneint um cool zu erscheinen (ein hoffnungsloses Unterfangen), statt dass er zu ihnen stehen wuerde. Es ist in diesen Zeiten scheinbar super uncool oef- fentliche Dienste zu leisten. Was ist denn der Oeffentliche Dienst eigentlich? Ich verstehe darunter einen Dienst fuer die Oeffentlichkeit, also etwas das allen zuguten kommt und darum pauschal von der Oeffentlichkeit finanziert wird. Das ist wie die Kirchturmuhr. Die Freie Wirtschaft tauscht immer Leistung gegen Geld auf der Basis von konkreten Einzelleistungen. Der Oeffentliche Dienst, dagegen, stellt seine Leistungen allen pauschal zur Verfuegung; egal wer sie wie oft nutzt, sie werden ueber die Steuer von der Gemein- schaft als ganzes finanziert. Damit sorgt er Oeffentliche Dienst fuer einen gesellschaftlichen Ausgleich und ist Ausdruck eines Grundniveaus, das die Gesellschaft sich gewaehlt hat. Die Freie Wirtschaft, andererseits, ist individualismusgepraegt. Dort exis- tiert kein Gemeinschaftsgefuehl (es wird nur manchmal ein Schein davon vorgeschoben). Nochmal anders betrachtet: In der Freien Wirtschaft geht es um's Geld; im Oeffentlichen Dienst geht es um die Menschen ... jeden- falls sollte es so sein. Leider meint der Oeffentliche Dienst, dass es uncool waere, wenn es einem um die Menschen gehen wuerde, darum vertuscht er es und versucht das kommerzielle Gehabe der Freien Wirtschaft zu immi- tieren. In Folge nimmt er sich alle Attraktivitaet fuer Arbeit- nehmer (ausser der Sicherkeit, dass man dort nicht ausgebeutet wird). Dabei koennte er so attraktiv fuer eine Menge von faehigen Idealisten (Generation Y) sein, wenn er sich nur auf seine eigentlichen Werte besinnen wuerde! Es ist ein trauriges Bild, anzusehen wie der Oeffentliche Dienst sein Potenzial ignoriert. Es ist ebenso schlimm, dass die Menschen zunehmend aus dem Fokus unserer gesellschaftlichen Bestrebungen wandern, wo doch all unser Bestreben gerade den Menschen die allermeiste Bedeutung widmen sollte. Was fuer eine Menschheit sind wir denn sonst? http://marmaro.de/apov/ markus schnalke