2015-12-03 gesellschaftsanalyse Faustkeile und barocke Pracht Ueber die Faehigkeit zur wesensgemaessen Computernutzung Unser Leben wird immer digitaler. Computer ziehen in immer mehr Lebensbereiche und immer tiefer in sie ein. Es wird erwartet, dass jeder sie benutzt, aber die Menschen haben nicht verstanden, wie man das angemessen tut. Einerseits umarmen sie jeden neuen Computereinfluss in ihrem Leben, andererseits meiden sie jede Beschaeftigung mit der Natur der Computer selbst. Das ist wie ex- otischer Tourismus: Die fremde Kultur konsumieren zu wollen, aber nur in kolonialisierter Kunstform. Die Leute wollen Computer ha- ben, ueberall, aber sie haben kein Interesse daran, sie benutzen zu lernen. Die Informatiker sind dabei die Kolonisten: Sie ero- bern die fremden Gebiete, zwingen alles in eine bekannte Form und praesentieren den verbleibenden Rest faszinierender Kultur als Zoo oder Zirkus oder Anwenderprogramm. Die normalen Leute sind davon begeistert, aber sie haben ja keine Ahnung! Die uebliche Computernutzung ist erbaermlich. Die verwendeten Methoden sind wie Faustkeile, es gibt naemlich ebenso nur ein einziges Werkzeug: Copy'n'Paste. Die Arbeitsablaeufe und Resul- tate sind entsprechend primitiv und zeitaufwaendig. Das mit an- zuschauen tut weh, denn Tischkreissaegen, Bohrmaschinen, Hobel- maschinen, Schweissgeraete, Hammer und Meissel, Presslufthaemmer und Bagger ... all das gibt es schon seit zwanzig Jahren kosten- los und seit zehn Jahren steht es in einer Vorbeigehen-und- Mitnehmen-Art zur Verfuegung. Aber wenn jemand mit diesen Werkzeugen arbeitet, dann wird das eher belaechelt: Nur was fuer Freaks, denn fuer normale Menschen seien Faustkeile schliesslich gut genug. Sie nutzen all das Werkzeug auch deshalb nicht, weil sie sich nicht auf solide Werkstoffe wie Holz, Stein, Stahl ein- lassen wollen. Bei ihnen muss alles Stuck, Glas und Vergoldung sein. Darum machen sie am allerliebsten gar nichts selbst. Das Resultat sind von Handwerkern hergestellte Haeuser, in denen sie wohnen. (Wegen ihrer Vorliebe sind diese tendenziell eher schoen als praktisch.) Eigene Erzeugnisse machen die Bewohner aber ausschliesslich mit Faustkeilen, was zu einer absurden Mischung aus barock-prachtvoll anmutender Umgebung und steinzeitlichen Eigenerzeugnissen fuehrt. Damit kann man doch nicht zufrieden sein! Allerdings ist es ja auch cool, keine Ahnung von der Mathematik zu haben ... Ein konkretes Beispiel: Wenn Computer eines koennen, dann Infor- mationen kopieren, sortieren, filtern, gruppieren, umformen. Die idealen Voraussetzungen also, um ein Unternehmensadressbuch und die Telefonlisten zu verwalten. Diese Dinge werden inzwischen zwar digital und online gefuehrt, aber in welch haarstraeubender Form! Nicht eine Quelle und verschieden geformte Exporte und Ab- fragen gibt es, sondern es gibt verschiedene Quellen, die manuell (!) synchronisiert werden. Diese Computernutzung ist wie wenn man sein Auto naehme, um aus der Garage zu fahren, dann aber aussteigt und zu Fuss zum Ziel laeuft. (Allerdings ist das noch umweltfreundlich und gut fuer den Koerper, ganz im Gegensatz zum anderen Fall.) Also, da gibt es eine Adressliste im Outlook, eine Adressliste im LDAP, eine Adressliste im Wiki (manuell und statisch gruppiert und sortiert), die identische Liste nochmal in Excel (fuer diejenigen, die lieber ausdrucken). Zudem gibt es die Mitar- beiterdatenbank der Personalabteilung und den Geburtstag- skalender. -- Kurzum, es gibt eine Vielzahl von Informationsquel- len, die separat und alle manuell gepflegt und synchron gehalten werden. Genaugenommen sind es gar keine Quellen, denn ihnen folgt kein Fluss. Es sind nur Informationspunkte ... oder vielleicht noch treffender: Informationssackgassen. Sie versorgen keine Gegenden oder Landstriche mit Informationen, sondern stillen nur den Durst von Einzelnen, die das Wasserloch aufsuchen. Wie mueh- sam! Wie primitiv! Wie traurig! Ich dachte, dafuer haetten wir diese Computer: damit sie das Leben besser machen, leichter machen, uns Arbeit ersparen. Aber die Leute schaffen sich nur un- noetige Mehrarbeit, die durch die durch Marketingversprechungen gestiegenen Erwartungen erforderlich geworden ist. Statt dass man die Informationen (auf)leben laesst, presst man sie in tote For- men. Wie immer verteidigt die Primitivgesellschaft ihre Primitivitaet. Zuerst weil sie sie nicht erkennt, dann aber weil sie sich nicht die Bloesse geben will, sie zu erkennen, dann weil sie sich nicht die Bloesse geben will, sie nicht erkannt zu haben, schliesslich weil das sich Aendern ein Eingestehen der eigenen Primitivitaet bedeuten wuerde, die man nicht ertragen kann. Lieber verblendet untergehen! Hauptsache der Schein bleibt gewahrt! Man klammert sich an die verbleibende Macht und unterdrueckt sinnvolle For- tentwicklungen aus Stolz und Eitelkeit. Nein, eigentlich haben die Menschen die Computer gar nicht ver- dient! http://marmaro.de/apov/ markus schnalke