2015-02-24 digital life Vor zehn Jahren Neustart Ein weiteres Jahr ist vorbei, und das vergangene war das zehnte. Ein ganzes Jahrzehnt ist nun also vergangen seit dem Tag an dem mich gnu.org davon ueberzeugt hat, mich mit ordentlichen Softwareumgebungen zu beschaeftigen und ebenso, dass Software frei sein sollte. (Zu Unix als technischem Konzept und Program- mierphilosophie habe ich erst etwas spaeter richtig gefunden, aber der erste aktive Schritt auf diesem Weg, den habe ich vor zehn Jahren gelegt.) Heute kommt mir diese Welt so sehr natuer- lich vor, wie wenn sie mich immer schon umgeben haette, wie wenn sie nicht anderst sein koennte. Damals hat sich das fuer mich aber noch ganz anderst angefuehlt. Vielleicht hat daran auch die Tatsache ihren Anteil, dass die GNU/Linux-Welt damals noch eine andere war ... wenn auch ich nur einmal (?) eine Bootfloppy ge- braucht habe und ich erst mit Sarge zu Debian gewechselt bin, als man es schon bequem von CD installieren konnte. Ich kann also schlecht aus ``alten Tagen'' erzaehlen! Aber das ist auch nicht meine Absicht. Ich will auf meine Computeraktivitaeten des ver- gangenen Jahres zurueck blicken. Vielleicht doch noch eine Metaueberlegung zuvor: Seit Wochen bin ich mal wieder dabei meine Lue-Tagebucheintraege nachzuholen. Wieder war ich selten up-to-date. Das ist aeusserst aergerlich. Das deutet auf fehlende Motivation, fehlende Zeit oder fehlende Notwendigkeit hin. Sind die Tage von lue gezaehlt? Wird es Zeit lue stillzulegen? Ich merke, wie ich es inzwischen weniger be- geistert fuehre wie damals. Ueberhaupt ist es heute viel weniger Aufschrieb meiner taeglichen Aktivitaeten als vielmehr Aufschrieb meiner Entdeckungen, Vewunderungen, Aergernisse und Gedanken geworden. Gleichfalls ist es aber auch Geschichtsbuch fuer mich selbst und Notizzettel. Nun, wenn ich es so sehe, dann ist es weiterhin unersetzlich fuer mich. Nur die Konstanz der regelmaes- sigen, zeitnahen Eintraege, die faellt mir zunehmend schwer. Nun- ja, damit werde ich klarkommen muessen. Aber nun zum Jahresrueckblick! Das vergangene Jahr stellt sich im Nachhinein als doch recht brauchbar heraus. Bis zum Sommer war es in seinem Stil kaum anders als das Vorjahr: Einiges an Systemadministrationsalltag, hier und da ein bisschen Programmiererei, zudem recht viel Latex. Ab Sommer aenderte sich das dann aber. Seither habe ich immer wieder und sogar intensiv programmiert. Ich war wieder regelmaes- sig mit Softwareentwicklung beschaeftigt und ich habe einige Pro- jekte angegangen. (Diese Veraenderung hat auch mit externen Fak- toren zu tun.) Auf Systemebene gibt es auch im vergangen Jahr einige Veraen- derungen: Edoras ist 2014 als On-Demand-Fileserver zur Verfuegung gestanden. Seit 2015 laeuft er 24/7 als Homeserver (seit ein paar Tagen auch endlich wieder mit, diesmal selbst gestellter, DDNS- Anbindung). Dream hat sich im April 2014 endgueltig ver- abschiedet. Ueber den Sommer hat Hasi seinen Platz als ``Multimedia-Workhorse'' ausgefuellt. Jetzt tut das der reaktivi- erte Pantheon. Deseo hat endlich auch seine seit langem noetige neue CF-Karte erhalten. Seit wenigen Tagen gehoert mir Quagga, ein V-Server der Molly ersetzen wird. Die Situation ist jetzt folgende: Deseo (Thinkpad X41, 1,6 GHz Pentium M, 1 GB RAM, 8 GB CF-Systemspeicher, 32 GB SD- Datenspeicher, CRUX Linux) ist und bleibt meine Hauptmaschine. Edoras (Mini-ITX-Board mit 800 MHz VIA Eden, 1 GB RAM, 320 GB RAID1 + 1 TB HDD, Debian stable) stellt den Homeserver. Klette (Cubietruck, 16 GB SD-Karte, Cubian) verwende ich als Desktopsys- tem fuer Mails, Musik, Videos und als ``Terminal''. Pantheon (2600+ AMD Athlon XP, 2 GB RAM, 80 GB HDD, Debian stable) ist mein momentanes Multimedia-Workhorse, das aber nicht die Leistung auf den Boden bringt, die ich erwarten wuerde. Hasi (Notebook: 3800+ AMD Celeron, 2,5 GB RAM, 60 GB HDD, Debian stable) steht als Fallback zur Verfuegung. Und im Rechenzentrum habe ich Molly und Quagga. Was sich vorerst nicht erfuellen wird ist der Traum von einem dedicated NAS (QNAP TS-469 Pro), da zu teuer und ausreichend gut von Edoras abgedeckt. Auch das Thema Datenhaltung und Backup ist noch nicht gut genug umgesetzt. Da habe ich aber gute Hoffnung, dass sich das im kommenden Jahr bessert, wenn sich die Systemor- ganisation etwas gesetzt hat und ich mit den neuen Platten fuer Edoras das Thema sowieso angehen werde. Ansonsten wird das Cubian auf Klette einen richtigen Debian weichen muessen und auf Deseo wuerde ich gerne (endlich) mal Dra- gora GNU/Linux ausprobieren. (Weniger weil mich CRUX stoert, als vielmehr weil ich Dragora ausprobieren will ... und das schon seit Jahren.) Seit Oktober muss ich wieder an einem Windows-Rechner arbeiten. Dort haben ich zum ersten Mal Cygwin ausprobiert. Das hat mich beeindruckt. Damit kann man schon was machen. Am Ende hat sich die lokale virtuelle Maschine mit einem richtigen Unix doch als die bessere Variante rausgestellt. Von meiner regelmaessigen Ar- beit mit Microsoft Word will ich nur soviel schreiben, als dass da einfach eine so andere Philosophie dahinter steckt, dass Ver- gleiche recht wenig konstruktiv sind. Bei den Tools gibt es einige zu erwaehnen. lsblk(1) war die Uber- raschung des Jahres. Seit ich es kenne verwende ich es regelmaes- sig. Auch rsync(1) ist dieses Jahr in meinen Werkzeugkasten eingezogen. Jack(1), der CD-Ripper, hat mir gute Dienste geleistet. Emv(1) ist so hilfreich, dass es zu den Standardtools gehoeren sollte. Das MySQL cli interface bedarf einiger Gewoehnung, insbesondere was die administrativen Aufgaben angeht (wenn man die bisher mit phpmyadmin erledigt hat), dennoch lohnt es sich, IMO. Dann habe ich mich vor allem mit zwei Themen beschaeftigt: Ver- sionskontrollsystemen und Editorkonzepten. Bei der Versionskon- trolle musste ich svn einsetzen. Ich habe gesehen, zu welchem Benutzungsverhalten ungeschickte Softwarekonzepte fuehren. Fuer mmh verwende ich git, was zwar in Ordnung ist, aber nicht an die Eleganz von hg heran kommt. Es aendert sich nichts daran: noch immer gefaellt mir Mercurial am besten. Auf die Editoren kam ich durch einen Thread auf der TUHS Mail- ingliste, wo Doug McIlroy gegen vi argumentiert hat. Ich habe mich daraufhin mit sam im Konkreten und Editorkonzepten im Allgemeinen beschaeftigt. Da waren neue Erkenntnisse dabei (insbesondere haben sich fuer mich Modi bestaetigt) aber letztlich ist leider nichts dabei raus gekommen, da mir sam zu sehr von der Mausbedienung und grafischen Oberflaechen abhaengt und die Nische nicht anders gefuellt wird und vi gut genug ist ... Zumindest habe ich meinen standalone Heirloom-ed noch etwas abgespeckt, indem ich die modernen Kommandozeilenoptionen entfernt habe. (Die einzige Option die mein ed nun kennt ist `-' zum unterdruecken der Bytecount-Ausgaben. Das entspricht der Si- tuation wie sie ganz frueher mal war.) Im Oktober hat Marcus mit mir eine Devradio-Sendung zu Editoren aufgenommen (die allerdings eine etwas andere Ausrichtung als meine eigenen Ueberlegungen hatte). Dann mal zur ersten Haelfte des vergangenen Jahres, welches einen stark Latex-Fokus hatte, selbst in dem was ich zum Programmieren zaehle. Da war ein kleines webbasiertes diff(1)-Interface (in PHP) um Personen, die mit Latex arbeiten wollen aber keinen Zu- griff auf ein ordentliches Betriebssystem haben ein Hilfsmittel zu bieten. Dann habe ich mir den bibtex/biblatex-Import bei Zo- tero angeschaut -- Freie Software: Juhuu ich kann mal eben rein schauen! -- und festgestellt, dass die Probleme in meiner fehlen- den Unterscheidung von bibtex und biblatex lagen. (Btw: die Codestruktur von Zotero hat mir auf den ersten Blick gut gefal- len.) Und schliesslich habe ich Latex als reines Handwerkszeug verwendet um ein Set von sowas wie Spielkarten zu erzeugen. Dank Macros war der Latexcode am Ende unglaublich kurz. Die Verar- beitung war weit praktischer als wenn ich die Karten mit Gimp oder Impress auf Seiten verteilt haette. Zu diesen Latex-Zeiten passend, habe ich im April einen kleinen Latex-Workshop gehalten, fuer fuenf studierte Geisteswissenschaftler. Schliesslich habe ich da auch noch mein Paper des Jahres gelesen: ``What has WYSIWYG done to us?'' von Conrad Taylor. (Das ist von 1996, aber wenn man ein bisschen abstrahieren kann ist es heutzutage ebenso treffend.) Das Problem das ich aber bei Systemen wie Latex habe, ist die fehlende Separation zwischen der semantischen Auszeichnung und der Optimierung einer bestimmten optischen Repraesentation. Mit zweiterem macht man naemlich die Eleganz des Ersteren zunichte. Wenn man das halt als eine Art Overlay darueber legen koennte ... eine Art CSS, das aber weniger gen- erelle Regeln beinhaltet sondern die ganzen kleinen speziellen Anpassungen. Die als Patch zu halten ist leider zu starr. Das bricht sobald man im Text nochmal was veraendert. Auch muessten die Spezialanpassungen Umstellungen von Saetzen wegen besseren Zeilenumbruechen und vermiedenen Schusterjungen abdecken koennen. Wo wir nun schon beim Textsatz sind, im August und September habe ich intensiv mit Scribus, einen DTP-Programm, gearbeitet. Das war ein guter Kontrast zu Latex. Es war keinesfalls nur schlechter. Ich finde Scribus an einigen Stellen richtig gut, zudem habe ich waehrend meiner Arbeit viel gelernt und spaeter effektiver gear- beitet. Trotzdem waere es schon gewesen z.B. die Stilvorlagen textuell vorliegen zu haben, weil man dann besser vergleichen kann, weil man dann maschinell schematische Aenderungen dur- chfuehren kann, weil mir eine Textdarstellung einfach definitiver vorkommt als irgendwelche grafischen Fenster (denen Aussagen traue ich oft nicht so recht). Dann aber kam das zweite Halbjahr und mit ihm die richtige Pro- grammiererei zurueck. Sie begann im September in Berlin bei Hauke. Dort bin ich wieder in mmh eingestiegen. Meine Arbeiten an mmh halten seither an. Es ist nicht so, dass ich jede Woche daran arbeiten wuerde, aber ich habe viel daran gearbeitet und fuehle mich ``im Projekt''. Als Neuerung kam Philipp dazu. Er hatte mich vor langem schon wegen mmh angeschrieben. Jetzt haben wir uns deswegen getroffen ... und am Ende kam ein Push-Access fuer ihn auf das Repo raus. Er hat sich seither aus reingehaengt und einiges voran getrieben. Das motiviert mich, wenngleich das auch nicht immer einfach fuer mich ist. Nichts desto trotz ist es ein wichtiger Schritt fuer mich. Seit November ist auch mmhs Test- framework wieder funktionsfaehig. Das ist gut, bietet es mir doch die Moeglichkeit endlich mal in Richtung Test-driven Development zu gehen. Ganz neu diesen Monat ist Marcin aufgeschlagen und diskutiert nun fachlich bei mmh mit. Es geht also vorwaerts. Auch bei masqmail hat sich etwas getan. Im November habe ich kurzerhand die Routenauswahl anhand des From-Headers eingebaut ... und vor ein paar Tagen habe ich masqmail-0.3.5 veroef- fentlicht. Selbst an den apov und lue Backends habe ich etwas rumgeschraubt. Die brauchen aber unbedingt noch weitere Umbauten. Das schiebe ich nun schon so lange vor mir her ... Dann noch zu den Communityaktivitaeten. Ich war weder beim Linuxtag in Berlin noch bei den Chemnitzer Linuxtagen. Beides hat den Reiz fuer mich verloren. Dafuer war ich im August (weil ich kostenlos hinfahren konnte) beim GNU Hacker's Meeting in Muenchen. Es bot mir einen interessanten Ein- druck von der GNU-Community ... dieser war aber teilweise auch abschreckend. Im Oktober war ich in Stuttgart bei einem Vortrag von Robin Seg- gelmann ueber den Heartbleed-Bug. Ebenfalls im Oktober bekam ich Mails vom Debian Bugtracker, dass zwei von mir vor Jahren gemeldete Bugs nun repariert seien -- schoen! In den letzten Wochen bin ich aktiv in die OpenStreetMap- Community eingestiegen. Auch zu den Freifunkern habe ich Kontakt aufgenommen. Dort bin ich aber noch nicht aktiv dabei (die Hardware dazu liegt aber schon rum). Nach all den Erfolgsmeldungen noch die Verfehlungen: Ich habe es wieder nicht geschafft mich mit TCL zu beschaeftigen. Das will ich nicht naechstes Jahr wieder schreiben muessen. Auch habe ich im vergangenen Jahr kein einziges ChaosSeminar gehalten. Das finde ich schade. Zumindest eines im Jahr sollte sich doch machen lassen. Gelesen habe ich das ganze Jahr ueber auch kein klas- sisches Unix-Buch. Das aendere ich aber gerade. Vor kurzem habe ich mit Kernighan und Plaugers ``The Elements of Programming Style'' begonnen. Dieses ist ein grosser Schatz. Was wuensche ich mir fuer das kommende Jahr? Natuerlich will ich bei mmh (evtl. auch bei masqmail) einen grossen Schritt weiter kommen. Ich will endlich TCL anpacken und ein ChaosSeminar (dazu) halten. Ich will weitere klassische Unix-Literatur lesen (z.B. das Buch von Bach). Die Umbauarbeiten an meiner Rechnerstruktur will ich abschliessen. Der Versuch mit Dragora GNU/Linux soll starten. Ja, das sind die angedachten Aufgaben. Sie sind reali- tisch aber nicht sicher. Am wichtigsten ist vielleicht, dass der Aufschwung des letzten halben Jahres weiter anhaelt. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke