2015-01-12 gesellschaftsanalyse Selbstdarsteller Ein gefaehrlicher Trend Es war ein Fehler, den Namensraum der Top-Level-Domains (TLDs) zu oeffnen. Die TLD, das ist der letzte Teil eines Domainnamens. Dort gab es bislang fuer jedes Land eine zweistellige TLD (z.B. `de', `fr', `ch') und daneben ein Set an well-known TLDs (z.B. `net', `org', `edu', `name'). Jetzt kann als TLD alles auftreten. Das Domain-Name-System (DNS), das diese Domainnamen in IP- Adressen aufloest, basiert auf dem Konzept der Hierarchie. D.h. alle Stellen links im Domainnamen sind Unterbereiche von dem was rechts davon steht. So ist z.B. `cs.mit.edu' die Informatik (Com- puter Science) des MIT, das wiederum eine Bildungseinrichtung ist. Oder `de.ibm.com' ist die deutsche Sektion der IBM, die ein kommerzielles Unternehmen ist. `ibm.de' wuerde dem entsprechen und koennte parallel dazu existieren. Soweit die Theorie. Nun habe ich vor ein paar Wochen gemutmasst, dass die Gesellschaft wohl nur eine fixe Menge an Semantik zu einer Zeit verwalten oder auch ertragen kann. Da Semantik gerade total tren- dy ist, baut man sie in all die neuen Systeme ein. Folglich muss man sie aber den alten Systemen entziehen -- zumindest wenn an meiner Mutmassung etwas dran ist. Das Beispiel DNS scheint hier- fuer eine Bestaetigung zu sein. Es gibt hunderte Domains der Art `foo-aktion.de' (wobei `foo' fuer einen Firmen- oder Produktnamen steht). Warum heissen diese Domains nicht `aktion.foo.de'? Das waere noch nicht mal laenger. Oder warum ist es `polizei-bw.de' und nicht `polizei.bw.de'? Okay, hier ist wohl die DENIC schuld, die bei ihrer 3-Zeichen- Mindestlaenge fuer de-Domains geblieben ist, statt fuer die Bun- deslaender sechzehn 2-Zeichen-Subdomains anzulegen (entsprechend der ISO-3166-2-Kuerzel). Das waere einleuchtend, stimmig und ohne Folgeprobleme gewesen. (Ob das tatsaechlich der DENIC anzulasten ist, weiss ich leider nicht. Das ist nur die Erklaerung, die sich fuer mich ergibt.) Jetzt kommt aber der Abschuss, und gleichzeitig der Ausloeser dieses Textes: `bayern.by' -- Schlimmer geht's nicht mehr! Dieser Domainname macht keinen Sinn. Er ist nichts als der Ver- such cool zu wirken, mit der Folge, dass man sich blamiert. Was ist die Bedeutung von ``Bayern -- Bayern''? Das ist nur Redundanz. Semantisch sinnvoll ist ``Bayern -- Deutschland'', also `bayern.de'. Das genau war die bisherige Domain, die man hatte, bevor man cool sein wollte. (Schoener noch waere natuer- lich `by.de' gewesen, weil das einheitlich ist und auch fuer z.B. Baden-Wuerttemberg eine Option waere. ... Na, was fuer eine Domain hat wohl das Land Mecklenburg-Vorpommern? `mecklenburg- vorpommern.de'? (Die gibt es sicher, sie ist aber fuer den tae- glichen Gebrauch zu lang.) Oder ist es `meckpomm.de'? Oder `mv- land.de'? Meinem Vorschlag folgend waere diese Antwort klar: `mv.de'. Folglich waere die Polizei von MV dann `polizei.mv.de' und das einheitlich fuer alle Bundeslaender, sofort ableitbar, ganz ohne Suchmaschine.) Nochmal eine Stufe hoeher: Mit der TLD `by' ist nun auch der den Staaten vorbehaltene Namensraum der 2-Zeichen-TLDs aufgebrochen. Wie soll man nun wissen, welche der 2-Zeichen-TLDs fuer ein Land steht und welche nicht? (... aber Moment, war da nicht mal was von wegen Unabhaengigkeit Bayerns? Vielleicht ist die TLD `by' ja nur der erste Schritt dazu ...) Was ist mit den Bundeslaendern, deren zweistellige Kuerzel mit bestehenden Laendern kollidieren, z.B. Berlin (BE) und Belgien (be)? Noch schoener: Was ist mit neu entstehenden Laendern, bei denen die zu ihnen passenden 2-Zeichen-TLDs schon belegt sind ... von Wirtschaftsunternehmen, oder gar von Privatpersonen? Und denken wir auch mal an die Erkennbarkeit von Domainnamen. (Nein, ich meine nicht: ``Alles was mit `www' beginnt.'') Bisher war das Set der TLDs ueberschaubar und klar strukturiert, jetzt kann darin alles vorkommen. Wuerde denn z.B. `m.schnalke' als Domainnamen erkannt werden? Diese Oeffnung des TLD-Namensraums ist die Manifestation eines Trends. Dieser Trend ist, Struktur, Semantik, Extrapolierbarkeit, Klarheit und aehnliche Werte, die man einstmals muehsam erkaempft hat, leichtfertig zu opfern fuer das Ego von Selbstdarstellern aller Art, die sich nicht einreihen koennen in eine Ordnung, son- dern an oberster Stelle stehen muessen. (In der Politik ist der gleiche Trend gerade auch vorherrschend.) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke