2014-09-22 the real world Pendeln Im Zug Ein Jahr lang bin ich nun gependelt: 160km mit dem Zug. Zuerst 10min mit dem Zubringer (RB) zum Hauptbahnhof, dann 1:15h mit dem IC. Am Zielort noch 5min mit der U-Bahn und weitere 5min zu Fuss. Morgens brauchte ich etwa 2,5h von Tuer zu Tuer. Am Nachmittag/Abend zurueck dauerte es eine halbe Stunde laenger, wegen eines schlechten Anschlusses. Bei einer regelmaessigen 40h-Woche waren derartige Pendelzeiten richtig hart gewesen. Ich begann aber morgens erst um 08:30 und hatte wechselnd irgendwann zwischen 12:00 und 18:00 Schluss. Zudem musste ich an einigen Tagen gar nicht anreisen. Auch war das eine Jahr dieses Pendelns eine begrenzte Zeit. Obwohl ich mein Leben lang gependelt bin -- schon zum Kindergar- ten bin ich mit dem Bus gefahren -- wusste ich nicht recht wie ich mit diesem langen Pendelweg klarkommen wuerde. Auch war ich bislang meist in Bussen unterwegs. Der Zug war eine neue Er- fahrung fuer mich. Ich kann mich nicht beklagen. Es hat alles gut funktioniert. Der Anschluss am Umsteigepunkt hat fast immer gepasst, und das obwohl es morgens nur 5min Umsteigezeit waren. Die 30min Umsteigezeit bei der Rueckfahrt retteten mir dagegen die notorischen Verspae- tungen des IC/EC am Nachmittag/Abend. Dass Zuege ganz ausfielen oder grosse Verspaetungen hatten kam etwa einmal im Monat vor. Da war fuer mich absolut tragbar (und brachte mir oft eine auf- preislose Fahrt im ICE eine Stunde spaeter ein). Dass die Pendelei fuer mich so angenehm war, lag an ein paar guenstigen Rahmenbedingungen: - Ich wohnte direkt neben dem Bahnhof. - Der IC, mit dem ich weiterfuhr, kam auf derselben Strecke wie die Zubringer-RB. Solange er also nicht vorbei gefahren war, bis meine RB kam, wusste ich, dass der Anschluss reichen wuerde. (Andernfalls ging ich nochmal heim und fuhr eine Stunde spaeter.) - Meine Verbindung morgens war bestmoeglich. - Ich hatte fast immer einen Sitzplatz, insbesondere morgens. Gerade die Zeit morgens konnte ich im Normalfall produkiv nutzen. Ich schrieb und las viel. Nachmittags war ich meist weniger pro- duktiv. Aber auch da war mir die Zeit wertvoll, um meine Gedanken zu ordnen und zu verarbeiten. So kam ich nach 3h Rueckweg im Nor- malfall entspannt zuhause an. Alles in Allem war diese Pendelerfahrung genau das Passende fuer mich, insbesondere bot sie mir das was im Jahr zuvor gefehlt hatte: Zeit zum Lesen, Schreiben und Nachdenken. (Um diese Zeit sicherzustellen habe ich im Zug bewusst keine Internetverbindung eingerichtet.) Nachdem das Pendeln ein so grosser Erfolg war, habe ich mich dazu entschieden es fortzufuehren. Im kommenden Jahr werde ich also weiterhin mit dem Zug unterwegs sein, trotz 8h Arbeit taeglich. Dafuer wird mein Pendelweg kuerzer sein. Ich werde etwa 1:30h von Tuer zu Tuer brauchen. Der groesste Unterschied ist, dass ich dann mit regionalen Zuegen fahre statt mit dem komfortablen IC. Ich bin gespannt wie sich das entwickeln wird. In Erinnerung an eine Zeit des Wochenendpendelns, folgt hier ein Gedicht, das ich an einem spaeten Sonntag Abend vor zehn Jahren im Zug geschrieben habe. Der Zug Es schaukelt, es wackelt, Ich sitze im Zug. Muss wieder zur Arbeit. ... vom Sitzen genug Hab ich nun endgültig. Doch ohne 'ne Wahl Mich schlafen zu legen. Es wird mir zur Qual. Noch nicht einmal Stuttgart. Noch lange nicht da. Ich träum' von 'ner Arbeits- Stelle ganz nah Bei meinem Zuhause. Schlaf' länger aus. Hey! Nie wieder Zug! Hab eh genug. Und wie ich so träum' Von besserer Zeit, Merke ich gar nicht, Es ist schon so weit. Müsste längst schon umsteigen, Für weitere zwei oder drei Stunden Fahrt mit der Bahn. Ist mir einerlei. Bin schon entschwunden. Der Traum hält nicht an. Die Fantasie ist mein Glück. Riskier' keinen Blick In die Realität zurück. Halt weiter mein Nick- erchen in der Bahn. Das Schaukeln, Das Wackeln, Es geht mich nichts an. Bin kurz vor Hamburg. Wollt' dort nicht hin. Geh' heut nicht zur Arbeit Und auch nicht nach Wien. Die Menschen meinen, Ich hätte den Wahn. Mir ist das egal Der Zug hält nicht an. (Huebsche Variante: [0] ) [0] http://marmaro.de/docs/misc/der-zug/der-zug.pdf http://marmaro.de/apov/ markus schnalke