2014-06-11 herz und hirn Das Gedicht Gedanken zum Schreiben Ich sei jemand, der viel Wert auf die passende sprachliche Form legen wuerde, um genau das zu transportieren was ich zu transpor- tieren beabsichtige. Ich wuerde mir Zeit nehmen um meine Saetze treffend zu formulieren. Tatsaechlich ueberarbeite ich Pro- grammcode und technische Dokumentation vielfach, aus der Ueber- zeugung heraus, dass dies zu besseren Ergebnissen fuehrt. Da ist es seltsam, dass ich mich in mancher Hinsicht vor der Ue- berarbeitung von Text druecke, mich ja vielleicht sogar davor scheue. Apov-Texte sind fuer mich Fixtexte. Einmal geschrieben -- meist in einer Session -- bleiben sie zu 95% so bestehen. Beim Abtippen und Durchlesen passe ich nur Details an: Hier ein tref- fenderes Wort, da eine andere Wortreihenfolge, dort ein erk- laerender Zusatz. Selten streiche ich auch mal was raus. Aber ich baue nicht um. Was fuer mich bei Programmcode und technischer Dokumentation die hoechste Prioritaet hat -- das inkrementelle Entwickeln des Werkes, bei dem ich auch immer wieder die Grundstruktur in Frage stellen muss -- das liegt mir bei ``kreativen''/kuenstlerischen(?)/emotionalen Texten fern. Es straeubt sich in mir richtiggehend dagegen. Es fuehlt sich falsch an. Vielleicht haben diese Werke fuer mich eine ``Seele'', eine Persoenlichkeit, etwas das ueber die Funktionalitaet und die Aesthetik hinaus geht. Diese Werke sind weniger Sache als viel- mehr Person. Es gilt sie zu akzeptieren wie sie sind, nicht sie zu machen wie ich sie gerne haette. Ich fuehle mich dabei viel eher wie ein Archaeologe, der etwas Vorhandenes frei legt als wie der Steinmetz, der die Gestalt selbst formt. Ich habe dabei aber auch nicht den Anspruch geniale Werke zu schaffen. Ich schaffe meiner Meinung nach eben auch nicht in gaenzlich freier Weise. Ich manifestiere was da ist, irgendwo in mir, diffus verborgen, oder auch klar und einnehmend. Ich schaffe nicht zum Ausdruck sondern aus Eindruck. Ganz anders bei Programmcode. Dort konstruiere ich. Dort bin ich frei Schaffender. Dort paare ich Kreativitaet mit solidem Handwerkszeug. Dort ist alles sinn- und funktionsbestimmt. Dort ist das Ergebnis wichtig. Dieses muss den perfekten Ausdruck an- streben. Jedes Festhalten am Ist, wider sachlicher Gruende, min- dert das Ergebnis. Woellte ich Schriftsteller sein, dann muesste ich dieses Verhal- ten auch auf die anderen Werke uebertragen. Nun gibt es da dieses Gedicht -- vor zehn Jahren aus einem ploet- zlichen Gedanken entstanden, in einer Session geschrieben (freigelegt!?). Seither liegt es in meiner Schublade, als Fix- text. Es ist wie es ist. Es ist nicht perfekt. Es ist nicht best- moeglich. Es ist halt wie es ist. Es hat die Qualitaet die mir damals moeglich war. Jetzt habe ich es einer Person gezeigt, die Ahnung von Gedichten hat. Ihre Anmerkungen und Kommentare sind genau das was ich braeuchte um das Werk zu verbessern. Sie hat die Schwachstellen sicher aufgespuert. Sie hat mir sinnvolle Richtungen gedeutet. Sie hat mir strukturelle Hinweise gegeben. Sie hat meine Augen fuer bewusste Erkenntnisse geoeffnet. Jetzt koennte ich anfangen, den Entwurf, den dieses Gedicht momentan darstellt, zu einem aus- drucksstarken Werk zu machen. Dazu braeuchte es vor allem noch Handwerkszeug. Das muesste ich halt erlernen oder mir helfen lassen. Alles kein Problem. -- Aber! Um dieses Gedicht zu ver- bessern muesste ich einen Schritt zuruecktreten. Ich muesste mich von seiner aktuellen Gestalt (die es schon zehn Jahre hat) loesen, um die Substanz darunter beweglich zu machen. Nur dann kann ich auch am Skelett arbeiten um zu einer schoeneren Gesamtform zu kommen. Genau darauf lege ich beim Programmieren so viel Wert. Bei diesem Gedicht widerstrebt mir diese Vorstellung aber durch und durch. Eine Strophe umzubauen, hinzuzufuegen, weg- zulassen, das scheint undenkbar. Was moeglich ist, womit ich keine Probleme habe, ist, einzelne Worte auszutauschen, solange es der gleiche Reim ist. Die Moeglichkeiten damit sind natuerlich sehr beschraenkt. Ich bin zerissen, beginne aber meine Zerissenheit besser zu ver- stehen. Vielleicht schleppe ich das Gedicht ja deshalb schon so lange mit mir rum, staendig mit dem Gefuehl, dass da etwas noch nicht abgeschlossen ist -- ein unbefriedigendes Gefuehl. Aber ich kann es auch nicht einfach abschliessen. Das ist das Dilemma. Noch ist offen was letzlich daraus werden wird. Aber ich will es weg haben, aufraeumen, soviel steht fest. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke