2014-05-13 gesellschaftsanalyse Teilchen oder Welle? Individuum oder Herde? Wieviel ist es mir wert, das zu tun, was mir wichtig ist? Wieviel bin ich bereit fuer meine Ueberzeugungen und Ideale zu opfern? Wie werde ich mit mir selbst umgeben, wenn ich mich doch lieber anpasse? Kein Mensch ist fuer sich alleine -- unabhaengig --, wenn ich mir das auch oft wuensche. Wir alle leben in einem Geflecht von For- derungen und Auswirkungen. Im Eigenleben dieser Verbindungen entstehen sogar Konstrukte, die sich dann selbst am Leben erhal- ten. Aus einem Individuum wird eine Gesellschaft, die das Indi- viduum vergisst. Wieviel Individuum sind wir mehr als eine Ameise? Vielleicht waren wir es einst, doch inzwischen ist der Unterschied stark geschrumpft, wenn wir auch das Gegenteil glauben. Unser Individu- alismus ist nur virtuell, ein Konstrukt unserer Gedanken, die Auswirkung der Propaganda; in der Realitaet stecken wir alle in der Herde, im System. Selbst diejenigen, die fuer ihre Ideale eintreten, diejenigen, die bereit sind zu opfern, selbst diese werden ``vernuenftig'', denn sie opfern nicht alles fuer ihre Ue- berzeugung. He asked me what I had sacrificed to pursue my dreams. He said, the worth of things can't be measured by what they cost but by what they cost you to get it, that if anything costs you your faith or your family, then the price ist too high and that there are some things that will never wear out. [0] Solange den Menschen ihr Leben -- sowohl biologisch als auch gesellschaftlich -- wichtiger ist als ihre Ideale, solange sind sie ein formbarer (erpressbarer!) Teil der Herde und des sich selbst erhaltenden Systems. Freedom's just another word for nothing left to lose. [1] Wenn ich auch mein gesellschaftliches Leben noch opfern kann, so fragt sich, ob der biologische Tod in irgendwelcher Weise eben- falls noch eine Entscheidung des Lebens sein kann. Kann also mein Tod irgendeine Bedeutung fuer das Leben haben? Und wenn ja, auch fuer mein Leben oder nur fuer das der Herde? Wenn nun ein (individualitaetsliebendes) Teilchen der Herde den Tod waehlt, ist das dann fuer dieses Teilchen in jedem Fall die Niederlage oder kann es auch ein Sieg sein? Bezogen auf das Teil- chen ist die Frage vielleicht zu schwierig, aber indirekt kann ich fragen, denn der Wegfall des Teilchens hat eine Auswirkung auf die Herde: Ist der Wegfall des Teilchens ein Sieg oder eine Niederlage fuer die Herde? Bekaempft das (individualitaetsliebende) Teilchen das System, so koennte es naemlich zumindest sich selbst opfern um dem System zu schaden, wenn fuer dieses der Wegfall eine Niederlage waere. An- dernfalls (oder wenn das Leben zu teuer ist) ist das Scheinindi- viduum aber kein Individuum sondern ein beliebig manipulierbares Raedchen des Systems. Ich setzte mich und liess die Fuesse ueber dem Abgrund baumeln, gedankenleer, bis die ersten, schraeg einfal- lenden Sonnenstrahlen die Duenen in ein sanftes, ver- fuehrerisches chiaroscuro-Relief verwandelten. Zweimal setzte ich zum Sprung in die Tiefe an. Dass ich den Plan wieder aufgab, hatte nichts mit der Angst vor Schmerzen oder vor dem Verlust des Lebens zu tun. Der Schmerz waere nicht mehr als ein heller Funke gewesen, und der Verlust haette letzten Endes nur die Armee be- troffen. Aber es waere ihr endgueltiger Triumph ueber mich gewesen -- mir nun auch den Tod aufzuzwingen, nachdem sie mein Leben so lange beherrscht hatte. Diesen Sieg wollte ich ihr nicht goennen. [2] (Verlust oder Triumph fuer das System? Haldeman laesst die Frage offen.) Individualitaet heisst Freiheit; Freiheit heisst Unabhaengigkeit. Kann aber eine Gesellschaft (eine Herde, ein System) auf der Basis von Freiheit existieren? Waere das dann ueberhaupt etwas Gemeinsames, eine Gruppierung, oder nur eine zufaellige An- sammlung? Bedeutet also Gesellschaft, Herde, System immer einen Schutz zukosten der Freiheit, der Individualitaet, der Randgrup- pen, der zufaellig Auffaelligen? Muss man diese Kollateral- schaeden tragen um die Gemeinschaft zu ermoeglichen? Welche Relevanz hat dann das Teilchen? (Individuum kann ich schlechte sagen.) -- Keine! Und so werden auch die Eingangsfragen des Textes egal. Irgendwie kommt mir das alles wie das Teilchen-Welle-Problem des Lichts vor: Je nach Blickwinkel gibt es nur Individuen, die zufaellig interagieren, oder nur die Herde, die zufaellig aus Teilchen besteht. Beides zugleich widerspricht sich aber. Und nun zum Freien Wille ... [0] Bob Dylan -- Chronicles Vol. 1 (Kap. 3) [1] Me and Bobby McGee [2] Joe Haldeman -- Der ewige Krieg (Am Ende des 3. Teils) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke