2014-04-14 the real world Trainingslauf Seagull carry me! Gestern bin ich einen Halbmarathon gerannt, mal eben so als Training. Genau gesagt waren es 24km in 2h, d.h. im Schnitt 12km/h bzw. 5min/km. Das ist ganz ordentlich, finde ich. Ich bin einfach losgerannt, am fruehen Abend, Richtung Norden. Es ist gut gelaufen. Die Abendsonne hat geschienen, es war nur noch wenig Wind da, kaum Leute unterwegs. So habe ich Schritt nach Schritt gemacht, bin immer weiter gestrebt und habe mich re- gelrecht im angenehmen Rhythmus des Laufens verloren. Ich strotzte vor Energie. Der Erfolg der zuvorigen Computerarbeit legte das emotionale Fundament, die Vorfreude auf eine baldige Verwirklichungschance brachte Denkanstoesse, und im Ohr war stets Rod Steward: Seagull carry me Over land and sea [0] Ach, es war ein Traum! So drehte ich auch nicht frueher um, um noch rechtzeitig zum Abendessen heim zu kommen. Nein, ich liess meine Fuesse mich vorwaerts tragen, genoss die Ungestoertheit der warm beleuteten Natur rings um mich, und war einfach gluecklich. Oertlich zog's mich einem Haus entgegen, das mich seit gut einer Woche fasziniert. -- Was waere wenn? Nach einer Runde um die Dorflinde trat ich den Heimweg an. Die Kraft begann langsam weniger zu werden, aber bei noch immer scheinender Sonne und wunderbarer Stimmung hatte ich keine Prob- leme weiterhin gut gelaunt meines Weges zu ziehen. Schwer fiel es mir nicht. Auch bergauf musst ich mich nicht quaelen, zu keinem Zeitpunkt des Laufes. Es war schoen, Kilometer fuer Kilometer dem Zuhause naeher zu kommen, auf gerader Linie, Huegel fuer Huegel. Die Umgebung wurde wieder bekannter, das Ziel greifbarer. Die letzten Kilometer ging's leicht bergab. Da lief's wie von selbst. Und dann: Am Ziel! Koerperlich fuehlte ich mich leergelaufen, geistig aber war ich erfrischt. -- Ach, wie schoen war dieser Lauf! Spaeter wurde mir gesagt, dass es viele Menschen gibt, die ein halbes Jahr dafuer trainieren wuerden, einen Halbmarathon zu schaffen, den ich gestern mal so nebenher am Abend gelaufen bin. So viele implizite Aussagen liegen in diesen Worten! Ich, fuer meinen Teil, kann sagen, dass ich ebenfalls intensiv und mit viel Engagement dafuer trainiere, seit Jahren. Dieser Trainingslauf ist auch die Folge meiner Grundfitness, und die habe ich mir ueber viele Jahre erarbeitet und pflege sie fortwaehrend. Mir mag das Laufen leicht fallen, aber ich komme doch jedes Fruehjahr ebenso herb daher wie jeder Andere. Der Rest ist Train- ing und Selbstwertschaetzung. Dann ist da noch dieser Text, der mir vor einigen Tagen ueber den Weg gelaufen ist. Er spricht mich in besonderer Weise an. Ich bin mir aber nicht sicher weshalb genau und noch weniger wie ich ihn bewerten soll, welche Parallelen ich zu mir sehe, sehen will oder gerade nicht sehen will. Seine Worte stehen da, wie ein Denkmal, und hin und wieder gehe ich hin und schaue sie mir an, lasse sie wirken, beobachte ihre Auswirkung auf mich ... und schlendere wieder weiter. Erfolgreicher Langsteckenlaeufer kapselt sich ab -- Eine Spurensuche Nicholas ist ein so guter Sportler. Schon bald nennen ihn alle nur noch den Laeufer. Den Blick ins Leere ger- ichtet, mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit, dreht der Laeufer Runde um Runde auf dem Rostrot des Aschen- bahn. Es macht Spass, ihm dabei zuzusehen. Nor- malerweise sind seine Schultern unmerklich nach vorn gezogen, als ob er in staendiger Abwehrbereitschaft lebt. Doch waehrend des Laufens faellt alle Anspannung von ihm ab. Er scheint zu schweben, nicht das kleinste Sandkoernchen wirbelt unter seinen Schritten auf, so dass man den Eindruck gewinnt, seine Fuesse haetten nie wirklich Kontakt mit dem Boden. Nicholas muss niemanden ansprechen, die anderen gehen selbst auf ihn zu. Nur vor dem Laufen sondert er sich ab. Dann vermeidet er jedes Gespraech, haelt sich am Rand der Aschenbahn auf, wo er unruhig hin und her taenzelt, bis er das Signal erhaelt, sich zum Start fertig zu machen. Von diesem Moment an ist jede seiner Bewegungen so vorhersehbar wie die einer mechnischen Aufziehpuppe. Das Laufen nimmt ihn voellig gefangen. Erst wenn er die Ziellinie passiert und mit aufeinander gepressten Lippen einen knappen, immer unzufriedenen Blick auf die Stoppuhr geworfen hat, verwandelt er sich zurueck. (Nr. 5, S. 115ff) Nicholas' Freund Phil erinnert sich: ``Und ploetzlich sah ich nicht mehr Nicholas, sondern ein leeres Blatt Papier, das darauf wartete, beschrieben zu werden. Ich musste, dass ich das unmoe- glich wuerde leisten koennen, nicht hier und nicht jetzt. Ich schloss die Augen und sah Nicholas ueber das Rot der Aschenbahn laufen, den Blick konzentriert und starr geradeaus gerichtet, nicht im Gleichklang mit der Welt und sich selbst, wie ich einmal geglaubt habe, sondern auf der Suche danach. Vielleicht haette ich ihm schon am ersten Tag auf dem Sportplatz entgegentreten, ihn umarmen, festhalten und am Weiterlaufen hindern sollen.'' (Nr. 5, S. 456) [1] [0] Rod Steward -- Every Beat of My Heart [1] Quelle unbekannt. (In einem Museum gefunden.) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke