2014-01-09 the real world Buecher 2013 Was ich dieses Jahr gelesen habe Erneut will ich zurueck schauen, auf die Buecher, die ich im ver- gangenen Jahr gelesen habe. Dieses Mal sollte sich allerdings konsequenterweise sogleich die Frage stellen, wie sich ein Buch denn ueberhaupt definiert. Der Grund ist nicht, dass es in dieser Liste schwer zu entscheidende Faelle geben wuerde, son- dern, dass mich diese Frage im vergangenen Jahr viel beschaeftigt hat. Die Buecher dieses Jahres sind allesamt einfache Faelle: Sie lagen in gedruckter Form vor. Und, abgesehen von der fachli- chen Literatur im November, habe ich alle linear von vorne bis hinten durchgelesen. Aber beginnen wir im Januar. Das Jahr 2013 begann mit Clavells ``Shogun'' [de], dem Roman Japans. Ich habe die rund tausend Seiten in einem Monat gelesen, also rund 30 Seiten pro Tag. Das war eine gute Geschwindigkeit, die ein intensives Lesegefuehl aufkommen hat lassen. Mir ist das Buch sehr ans Herz gewachsen. Es hat an vielen Stellen meine Realitaet (oder eher eine bes- timmte Sicht darauf) widergespiegelt. Dies fuehrte zu Erk- enntnissen und zu einem wohligem Gefuehl von Verbundenheit. Sho- gun wird mir noch lange ein markanter Pfeiler meiner Litera- turwelt sein. Der Februar brachte ... nein! Boris brachte im Februar Randy Pauschs ``The Last Lecture'' [de] in mein Leben. Diese Perle seines Verschenke-Regals hat mein Leben wertvoll bereichert. Die Geschichte der 16 Dollar an der Supermarktkasse wird mir noch oft als praegnantes Beispiel einer Lebenssicht dienen. Natuerlich ist die Geschichte tragisch, dies soll aber nicht sein, was haengen bleibt. Die wertvollen, zum Teil etwas ungewoehnlichen Blickwinkel auf das Leben, die sind es was dieses Buch so lesenswert machen. Im Maerz und April war eher ackern angesagt. Computerliteratur. Ich nahm mir ``Software Tools'' von Kernighan und Plauger [en] vor. Dieses stand schon laenger an, jetzt habe ich es aber auch konsequent durchgearbeitet. Die Schwierigkeit lag darin, dass aller Code in Ratfor, also einer gemaessigten Variante von For- tran, geschrieben ist. Ich habe nie Fortran programmiert und das Buch zeigt auch immer wieder sehr schoen, dass man das auch gar nicht will. Inhaltlich ist das Werk fuer Unix-Begeisterte eine Schatzkiste: Es beschreibt sehr genau, wie die Jungs damals die Programme entwickelt haben (koennten). Zudem werden eben diejeni- gen Tools und deren Aufbau und Organisation erklaert, die wir heute taeglich nutzen. Jederzeit jedoch geschieht das durch eine Verfremdungsebene. Statt C wird Ratfor verwendet; statt den realen Umsetzungen werden alternativ moegliche Umsetzungen gezeigt. Fuer mich war es gerade in der Weise besonders spannend, da es einen Mehrwert an Hintergrundwissen bot. Allerdings war es dadurch auch umso anspruchsvoller zu lesen. Deshalb war im Mai wieder angenehme, Gefuehlsliteratur angesagt: Bob Dylans ``Chronicles Vol. 1'' [en]. Mir machte es einfach ganz viel Spass in Dylans Welt einzutauchen. Ich hoerte viel Musik. Ich traeumte viel. Ich fuehlte mich jung. Es war einfach schoen! Im Juni ging es weiter mit einem Buch das mir eine Tuer ist: Francesc Hervada-Salas ``Text-Oriented Programming'' [en]. Er hatte mir das Buechlein geschenkt. Ich las es dann mit grosser Zustimmung und voll Begeisterung. Dieses Buechlein hat mich auf ein hoeheres Niveau bei meinen Ueberlegungen ueber Computer, In- formation und ueber Unix gebracht. Wo ich schon so schoene Erfahrungen mit guter Computerliteratur gemacht hatte, wollte ich mehr davon. Kurz zuvor hatte ich von einem neuen Buch von Fred Brooks gelesen. Dieses durfte nun auf- treten: ``The Design of Design'' [en]. ``The Mythical Man- Month'' hatte mir schon sehr gut gefallen, aber ``The Design of Design'' gab mir noch viel mehr. So viele, meiner Meinung nach, zutreffende Beobachtungen derart praegnant auf den Punkt ge- bracht, das haben mir wenige Buecher zuvor geboten, zumindest ab- seits der Bell Labs-Jungs, aber selbst dort. Was ``The Practice of Programming'' fuer die Implementierung ist, und ``The UNIX Programming Environment'' fuer Unix, das ist ``The Design of Design'' fuer's Softwaredesign. Ueber den Sommer war dann wieder Fiction angesagt. Michi hatte mir Orson Scott Cards ``Ender's Game'' [en] empfohlen. Das war eine tolle Empfehlung. Das Buch war fuer mich in seiner Art wun- derbar erfrischend. Entscheidend ist aber, dass man den Inhalt ganz auf sich zukommen laesst. Wer zuvor schon was ueber den In- halt liest, oder das Vorwort, der vermiest sich nur das Erlebnis. Also: Einfach reinstuerzen und gespannt sein, was passiert. Im Anschluss ging's gleich weiter mit dem Nachfolger ``Speaker for the Dead'' [en]. Dieses Buch ist weit weniger frisch, weniger roh, weniger orginell, dafuer aber runder und stimmiger. Es zeigt die natuerliche Fortentwicklung des Autors. Sehr gut gefaellt mir, dass die Fortsetzung nicht einfach ein zweites Buch der gleichen Art ist, denn das waere nicht moeglich. Es beleuchtet das Thema von einer ganz anderen Richtung. Deshalb ist es eine wertvolle Ergaenzung. Und weil ich natuerlich gleich alle vier Buecher zusammen gekauft hatte, legte ich auch das dritte, ``Xenocide'' [en], nach. Auch hier nochmal ein neuer Blickwinkel, ein neuer Charakter, eine neue Stimmung, in der gleichen Welt. Das gefaellt mir sehr gut. Dieses Buch war fuer mich das emotionalste, das das mich am direktesten angesprochen hat. Mehr als die anderen beiden hat es mich gepackt und gefesselt, bis ... kurz vor Ende. Und das tat leider weh: Als das Problemszenario perfekt aufgebaut war, als alles bereit zur Katastrophe war, als die Spannung am Hoehepunkt war, da brach Card leider unter der Unloesbarkeit zusammen. Statt mutig ein elegantes (z.B. ein offenes) Ende zu waehlen, beginnt er zu erklaeren. Und an diesem Punkt bricht leider alles fuer mich ein. An diesem Punkt geht das Buch kaputt. Leider. Ich jedenfalls habe in meinem Exemplar auf Seite 435, vor Kapitel ``Life and Death'', vermerkt, dass man an dieser Stelle aufhoeren sollte zu lesen. (In Folge dieser Enttaeuschung habe ich dann den vierten Teil, ``Children of the Mind'', auch gar nicht erst angefangen.) Dann halt wieder was Computerbezogenes. Uwe Dierolf hatte mich darauf gebracht: ``My Job went to India'' von Chad Fowler [en]. (Die zweite Edition hat einen langweiligeren, gemaessigten, mark- etingfaehigen Titel.) Dieser Titel passt gut zu ``Der Pragma- tische Programmierer'' von Thomas und Hunt. Ich habe die vielen kurzen Geschichten des Buches gerne gelesen und ich stimme der Schluessigkeit der Erkenntnisse zu, aber, im Gegensatz zu Brooks' Design, bin ich nicht unbedingt davon ueberzeugt, dass das der richtige Ansatz waere. Dennoch, fuer pragmatische Programmierer ist dieses Buch eine Goldgrube. Im Oktober griff ich erneut zur Fiktion. Und wieder wurde es von aussen angestossen: Henry Atts hatte mir angeboten eine weit fortgeschrittene Fassung seines Buches zu lesen: ``Der Erzherzog-Josef Orden'' [de]. Ich sagte natuerlich begeistert zu. Wie nicht anders zu erwartet, bekam ich ganz viel Henry-Stil, anders als bei dem was ich bislang von ihm gelesen hatte, war er diesmal aber weit leichter lesbar in eine fluessige Geschichte eingepackt. Es war eine wahre Freude, das Werk zu lesen! Seine Art zu schreiben, diese Ironie, diese Absurditaeten, diese Charaktere, es hat mir einfach sehr viel Spass gemacht. Ich wuerde mich sehr freuen, wenn dieses Buch eines Tages der Allgemeinheit zur Verfuegung stehen wuerde. Damit es dazu kommt und um es noch besser zu machen, habe ich mir umfangreiche Anmer- kungen gemacht und diese in den vergangenen Wochen in mehreren langen Telefonsessions an ihn weiter gegeben. Jetzt hoffe ich sehr, dass dieses Buch eines (nicht allzu fernen Tages) ``fer- tig'' wird. Und dann, im November, war eine Hausarbeit zu erstellen. Dafuer habe ich mir verschiedene Fachbuecher vorgenommen. Ich habe sie zumindest quer gelesen, immer aber die fuer mich relevanten Kapi- tel durchgelesen, und zumeist war es dann der Grossteil des Buches, den ich linear gelesen hatte. Aufgrund des Zeitdrucks faellt es mir schwer, diese Titel in der gleichen Weise in diese Liste aufzunehmen, wie all die anderen Titel, die ich in meiner Geschwindigkeit, ohne Zeitdruck, ohne den Drang zu selektieren, gelesen habe. Dennoch fuehre ich hier diejenigen Bucher auf, die ich gefuehlt zu mindestens 80% und linear gelesen habe: - ``Universitätsbibliothek Ulm: 1964 - 1984'', M. Rehm (Hrsg.). - ``Die Bibliothek der Universität Konstanz: 1965 - 1974; Er- fahrung und Probleme'', Joachim Stoltzenburg und Günther Wiegand. - ``Der Einsatz von Kleincomputern in Bibliotheken unter Berücksichtigung von Verbundsystemen; Bericht eines Symposiums, veranstaltet vom Deutschen Bibliotheksinstitut und der Gesamtho- chschulbibliothek Essen am 9./10. Oktober 1978'', Detlef Schwarz (Hrsg.). - ``Bibliotheksautomatisierung - Benutzerwartungen und Servi- celeistungen; Bericht eines Symposiums, veranstaltet vom Deutschen Bibliotheksinstitut und der Gesamthochschulbibliothek Essen am 1./2. Oktober 1979'', Detlef Schwarz (Hrsg.). Nach dem Ende der anstrengenden Zeit und der Pflichtliteratur, entschloss ich mich -- nunja -- doch wieder was anspruchsvolles zu lesen: Gerhart Hauptmanns ``Die Insel der grossen Mutter'' [de]. Auf dieses Buch kam ich durch Bernhard Tempel; er hatte es mir nicht empfohlen, nur erwaehnt. Die Wahl war aber eine gute, auch gerade zu diesem Zeitpunkt. Das Buch war in seinem Stil in mancher Weise neu fuer mich. Aber es war an allen Ecken nur ein wenig neu. Es war gerade so neu um inspirierend zu sein aber nicht so neu um verstoerend zu sein. Am besten an dem Buch hat mir all das gefallen, was eben *nicht* dort stand, aber dennoch in meinem Kopf entstand. Und dann im Dezember wusste ich zum ersten Mal in dem Jahr nicht so recht, was ich als naechstes lesen wollte. Natuerlich gibt es immer Titel, die ich in Aussicht habe, aber die Lektuere muss schon auch passen. In dieser Zeit war ich etwas ratlos. Ich habe dann Steinbecks ``Of Mice and Men'' [en] nochmal gelesen. Wir hatten das in der Schule mal gelesen. Ich konnte damals wenig damit anfangen. In der Zwischenzeit bin ich aber immer wieder auf amerikanische Autoren wie Hemingway, Faulkner, Eliot, und Co. gestossen. Ich wollte gerne mal was in die Richtung lesen, und dachte, dass Steinbeck vielleicht in die Richtung geht und dass ich ihn heute besser verstehen wuerde. Leider wurde ich nicht warm damit. Es mag an diesem Werk liegen; es mag an Steinbeck liegen; es mag auch daran liegen, dass ich mit diesen Autoren doch nichts anfangen kann. Das will ich aber nicht entscheiden, bevor ich nicht Eliot und Hemingway gelesen habe. ``Of Mice and Men'' hat mir also wenig gebracht, aber als Lueckenfueller war's schon okay. Gegen Ende des Jahres kam ich auf Leonard Cohen und Milan Kun- dera, und habe mir von deren schon Werke bereit gelegt. Aus gege- benem Anlass mussten diese jedoch warten. Zuvor habe ich nun Tol- kiens ``Der Herr der Ringe'' [de] eingeschoben. Seit Jahren schon habe ich dieses Werk im Blick, jederzeit bereit, bei der passen- den Gelegeheit, damit zu beginnen. Somit verging jetzt auch zwischen der Entscheidung, dass jetzt der richtige Zeitpunkt waere, dem Kauf (der gebundenen, einbaendigen Ausgabe) und den ersten gelesehen Worten kein Tag. Die Reise hat erst begonnen; ich bin noch am Eintauchen; sie wird mich noch einige Zeit mit sich nehmen. Da ich im alten Jahr nur begonnen habe, die Reise aber noch lange dauern wird, will ich den Herrn der Ringe nicht mehr zu den Buechern diesen Jahres rechnen. Somit komme ich auf 13 Buecher. (Die 4 Bibliotheks-Fachbuecher will ich hier ausklammern.) Das ist also rund eines pro Monat, und auf die Monate waren sie auch schoen gleichmaessig verteilt. Damit bin ich zufrieden. 9 Buecher waren auf Englisch, 4 auf Deutsch. Computer-Fachliteratur (4 Buecher) lese ich seit eini- gen Jahren fast nur noch auf Englisch. Bei den Romanen (7 Buech- er) scheint dieses Jahr eine staerkere Tendenz zum Englischen vorhanden zu sein als ich sie grundsaetzlich bei mir wahrnehme. Das lag hauptsaechlich an den drei Ender-Buechern. 2 Buecher diesen Jahres gehoeren in die biographische Ecke. Mit den Bibliotheks-Fachbuechern weiss ich nicht recht umzugehen. Einerseits habe ich sie mit grossem Interesse am Inhalt gelesen, aber (leider) doch immer auch im Hinblick auf ihre fuer mein konkretes Problem nuetliche Information. Zudem war ich unter Zeitdruck und musste eher durch hetzen. Beide Einschraenkungen treffen fuer kein anderes der Buecher zu. Und das ist dann auch wieder der Unterschied dazu, wie ich Computerliteratur uebli- cherweise lese. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich dort zum letzten Mal gehetzt waere. Und was bringt 2014? Zuerst natuerlich den Herrn der Ringe. Der wird mich sicher den ganzen Januar noch begleiten. Danach stehen ``Beautiful Losers'' von Cohen und ``Die unertraegliche Leichtig- keit des Seins'' von Kundera schon bereit. Ansonsten wuerde ich dieses Jahr gerne Jochums ``Kleine Bibliotheksgeschichte'' in Ruhe lesen. Ich wuerde sehr gerne, falls ich eine Zeit dessen wuerdig betrachte, endlich etwas von Hesse lesen. Kafka koennte sich auch mal wieder einschleichen. Abseits der ``anstrengenden'' Literatur gehoert Stephen King bei mir doch unbedingt dazu -- wobei ich merke, dass ich im vergangenen Jahr gar nichts von ihm gelesen habe. Das muss das erste Jahr ohne Stephen King sein, seit ich ihm zum ersten Mal begegnet bin ... Dreamcatcher koennte ein naechster Kandidat sein. Irgendwann wuerde ich auch gerne wieder den Dunklen Turm von vorne anfangen. Bei den Computer- buechern locken das Thema Tcl und der Autor Dijkstra. Ideen gibt es genug -- das stand auch nie in Frage. Die naechsten Wochen sind bereits vorgeplant. Was danach kommt bestimmt sowieso die Situation dann. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke