2013-08-13 the real world Grosse Maenner Eine Betrachtung Ich bin ein grosser Fan des 19. Jahrhunderts. Es ist das Jahrhun- dert der Erfindungen und Entdeckungen. Es ist die grossartige Jugend der Naturforschung. Seine bedeutenden Persoenlichkeiten sind meine Helden: Allen voran Charles Darwin (1808-1882), dane- ben, aus dem aktuellen Anlass eines Museumsbesuchs, Heinrich Schliemann (1822-1890), und zudem Alfred Nobel (1833-1896). Neben diesen Dreien koennte ich weitere aufzaehlen -- Alexander von Humboldt waere ein passender Vierter -- Es sind aber diese drei von denen ich am meisten weiss. Alle drei haben ein erstaunliches Leben gefuehrt. Sie alle haben sich erstaunliche Faehigkeiten angeeignet. Alle waren ueberaus produktiv, die ersten zwei hatten so gar Familie und einige Kinder. Wie schafft man das? Wie organisiert man sich so gut? Charles Darwin trat seine Reise auf der Beagle an weil er unsich- er war wie genau es in seinem Leben weitergehen sollte. Er war von der vorgegebenen Richtung, der Theologie, nicht ueberzeugt. Er suchte Zeit um seine Zukunft zu ueberdenken und, mit seinen 22 Jahren, suchte er spannende Einfluesse fuer sein naturwisschaft- liches Interesse. Seine Reise ist eine Auszeit fuer ihn. Er muss sich nicht bezueglich seiner Zukunft entscheiden sondern kann sich ganz seinen Interessen hingeben. Dafuer hat er viel Zeit und noch mehr Inspiration. Er ist jung, unabhaengig, interessiert, kreativ und hat eben Zeit. Diese Kombination ist die Basis seines Erfolgs. Letztlich hat seine Zukunft ihn gefunden. Nach seiner Rueckkehr ist er bald ein anerkannter Wisschaftler, nicht allerdings wegen seiner Evolutionstheorie -- die kommt erst spaeter -- sondern wegen seiner Artenentdeckungen und seinen geologischen Beobachtungen. Mit 30 heiratet er seine Cousine, mit der er sieben Kinder bekommt. Sie kuemmert sich um Haus und Familie waehrend er sich seinen Forschungen widmet. Seine Theorie ueber die Entstehung der Arten haelt er moeglichst lange zurueck. Nach gut 20 Jahren Arbeit daran veroeffentlicht er 1858, mit 49 Jahren, zum ersten Mal Einblicke in sein Werk. Ein Jahr spaeter kommt ``On the Origin of Species'' in den Buchhan- del. Dann steht er mit seiner revolutionaeren Theorie vor der etablierten Fachwelt und wird sowohl gefeiert als auch kri- tisiert. Und kritisiert wird er nicht nur von Wissenschaftlern sondern auch von der Kirche und dem Volk. Den Rest seines Lebens verbringt er damit fuer seine Theorie zu kaempfen. Seine Forschung konzentriert sich darauf weitere Ar- gumente fuer (oder gegen) seine Theorie zu finden und mit Gegnern zu diskutieren. Der grosse Widerstand und seine schlechte Gesun- dheit setzen ihm zu. Er zieht sich immer mehr zurueck, kuemmert sich um seine Studien und beobachtet die Welt. Heinrich Schliemann: Als Junge ist er begeistert von Homers Er- zaehlungen. Bevor aber er selbst Troja ausgraebt geht sein Leben andere Wege. Er will nach Venezuela auswandern, kommt aber wegen eines Schiffbruchs nur bis nach Holland. In Amsterdam arbeitet er ihm Hafen. Dort lernt er innerhalb eines Jahres Hollaendisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch. Um fuer das Unternehmen eine Niederlassung in Russland zu gruenden zieht er 1846 nach St. Petersburg. Er lernt Russisch und wird zum erfolgreichen Priva- tunternehmer. Er profitiert massiv vom Krimkrieg. Sein Unter- nehmergeist und seine Habsucht machen ihn zum mehrfachen Millio- naer, bis er mit 42 Jahren aussteigt. Sein erfolgreiches (und hartes) Wirtschaften erlaubt ihm sich von da an nur noch um die Wissenschaft zu kuemmern. Nach mehreren Weltbereisungen fuehrt es ihn zu seinem Kin- dheitstraum zurueck: Troja. Er entdeckt es tatsaechlich. Als Quereinsteiger setzt er dabei neue Ausgrabungstechniken ein, welche noch heute die Archeologie beeinflussen. 1869 promoviert er, mit 47 Jahren, in Rostock nach zuvor drei Jahren Studium in Paris. Das Gymnasium hatte er, aus Geldmangel, nur drei Monate lang besucht. Waehrend seines Lebens brachte er sich selbst 20 Sprachen bei. 1852 hatte er zum ersten Mal geheiratet. Seine erste Frau widmete sich voll den drei Kindern. 1869 heiratete er zum zweiten Mal. Wer kuemmerte sich um die weiteren zwei Kinder? Denn seine zweite Frau unterstuetzte ihn bei den Ausgabungen und leitete selbst welche. Nach einem erfolgreichen Businessleben machte Schliemann 1864, mit 42 Jahren (nachdem er es acht Jahre lang schon versucht hatte), einen Schnitt in seinem Leben, um das zu tun was er wirk- lich wollte: Er wurde Forscher und ging damit seinem Jugendtraum nach. Alfred Nobel: Der bedeutendste Unternehmer seit den Fuggern. Er wollte der Menschheit Gutes tun. Genau damit hatte er aber am meisten zu kaempfen. Sein Bruder starb bei einer Explosion im La- bor, sein Nitroglycerin und spaeter sein Dynamit werden eingesetzt um Menschen zu schaden. Auch er profitiert vom Krim- krieg. Am Ende vermacht er sein enormes Vermoegen der Menschheit um diejenigen auszuzeichnen die sie voran bringen. Nobel investiert alle Zeit in sein Unternehmen, zuerst um selbst zu forschen, spaeter immer mehr um es zu verwalten. Seinen Angestellten bietet er die besten Arbeitsbedingungen der damali- gen Zeit um die besten Koepfe fuer sich zu gewinnen. Sein Konzept geht auf. Sein Unternehmen floriert, und sein Vermoegen waechst. Auch er beherrschte mehrere Sprachen, in vieren davon erledigte er seine Geschaeftskorrespondenz selbst. Als Grossindustrieller war er die meiste Zeit unterwegs. Er schrieb unzaehlige Briefe. Eine Familie gruendete er nicht, dafuer liess ihm seine Arbeit keinen Raum. Drei Personen, sie alle unterschiedlich, sie alle erfolgreich, sie alle aeusserst faehig und produktiv. Wie schafft man es so viel zu schaffen? Wie organisiert man sich seine Zeit so gut um so konzentriert und umfassend arbeiten zu koennen? (Geht das heute ueberhaupt noch oder ist das eine typische Eigenschaft des 19. Jahrhunderts?) Wie schafft man es so viel zu schreiben? Und wie vereint man all das mit der Familie? Wie bringt man auch sie noch unter? Oder lebten Darwin und Schliemann gar kein Familien- leben? War fuer sie die Familie nur eine einseitige Zweckgemein- schaft? Kollidieren die Arbeit und eine Familie also doch? War diese Produktivitaet nur moeglich weil die Frau alle Fami- lienangelegenheiten uebernahm und dem Mann den Ruecken frei hielt? Ist es dann heute, wo diese klare Rollentrennung aufgeho- ben ist, ueberhaupt nicht mehr moeglich, dass Maenner mit Familie trotzdem voll in ihrer Arbeit aufgehen koennen um eine derartige Konzentration, Tiefe und Produktivitaet zu erreichen? (Von den Frauen will ich hier gar nicht erst anfangen zu schreiben, wenn auch fuer sie (fast) alles analog gelten sollte.) Die Frage ist, ob man als Mann mit Familie entgueltig gewaehlt hat oder ob man, mit guter Organisation, auf dem gleichen Niveau arbeiten kann wie jemand der auf eine Familie verzichtet oder sie ignoriert. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke