2010-09-29 gesellschaftsanalyse Aufmerksamkeit Ruhe Da wird ein Film im Fernverkehrsbus gezeigt, oder im Flugzeug. Was fuer ein Service, verkuerzt er doch den Passagieren die Reisezeit. Frueher gab's sowas nicht, oder es war Luxus, doch mit der moder- nen Technik ist das einfach moeglich. Es ist kein Problem mehr in Bussen Filme zu zeigen. Die Meisten werden das wohl als Fortschritt ansehen. Ich haette lieber keinen Film. Unser Auge ist dafuer da Bewegungen zu erkennen. Bewegung bedeu- tet Beutetier oder Gefahr. Bewegungen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Was still ist wird ignoriert. Werbung, die ja auffal- len soll, profitiert natuerlich von Bewegung -- die Menschen leiden darunter. Wer kennt nicht das Flash-Banner das man nun schon zum fuenften Mal angeschaut hat obwohl man es nicht mehr anschauen wollte? Was die Werber da mit uns machen ist nichts anderes als was die Teppichverkaeufer bei den alten Menschen machen -- Schwaechen ausnutzen. Dabei sind es gar keine Schwae- chen sondern gute Eigenschaften: Ein Auge das mehr erkennt und Menschen die gutmuetig sind. Da diese Eigenschaften aber den Besitzern zu Nachteilen fuehren, werden sie langsam aber sicher verschwinden. Eigentlich habe ich keine Lust diesen Film anzuschauen. Dadurch dass es in meinem Blickfeld aber staendig flimmert bin ich ``gezwungen'' hinzuschauen. Ich kann nicht entspannt etwas an- deres tun, denn es bedarf Beherrschung die Ablenkung zu ignori- eren. Entspannend ist es den Film anzuschauen. Das ist was gewollt ist. Ich will aber nicht. Da bestimmt jemand Anderes, dass ich diesen Film anschauen soll -- was wenn ich das aber nicht will? Nehmen wir mal an, es waere der Film zu dem Buch das ich gerade lese. Der Film wuerde mir die Spannung nehmen. Oder es waere der Film den ich nie sehen wollen wuerde. Wo bleibt die Mitbestimmung? Sie wird dem Fortschritt geopfert. Leichte Massenunterhaltung statt Individualismus. Des weiteren haelt micht der Film davon ab anderen Aktivitaeten nachzugehen. Ich kann nur mit grosser Aufmerksamkeit nebenher ein Buch lesen. Mit entspannt lesen ist nichts los. Diesen Ar- tikel zu schreiben klappt deshalb weil mich das Thema bewegt und ich davon eingenommen bin. Aber selbst hierbei werde ich abgelenkt und muss manchen Satz mehrmals konstruieren weil die Ruhe fehlt. Dadurch dass ein Film gezeigt wird wird bestimmt was ich tun werde und was ich nicht tun kann. Eigentlich wollte ich aber auf einen anderen Punkt hinaus. In unserer modernen, fortschrittlichen Welt ist ueberall Getoen und Geblink. Musik im Kaufhaus, Musik aus dem Handy eines Jugendli- chen im Bus, das akkustische Feedback beim Druecken einer Taste eines elektronischen Geraetes. Die dauerhafte Beschallung fuehrt dazu dass uns ohne Getoese etwas fehlt. Wer geht denn noch ohne Musik zum Joggen? Das Problem ist, dass man die Stille nicht ertraegt. Man hat verlernt auf den Wind zu hoeren, auf die Voegel, auf seinen eigenen Atem. Nicht anders was das Warten anbelangt. In einer Welt die immer eventbeladener wird erschreckt das einfache Zeitvergehenlassen. Es gibt Laender da warten die Menschen stundenlang. Es ist nicht so, dass sie durch das spaetere stattfinden eines Ereignisses verzoegert werden, sie verbringen ihre Zeit halt solange damit (scheinbar) nichts zu tun. Sie sitzen halt da. Ich sehe die Begrenztheit meines Lebens in der mir zur Verfuegung stehenden Zeit. Ich nutze sie meist sehr geschaeftig -- moe- glichst keine wertvolle Stunde verschwendend. Hier ist alles an- deres. Hier ist so viel Nichts, das glaubt man gar nicht. Doch die Tendenz geht klar in Richtung der Medien- und Ereig- nisueberfluteten Gesellschaft wie wir sie haben. Wer durch sein Leben hastet hat doch nichts gesehen. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke