2009-12-14 the real world Grundsatzurteile Erkennt! Ein großes rotumrandetes Warnschild ``Belagsschäden''. Es steht am Zugangsweg zu einem Platz in einer Stadt. An jedem anderen Zu- gang steht ebenso ein Schild. Die Schilder sind fest installiert; sie sollen länger dort warnen. Warnen vor Unebenheiten auf dem Boden. Der dortige Bodenbelag besteht aus, abwechselnd, Granit- Pflastersteinen und betonierten Bodenplatten. Im Laufe der Jahre haben sich die Steine unterschiedlich arg gesetzt. Dazu kommt der Einfluss der Wurzeln der Bäume. Manche Steine haben sich auch gelöst und sind durch Teerflicken ersetzt worden. Nein, es ist nicht der schönste Untergrund. Dennoch sind die Versätze der Steine kaum größer als ein Zentimeter; mehr als zwei sind es sicher nicht. Weshalb stehen diese Schilder dort? Diese auffallenden Wahrnhinweise die der Harmonie des Ortes schaden. Die offensichtliche Antwort ist: Damit niemand stolpert. Das muss man einsehen. Doch man sollte sich auch fragen warum das nötig ist, wenn die Versätze keine zwei Zentimeter groß sind. Stolpern die Leute an solchen Schwellen? Haben sie keine Augen? Heben sie die Füße nicht? Schlürfen sie durch die Stadt? Auf dem Land wären solche Versätze kaum der Erwähnung wert; eben- so in manch anderen Ländern. Dort würde man sich freuen, dass es kein Schottergrund ist. Dort stolpern die Leute doch auch nicht. Weshalb dann auf diesem Platz? Heben sie ihre Füße einfach nicht mehr wenn sie in ordentlichen Städten sind, in wilderen Gegenden aber schon? Dies mag ein netter Gedankenfaden zum Zeitvertreib sein, die Erklärung der Schilder ist er aber nicht. Ich kann es nicht wissen, doch ich bin mir sehr sicher was der eigentliche Grund für diese Schilder ist: Haftungsabsicherung. Diese Schilder dienen dazu, dass man nicht verklagt wird wenn jemand stolpert. Man verschandelt den Platz weil man Angst hat. (Ich habe schon öfter erwähnt, dass Angst keine gute Motivation ist.) Genau das Gleiche mit diesen kleinen Verbindungswegen und ihren ``Dieser Weg wird bei Glätte nicht gestreut. Benutzung auf eigene Gefahr.''-Schildern. Wie wenn man sich auf fremde Gefahr bewegen würde. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Auf diesem Weg bewegst du dich auf eigene Gefahr. Somit musst du dich auf anderen Wegen auf fremde Gefahr bewegen. (Sonst bräuchte es das Schild ja nicht.) Wenn du dich auf anderen Wegen bewegst, dann sind Andere in Gefahr ... Mir kommt das einfach nur absurd vor. (Weil es absurd ist!) Ja, und dann noch die Seen und Tümpel, deren Besitzer das Ufer mit ``Betreten der Eisfläche nicht gestattet. Einbruchgefahr.''- Schildern entstellt. Ach tatsächlich, man kann auf zugefrorenen Seen einbrechen. Mal ehrlich, wer das Schild lesen kann weiß es längst, und wer es nicht weiß, der lernt es durch das Schild auch nicht. Das Schild ist nur dafür da, falls jemand einbricht, dass der dann nicht kommen und Schadensersatz/Schmerzensgeld fordern kann. Denn woher hätte er denn wissen sollen, dass man auf diesem Eis einbrechen kann, wenn da kein Schild da war? Da kommt unweigerlich der Link zu den USA wo Lungenkrebskranke erfolgreich Tabakfirmen verklagen weil diese nicht darauf hingewiesen haben, dass Rauchen schädlich ist. Mir geht es nicht um diese eine Klage. Mir geht es nicht um dieses eine unnötige Schild. Mir geht es auch nicht um diese eine Oma die hinfällt. Mir geht es um die Urteile in solchen Fällen. Um deren Grundsätzlichkeit und die daraus resultierenden Folgen. Warum werden diese Schilder aufgestellt? Weil es wahrscheinlich ist, dass du vor Gericht unterliegst wenn dich jemand deswegen verklagt. Weil die Menschen davor Angst haben, schützen sie sich mit solchen Schildern. (Sie beruhigen ihr Gewissen damit.) Das ist wie mit den Disclaimern auf Websites: Weil ein Gericht entschieden hat, dass man als Websiteinhaber sehr schnell am Arsch sein kann, schreiben die Leute massenweise so einen, intui- tiv völlig idiotischen, Satz auf ihre Websites. Wenn man genau nachforscht, dann *hatten* verklagte Websi- tebetreiber derartige Sätze auf ihren Sites. Somit kann man nur schließen, dass sie nutzlos sind. Die einzige logische Konzequenz ist, gar nicht mehr zu verlinken. Glücklicherweise tun die Leute das nicht. Doch würden sie es tun, dann wäre der größte Nutzen des Internet zunichte gemacht. ... vor ein paar Richtern die sich der Tragweite ihrer Urteile nicht bewusst sind. Das intuitive Rechtsverständnis muss gefördert werden, denn dies ist der Weg um zukünftig Rechtsentscheidungen verständlich und treffbar zu halten. Andernfalls wird die Juristerei immer kom- plizierter und aufgeblähter werden. Die Menschen werden für ihre Gehwegstücke Warnschilder anbringen. An Bäumen werden ``Besteigen verboten''- Schilder zu sehen sein. Stühle werden mit ``Kippeln verboten'' markiert werden. ... überhaupt wird überall wo nur ir- gendetwas passieren kann -- an jedem Messer der Hinweis: ``Sich selbst schneiden verboten'' -- eine Kennzeichnung notwendig sein, denn sonst wird man verklagt. Was für eine schreckliche Vorstellung. Schlussgedanke: Ob die Wichtigkeit von Einfachheit nur für diejenigen Menschen verständlich ist, die sie ohnehin schon erkannt haben? Für mich ist es nur logisch, dass man danach streben sollte, unabhängig vom konkreten Problem. Ich fürchte nur, dass viele die (unnötige) Komplexität gar nicht als solche erkennen wenn sie vor ihnen liegt. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke