2008-02-04 the real world Polizeikontrolle nur statistische Wahrscheinlichkeiten Am Samstag erlebte ich meine erste Polizeikontrolle. Ich war in Stuttgart um mir WGs für mein Praxissemester anzuschauen und war etwas unter Zeitdruck, denn ich wollte bei der zweiten WG nicht auch noch zu spät kommen. Und auch ich lasse mich davon manchmal anstecken und fahre in der Dreißiger-Zone dann 35 km/h und sauße rasant um enge Kurven. Das muss wohl den Polizisten an denen ich vorbei gefahren bin auf- gefallen sein, denn an der nächsten roten Ampel standen sie hinter mir. Einer stieg aus, kam nach vorne, klopfte an meine Scheibe und meinte ich solle auf den Parkplatz da drüben fahren, sie wollen eine Verkehrskontrolle durchführen. Nungut, jetzt war es wirklich egal, dass ich spät dran war. Ich fuhr also auf den Parkplatz und stieg aus. Der eine Polizist überprüfte meinen Führerschein, der andere stellte mir Fragen: Haben Sie Alkohol getrunken? --- Nein. Haben Sie geraucht? --- Nein. Haben Sie Cannabis oder Ähnliches zu sich genommen? --- Nein. Wann haben Sie das letzte Mal Alkohol getrunken oder ``so Zeug'' geraucht? --- Noch nie. Nie ausprobiert? --- Nein. Er meinte ich solle das erklären, und so habe ich ihm erklärt weshalb ich mit Drogen nicht am Hut habe. Da wollte er auch wissen welcher Religion ich angehöre und ob meine Einstellung zu Drogen darin begründet ist. Ich wiederholte meine Überzeugungen in anderen Worten. Zuvorkommend erwähnte er dann, dass es kein Zufall sein, dass sie mich angehalten hatten ... sie ließen sich da schon von Vorur- teilen (lange Haare, Bart) leiten. Jedoch hätte er korrek- terweise nicht ``Vorurteile'' sondern ``statistische Wahrschein- lichkeiten'' sagen müssen! Dass man seine Bemühungen auf Wahrscheinlichkeiten stützt leu- chtet mir ein. Allerdings ging es hier (fast) nur um dieses typ- ische Kifferbild. Was ich denn normalerweise mache? --- Studium in Ulm. Was ich dann hier in Stuttgart tue? --- WG fürs Praxissemester suchen. Klar, schließlich müsse man ja auch irgendwo wohnen. --- Ja. Der erste Polizist war dann schon ziemlich überzeugt, dass ich ein ``lieber Kerl'' bin. (Wenn er nur wüsste wie lieb!) Doch der Zweite, der jetzt mit meinem Führerschein zurückkam, war nicht so schnell überzeugt. (Erster: ``Ich glaube den können wir gehen lassen.'' Zweiter: ``Hmm, wer weiß ...'') Kann natürlich gut sein, dass das nur so ein klassischer Verhörtrick war: Der gute und der böse Cop. Ich sollte also die Füße aneinander stellen, die Arme ausbreiten, den Kopf in den Nacken legen und die Augen schließen. Sie wollten rausfinden ob ich schwanke ... und ja, ich schwankte ... meine Knie waren weich und mein Puls auf 180 oder so. Mein Gott, was für ein Pseudotest! Ich frage mich, ob da überhaupt jemand in einer Stresssituation ruhig stehen kann! (Oder wollten sie wissen ob ich umfallen?) Ich habe denen dann auch gesagt, dass das kein Wunder sein kann: Ich komme von einem Vorstellungsgespräch, bin gerade in meiner ersten Polizeikon- trolle (in der ich mich fühle als müsste ich meine Unschuld beweisen), und nacher folgt gleich das nächste Vorstellungsgespräch ... kein Wunder also. Das haben sie dann gefressen ... aber rot geränderte Augen hätte ich trotzdem .... ohh mann! Ja, und was für Musik ich denn höre? Da waren zwei Rock-CDs im Auto, die ich ihnen dann gezeigt und dazu meine Vorliebe für Ol- dies kundgetan habe. Wie wohl 70% der unter 50-Jährigen finde ich auch Raggea gut ... und das hätten sie sicher gerne gehört (ein weiterer Indiz- beweis!). Ja Raggea --und lange Haare-- ... da muss man ja kif- fen! Mich würde es echt interessieren, wenn ich an dem Tag meine Woodstock-CD dabei gehabt hätte ... ich denke Scott McKenzie wäre Bob Marley gleich gekommen. Oder erst Janis Joplin und Jimi Hendrix ... Kiffer! Das Angebot eines Urintests hatten sie natürlich auch noch auf Lager. Und als ich erneut (zum 10ten Mal oder so) versicherte, dass ich noch niemals in meinem Leben Drogen zu mir genommen habe, sollte ich selbst beurteilen, ob die 7,50 Euro für die Tes- tauswertung dann sinnlos verschwendetes Staatsgeld wären. Fang- frage, klar. Das beste an der Unschuld ist, dass man sich mit solchen Fragen gar nicht erst abgeben muss. Ist mir doch scheißegal ob da jemand 7,50 Euro zahlt ... wenn er es möchte, dann soll er! Das hat dann wohl auch den anderen Polizist überzeugt, dass man bei mir nicht findet, was sie gerne gefunden hätten. (Schade, dass sowas dann ein ``Fehlschlag'' ist und nicht zeigt, dass die Gesellschaft doch gar nicht so schlecht ist, und dass Vorurteile viel seltener stimmen und dass dieser junge Herr mit den langen Haaren ein wirklich toller Typ ist.) Anschließend folgte mir der grün-weiße VW-Bus noch ein Stück. Aber wenn man freiwillig auf die Fahrspur wechselt, auf der das Verfolgerfahrzeug sowieso schon fährt, dann ist das wohl ein gutes Zeichen. Und weg waren sie. Inzwischen war ich dann eine viertel Stunde zu spät dran ... aber eine Polizeikontrolle entschuldigt ja vortrefflich! ;-) ____ Hier könnte nun Ende sein ... doch an dem Abend, und am nächsten Morgen und auch jetzt --zwei Tage später-- lässt es mich noch immer nicht ganz los. Mich hat vor allem gestört, mit welcher Selbstverständlichkeit ich als ``böser Bube'' eingeteilt wurde ... nur wegen Haare, Bart (und weil es vielleicht so aussah, also ob ich in der Dreißiger-Zone hätte schnell fliehen wollen). Da war der Begriff ``Vorurteil'' schon treffender als ``statistische Wahrscheinli- chkeit'', denn bei Wahrscheinlichkeiten ist zumindest jedem bewusst, dass man auch mit Ausnahmen rechnen muss! Ich hätte schon erwartet, dass man mit mir erst mal etwas freundlicher umgeht -- wenn sich ein Verdacht erhärtet, kann man ja immer noch streng werden. Auch dass ich im Gespräch und bei diversen statistischen (oder Vorurteils-)Fragen meine Unschuld beweisen sollte um mich aus dem ``böser Bube''-Image rauszuarbeiten, entspricht nicht gerade der Philosophie des deutschen Rechts. Ja ich verstehe, dass man bei dieser Polizeitätigkeit auch mal gleich von Beginn an Stärke zeigen muss .... aber nur weil ich lange Haare und einen Bart habe!!?? Die Polizei -- Dein Freund und Helfer! ... dem Image hat es auf jeden Fall geschadet! Allerdings glaube ich auch kaum, dass in Ulm eine Polizeikon- trolle gleich abgelaufen wäre. Dort, vermute ich, hätte ich etwas mehr Menschlichkeit gefunden ... und diese Vorstellung beruhigt mich doch etwas. (Anm: Die Fragen und Aussagen der Polizisten entsprechen meiner Erinnerung oder sind auch nur sinngemäß. Bis auf das ``Vorur- teil'' war ihre Wortwahl in Ordnung.) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke