2007-04-28 herz und hirn Entscheidungsfindung Von des Gedankens Blässe ``Die Logik des Misslingens -- Strategisches Denken in komplexen Situationen'' ist ein Buch von Dietrich Dörner auf das ich während meines Studiums aufmerksam wurde. Es stellt in vielen analysierten Experimenten die Unzulänglichkeiten des Menschlichen Denkens sehr anschaulich dar. Ich habe dieses Buch mit großem Interesse gelesen. Ein Sachverhalt hat mich dabei besonders angesprochen: Wer viele Informationen bekommt, viel denkt und dadurch viele Informationen über einen Sachverhalt anhäuft, der hat es mitunter nicht leichter, sondern schwerer, zu einer klaren Entscheidung zu kommen. Dem Nichtwissen- den stellt sich die Welt einfach dar. Wenn man auf die Sammlung von Informationen mehr oder minder verzichtet, hat man es leicht, ein klares Bild von der Realität aufrechtzuerhalten und sich dementsprechend auch klar zu entscheiden. Es gibt wohl in bestimmten Fällen eine ``positive Rückkopplung'' zwischen dem Ausmaß an Informationen über eine Sache und der Unsicherheit. Wenn man über eine Sache überhaupt nichts weiß, kann man sich ein einfaches Bild von dieser Sache machen und damit operi- eren. Sobald man aber ein wenig Information gesammelt hat, gerät man in Gefahr. Man merkt, was man alles noch nicht weiß, bekommt das starke Bedürfnis nach noch mehr Wissen, sammelt weitere Informationen, merkt noch mehr, dass man eigentlich fast überhaupt nichts weiß ... Das sich selbst verstärkende Gefühl der Unsicherheit und Unbestimmtheit, welches sich so ergibt, ist der Grund für nie vollendete Diplom- und Doktorarbeiten und nie zu einem Abschluss gebrachte wichtige Bücher. An die Stelle des klaren Wissens, das auf dem Glauben gründet, das richtige Bild von der Welt zu haben, wer- den durch die Ansammlung von Information Zweifel und Unsicherheit gesetzt. Hängt das Waldsterben wirklich vom sauren Regen ab? Wovon ist der saure Regen abhängig? Nur vom Autoverkehr? Von welchen Dingen sonst noch? Wie ist das überhaupt mit dem Wurzel- geflecht der Bäume? Wie funktioniert die Nahrungsauf- nahmen von Pflanzen und Bäumen genau? Je mehr man weiß, desto mehr weiß man auch, was man nicht weiß. ... und es kommt mir vor, als blicke ich dabei in einen Spiegel. Ich weiß, dass ich entscheidungsunfreudig bin, weil genau dieses Verhalten auf mich passt. Ist dies denn nicht typisch für Philosophen? (vgl. Sokrates: ``Ich weiß, dass ich nicht weiß'') Vom Hundertsten zum Tausendsten um danach bei Null herauszukommen. Denken um des Denkens Willen. Ja, als Hobby und Zeitvertreib ... aber was ist mit dem tatsächlichen Leben? Kaufentscheidungen die monatelange Pro- duktvergleiche bedarfen. ``Mir egal'' da man sich nicht entscheiden kann ob man lieber ins Kino oder an den Baggersee möchte. Und Fragen werden statt mit (klaren) Aussagen, mit Erörterungen der Lage beantwortet ... Es muss schlimm sein, mit solchen Menschen zu leben, weiß man doch nie so recht woran man denn ist. Man sucht ihre Umrisse und findet nur verschwommene Linien. Und es drängt sich die Frage nach dem Charakter auf. Wo sind denn die Ecken und Kanten die einen Charakter ausmachen? Wo erscheint die Person als Objekt? Derartige Menschen fließen durch diese Welt, sie sind dynamisch ... nicht zu greifen. Will man sie erfahren, so muss man sie suchen, beobachten, mit ihnen reden. Ihre Werte, Ecken, Kanten und ihr Charakter liegen dynamisch in der Zeit .... Aber um zum Text zurückzukehren: Das sich selbst verstärkende Gefühl der Unsicherheit und Unbestimmtheit, welches sich so ergibt, ist der Grund für nie vollendete Diplom- und Doktorarbeiten und nie zu einem Abschluss gebrachte wichtige Bücher. Und mögen die Gedanken noch so groß und umfassend sein, es sind Gedanken und Gedanken schweben in Köpfen. Es ist das Bewusst- sein, dass das eigene Wissen so unvollständig, so unvollkommen ist, das die Gedanken nicht materialisieren lässt. Man schreibt nicht, weil man dem Thema nicht gerecht wird (Das glaubt man zumindest), weil man gute Bücher/Artikel schreiben möchte, weil man keine Notizen veröffenltichen möchte, ... Man schreibt nicht, weil man noch nicht fertig mit denken ist. Und deshalb sind die Doktorarbeiten unvollendet und deshalb sind die wichtigen Bücher nicht geschrieben. Gestern Abend erst habe ich das Geheimnis hierzu am Telefon weitergegeben -- es ist nämlich ganz simpel: Man muss einfach nur anfangen! Es ist gar nicht nötig ``perfekte'' Resultate abzuliefern, aber es ist wichtig überhaupt etwas weiterzugeben! Das Ziel ist nicht stille Arbeit für ein perfektes Ergebnis. Stattdessen muss ein Anfang gemacht werden, der sich dann (mit Hilfe von Anderen) zu einem guten Ergebnis entwickelt. Wir brauchen Anstöße -- keine Antworten! Mir fällt es selten leicht so zu handeln, da meine natürliche Vorgehensweise eben wie anfangs beschrieben ist. Aber ich habe erkannt, dass es so ist und strebe nach Besserung. apov ist dabei für mich eines dieser guten Projekte. Es ist das was ich in Buchform wohl nie verfassen werde. apov existiert und regt Menschen an -- das zugehörige Buch, und könnte es noch so vollkommen werden, wohl niemals. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke