2019-12-28 the real world Buecher 2019 Was ich gelesen habe Erfreulicherweise schaffe ich es dieses Jahr wieder meinen Buecherrueckblick noch am Ende des Jahres zu schreiben und nicht erst im Januar oder gar Februar. Ich denke, das war ein richtig gutes Buecherjahr fuer mich ... aber wir werden es gleich herausfinden. Also, los geht's! 1) Stephen King: Langoliers [de] Das Jahr ging los mit einem Buch von Stephen King. Das ist schon mal nicht schlecht. Es war gar nicht so einfach gewesen das Buch zu finden, da es im Sammelband ``Four Past Midnight'' veroef- fentlicht worden ist, obwohl es selber gut 300 Seiten hat. (Ueber die Rokoko-Kapitelzusammenfassungen habe ich an anderer Stelle schon geschrieben. [0] ) 2) Klaus Theweleit: How does it feel [de] Dann ein Buch mit Geschichten zu Bob Dylan. Ich fand es interes- sant zu lesen. Immer wieder konnte ich mich wiederfinden, so auch in diesen Zeilen: Endlich, endlich hatte ich eine Stimme gefunden, die mein Verlangen artikulierte, meine Gedanken und meine Verletzlichkeit. Interessant war vor allem Heinrich Deterings Text ``Pastiches and Montagen'', der Dylans Verstaendnis von Musik als gemeinsames Kulturgut, das besonders durch die immer wieder neue Verarbeitung lebt, gut darlegt. 3) T.C. Boyle: The Tortilla Curtain [en] Den Februar ueber und einen Teil des Maerz habe ich dieses Buch gelesen. Gefunden habe ich es bei einem Buechereiflohmarkt, bei dem ein kleiner Stapel englischer Buecher rumstand. Es sah ganz unscheinbar aus. Da der Autor mit vollstaendigem zweitem Namen auf dem Titel stand, habe ich ihn gar nicht erkannt. Vermutlich haben mich nur die Worte ``a powerful novel about racism and pre- judice'' auf dem Backcover gekoedert. Gefunden habe ich dann ein unglaubliches Buch. Auf dem Cover steht: ``A thundering good read'' ... und das stimmt vollkommen! 4) Vicki Baum: Menschen im Hotel [de] Das Buch hat wohl den langweiligsten Titel, den man sich vorstel- len kann. Scheinbar so langweilig, dass ich es dann wegen eben seiner Langweiligkeit beim Buecherflohmarkt mitgenommen habe. Ein gebundenes Buch von 1957 -- auch das sicher ein Grund. Viel erhofft habe ich mir nicht, als ich es mir im Maerz vorgenommen habe ... gefunden habe ich aber ein wunderbares Portrait einer Gesellschaft von Personen ... in der seltsam abgeschlossenen Welt Hotel. Viel philosophische Betrachtung ... ``Ja, wie stellen Sie sich das mit dem Leben vor?'' erwiderte darauf Dr. Otternschlag. ``Gibt es das Leben ueberhaupt, wie Sie sich das vorstellen? Das Eigentliche geschieht immer woanders. Wenn man jung ist, denkt man: Spaeter. Spaeter denkt man: Es ist dort, in Indien, in Amerika, am Popocatepetl oder son- stwo. Aber wenn man dort ist, dann hat sich das Leben gerade weggeschlichen und wartet ganz still hier, hier, von wo man davongerannt ist. Mit dem Leben geht es, wie es dem Schmetterlingsjaeger mit dem Schwalbenschwanz geht. Wenn man ihn fortfliegen sieht, ist er wunderbar. Wenn man ihn gefangen hat, sind die Farben abgegangen und die Fluegel laediert.'' [1] 5) Andrea Wulf: Die Vermessung des Himmels [de] Ich habe ja eigentlich ihr Buch ueber Humboldt bekommen und mein Papa dieses, gelesen haben wir sie dann genau anders rum. Ich fand die Geschichten zum Venus-Transit super spannend. Das war vom Leseerlebnis so aehnlich wie als ich Darwins ``Reise eines Naturforschers um die Welt'' gelesen habe (nur etwas leichter und moderner geschrieben). Da zeigt sich schoen, dass es nur eine gute Geschichtenerzaehlung braucht, um so ein Ereignis spannend zu machen. 6) Roberto Bolaño: 2666 [de] Im April dann das Monsterwerk ``2666''. Knapp 1200 Seiten. Auf Seite 30 einen sechseinhalb Seiten (!) langen Satz! Mehrere Teile mit verbundenen Geschichten -- aehnlich wie ``Der Dunkle Turm'' -- die Teile aber sehr unterschiedlich. Teilweise noch unfertig und roh in ihrer Art. ... ein wahres Monster. Nicht fuer An- faenger geeignet. Aber durchaus lohnenswert fuer die, die damit klarkommen. Das Schoene: ``Jeder von uns moechte dich heiraten, mit dir leben, Kinder von dir haben und mit dir alt werden, aber jetzt, in diesem Moment unseres Lebens, wollen wir nur eins: Uns deine Freundschaft bewahren.'' [2] Das Wahre: ``Es geht nicht darum, zu glauben'', sagte Ansky, ``sondern darum, zu verstehen und dann zu veraendern.'' [3] Und das koennten meine Worte sein: Und wenn man ihn fragte, weshalb er zurueck gekehrt sei, zitierte er oft Tacitus: ``Wer haette auch -- abgesehen von den Gefahren des schrecklichen und un- bekannten Meeres -- Asien oder Afrika oder Italien ver- lassen und Germanien aufsuchen wollen, landschaftlich ohne Reiz, rauh im Klima, trostlos fuer den Bebauer wie fuer den Beschauer, es muesste denn seine Heimat sein?'' [4] 7) Minette Walters: Das Echo [de] In den letzten Apriltagen dann noch dieser Krimi. Ganz in Ordnung, aber im Nachklang von ``2666'' verschwindend. 8) Gerald M. Weinberg: Introduction to General Systems Thinking [en] Im Mai brauchte ich ein Sachbuch zum Ausgleich. Vorgenommen habe ich mir Weinberg, weil ich mehr von ihm lesen will. Im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren geht er ganz an die Grundlagen. Er beginnt wirklich bei der Basis, bevor er auf hoeheren Ebenen ir- gendwelche Aussagen taetigt. In dem Buch geht es 250 Seiten lang um Wahrnehmung, Methoden dafuer und interne Modellbildung. Fuer ihn ist fundamentales Verstehen entscheidend. Das mag ich an Weinberg. Er macht mein Bilder der Welt expliziter. We have observed that reduction sometimes works, but to be objective, we must admit that other methods some- times work too. Because we are scientists, we believe that our methods will work more often, but there is no hard scientfic evidence for that -- only faith. Our methods work fairly often when we try them, but let us be honest about it. When they do not work on something, we soon stop trying. [5] Das ist ein Verstaendnis von Wissenschaft und sogenannten Natur- gesetzen, das man sich immer wieder bewusst machen sollte. (Ja, das ist ernuechternd ... aber ehrlich ... und darum wichtig.) 9) Klaus Modick: Der kretische Gast [de] Im Juni wieder ein Roman, um mich von dem anstrengenden Sachbuch zu erholen (das ja eigentlich ein Ausgleich zum anstrengenden Ro- man hatte sein sollen ;-) ). Dieses Buch hat mich wegen seiner Unaufgeregtheit angesprochen: Mal kein reisserischer Titel, mal kein aufmerksamkeitshaschendes Cover ... sondern einfach Ruhe ... und hoffentlich eine gute Geschichte. Das war sie, eine gute Geschichte. Genau richtig zu der Zeit. Spannend, informativ, schoen, nachdenklich, fluessig zu lesen. Ein besseres Buch als es den Anschein macht. 10) Björn Süfke: Männer [de] Dieses Buch hat mir eine Frau geschenkt. Ich selber haette mir das Buch, wohl einfach wegen des Titels, nicht gekauft. Der In- halt war aber richtig gut. Thaddäus Troll hat mir die schwae- bische Kultur explizit dargelegt, Björn Süfke hat dies mit dem Maennerrollenbild getan. Es waren doch einige Aha-Momente dabei, in der Art, dass ich dann greifen konnte, was bisher nur im Un- tergrund vorhanden war. Besonders gut finde ich seinen Fokus darauf, das Geschlecht zu ueberwinden, indem wir seine Bedeutung reduzieren. Wir sollten nicht die Geschlechter staerker herausar- beiten, sondern unsere Gesellschaft unabhaengig vom Geschlecht organisieren. Das Geschlecht sollte einfach keine Rolle mehr spielen ... egal werden. 11) Michael Crichton: Expedition Kongo [de] Ebenfalls im Juni habe ich diesen Roman von Crichton gelesen. Ein spannendes Buch von 1980 mit einem leichten Hauch Fantasy und einer guten Portion Naturzerstoerungskritik. 12) César Aira: Gespenster [de] Dieses Buch hat mich mit seinem minimalistisch grauen Cover angesprochen ... dazu kam der argentinische Schriftsteller. Ich habe es Anfang Juli gelesen. Das Buch ist recht kuenstlerisch, in der Form, dass man es betrachten muss wie ein Gemaelde: Es gibt das Offensichtliche und noch irgendwas dahinter. Ob man das fin- det, versteht oder erfolglos sucht, ist nicht ganz klar. Viel- leicht sollte man es auch nur bewundern, bewusst ohne zu denken ... So ganz klar war mir das nicht, aber das Buch war nicht schlecht ... ein seltsames Ding, an dem aber schon etwas dran ist ... und sei es nur das seltsame Setting, die Supermarkt-Szene, die Alltaeglichkeit, die ... hmm, vielleicht ist das letztlich dann halt doch (Nord-)Argentinien fuer mich ... und es hat mich deshalb beruehrt. Der Kommentar zu Santiago del Estero ist grandios: Soria fing an, ueber die Leute aus Santiago del Estero herzuziehen, und man schenkte ihm eine eher spoettische Aufmerksamkeit. Er erzaehlte, sie wuerden das Bier dort warm trinken. Ach ja? Woher er das denn wuesste? Er sei da gewesen, natuerlich nur auf der Durchreise, keine zehn Pferde haetten ihn laenger als noetig in dieser heissen Einoede halten koennen. [6] 13) Bernstein & Woodward: All the President's Men [en] Ueber die Watergate-Affaire wollte ich schon lange mehr erfahren. Im Juli hat das Buch perfekt zu meiner eigenen Situation gepasst. He would not work for the White House again even if asked to come back. He wished he were in Bernstein's place, wished he could write. Maybe then he could ex- press what had been going through his mind. Not the cold, hard facts of Watergate necessarily -- that wasn't really what was important. But what it was like for young men and women to come to Washington because they believed in something and then to be inside and see how things worked and watch their own ideals disin- tegrate. He and his wife believed in the same things they had before they came to Washington. Many of their friends at the White House did, too, but those people had made a decision that you could still believe in the same things and yet adapt yourself. After all, the goals were unchanged, you were still working for what you be- lieved in, right? People in the White House believed they were entitled to do things differently, to suspend the rules, because they were fulfilling a mission; that was the only important thing, the mission. It was easy to lose perspective, Sloan said. He had seen it happen. He and his wife wanted to get out of Washington before they lost theirs. [7] Obwohl es eine Geschichte ueber eine bestimmte Sache um Nixon ist, ist es eigentlich ein Spiegel fuer Politik im Allgemeinen. Daran sollte sie sich messen muessen, mit Beweislastumkehr. 14) Juli Zeh: Spieltrieb [de] Nach dem belastenden Buch und in meiner belastenden Situation wollte ich dann eine Geschichte, die mich wegreisst. Das hat dieses Buch gut geschafft. Es hat mich mitgenommen, soviel ist sicher. Davor hatte ich noch nichts von Juli Zeh gelesen. Aber da Katja meinte, Indra wuerde Juli Zeh gut finden, wollte ich gerne etwas von ihr lesen, um zu sehen, wie das waere. In der Buchhandlung habe ich mich dann fuer dieses entscheiden. Mir scheint, mir war schon klar, dass der Moment kommen wuerde, wo so ein ``haerteres'' Buch passend sein wird. Das Buch hat mir einiges aufgetischt und abgefordert ... es ist vielschichtig und tief ... aber auch jugendlich, leichtfertig, ueberheblich, intelligent witzig ... immer gerade an der Grenze, man kann sich nie sicher sein. ``Genau wie ihr'' antwortete Ada, so schnell als lese sie ihren Dialogpart von einem Skript ab, ``habe ich von nichts eine Ahnung. Das aber mit erheblich hoeher- er Geschwindigkeit.'' [8] 15) Orson Scott Card: Ender's Game [en] Anfang August hatte ich Lust, ``Ender's Game'' wieder zu lesen, nur den ersten Teil (weil der der beste ist). Ich wollte mich mit Ender beschaeftigen ... mit seiner Besonderheit. Und daneben ist es einfach eine tolle Geschichte. (... die man unbedingt ohne jegliches Vorwissen lesen muss ... einfach reinstuerzen und sehen was passiert.) 16) Scott O'Dell: Insel der blauen Delfine [de] Ebenfalls im August habe ich diesen Jugendroman gelesen. Er war in meiner Kindheit auf einer Sommerfreizeit die Gute-Nacht- Geschichte. Ich erinnere mich noch immer lebhaft an ein paar Szenen. Als Erwachsener wollte ich die Geschichte nochmal lesen und meine Erinnerungen einordnen. Als Kind war es natuerlich ein- drucksvoller, als Erwachsener hat mich mehr die reale Hinter- grundgeschichte und die philosophische Betrachtung der Situation interessiert. 17) Alison Bechdel: The Essential Dykes to Watch Out For [en] Dieses Buch hat mich seit Juni begleitet. Katja hatte mir mehrfach davon erzaehlt (vorgeschwaermt) ... und sie hatte recht. Keine Ahnung, was ich dazu schreiben soll. Ein grosses Werk. Ich konnte es nachts kaum beiseite legen. Es ist so voll aus dem Le- ben ... mit Freude und Leid, Wut und Liebe. 18) Jardine Libaire: Uns gehoert die Nacht [de] Gefunden habe ich das Buch, das ich im September gelesen habe, in einer netten Buchhandlung in Schwerin. Dort lag es in einer Kiste mit Empfehlungen der Mitarbeiter. Das Buch zeigt schoen die Charakteristika eines Lebens in der Unter- bzw. Oberschicht und was passiert wenn beides zusammentrifft, auf der einen und auf der anderen Seite. Die gesellschaftliche Verortung ist weit weniger egal als uns bewusst ist. 19) Haruki Murakami: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede [de] Dieses Buch habe ich (ueber einen Umweg) von Simone uebernommen. Von Murakami will ich schon laenger was lesen ... seit mir Markus V. ein Jahr zuvor geschrieben hat, dass er viel von Murakami lesen wuerde. Einen ersten Roman von ihm habe ich schon da stehen, bloss war noch nicht der passenden Zeitpunkt um ihn zu lesen. Da ist mir dieses Buch ueber den Weg gelaufen. Natuerlich war's wieder zuerst das Coverbild -- grossartig! --, dann der Au- torenname, dann das Thema: Laufen und sein Leben (als Schrifts- teller). Mir hat das Buch sehr zugesagt. Ich finde mich darin an vielen Stellen wieder: Bis dahin war es stets eine Frage der Ehre fuer mich gewesen, niemals zu gehen, ganz gleich, wie schwer es mir fiel. [9] Ebenso: Wie gesagt, bedeutet Schreiben Denken fuer mich, wie fuer die meisten Menschen, die berufsmaessig schreiben. Es ist also nicht so, dass ich meine Gedanken in Worte fasse, sondern ich denke, waehrend ich etwas verfasse. Die Taetigkeit des Schreibens regt mein Denken an. Beim Ueberarbeiten und Umschreiben vertiefen sich meine Gedanken. [10] 20) Scott Chacon: Pro Git [en] Parallel zu den letzten Buechern habe ich mir dieses Computerbuch vorgenommen. Ich wollte git besser verstehen. Dafuer ist mir ein Buch am liebsten. Das lese ich dann auch von vorne bis hinten durch. Der mit Abstand wertvollste Abschnitt war das Kapitel ``Git Internals''. Dort habe ich git dann so richtig verstanden. Nichts hilft dem Verstaendnis so sehr wie die grundlegende Desig- nidee zu erfassen. Das ist die hochwertigste Verstaendnisinforma- tion. 21) Julian Barnes: The Only Story [en] Zum Abschluss des September hatte ich wieder Lust auf einen en- glischen Roman. Diesen hatte ich in Goettingen gefunden. Angesprochen haben mich diese Zeilen vom Backcover: Would you rather love the more, and suffer the more; or love the less, and suffer the less? That is, I think, the only real question. Das Buch hatte es ganz schoen in sich. Wieviel muss man erlebt haben, um so ein Buch schreiben zu koennen? ``But she's still the same unterneath. She's still the same underneath.'' How many times did you tell this to others, when the person you were actually addressing was yourself? [11] Die Betrachtung eines ganzen Lebens -- das ist eine Dimension, die einen ueberfordert. Wie soll man diese Last ertragen? So viel Last, und doch keine Antworten. One entry in his notebook was, of course: ``It is better to have loved and lost than never to have loved at all.'' That was there for a few years; then he crossed it out. Then he wrote it in again; then he crossed it out again. Now he had both entries side by side, one clear and true, the other crossed out and false. [12] 22) Stanisław Lem: Solaris [de] Im Oktober war Gelegenheit, dieses Buch zu lesen. Den Film habe ich schon vor einigen Jahren gesehen, zur gleichen Zeit wie Ku- bricks ``2001: Odyssee im Weltraum''. Arthur C. Clarkes literar- ische Vorlage zu letzterem habe ich bereits 2015 gelesen. Ich finde, dass Verfilmung und Buch bei ``Solaris'' sich mehr entsprechen als bei ``2001''. Kubricks Klarheit und Ordnung fehlt der Solaris-Verfilmung. ``Solaris'' finde ich als Buch besser verstaendlich. Dennoch darf man nicht glauben, es waere ein ein- faches Buch. Menschen suchen wir, niemanden sonst. Wir brauchen keine anderen Welten, wir brauchen Spiegel. Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen. Uns genuegt unsere eine, und schon ersticken wir an ihr. [13] Und ebenso zeitgemaess: Das sollte in Wahrheit etwas noch Grausameres sein als Rache: es ging um die Zerstoerung dessen, was wir nicht begreifen koennen. [14] 23) Anthony McCarten: Licht [de] Dann mal wieder ein leichteres Buch, zumindest eines, das sich fluessig und leicht lesen liess. Tatsaechlich ging es um Geld, Macht und Korruption, also auch nicht das leichteste Thema, aber mit einer leichteren Melodie vorgetragen. Damit, dass man die Welt verbessert, verdient man kein Geld. Nur mit ihrer Zerstoerung. [15] Oeffentliche Anerkennung solle denjenigen vorbehalten sein, die etwas fuer das Allgemeinwohl getan haetten. Denkmaeler solle man Wohltaetern errichten, nicht Pro- fiteuren. [16] 24) Siri Hustvedt: Die Gleissende Welt [de] Dann im November ein Buch mit einer komplexen Melodie. In keiner Weise leicht, sondern durchweg anspruchsvoll. Irgendwas zwischen fast realistisch wirkender Biographie und feministischer Gesellschaftskritik in einem Kunstwelt-Setting. Schwer zu greifen. Auch schwer zu verarbeiten, aber klar in seiner Aus- sage. Burdens Werk hatte er jedoch als wirr und naiv abgetan, genau das Gegenteil von dem, was es tatsaechlich war. Mir wurde klar, dass er zu einer unvoreingenommenen Beurteilung nicht imstande gewesen war, weil ihm, obwohl er sich etwas auf seine Kultiviertheit einbil- dete, die Vieldeutigkeit ihrer bedacht aufeinander abgestimmten Texte entgangen war und er seine eigene Desorientiertheit auf das Werk projiziert hatte. [17] Nicht ins normale Schema zu passen, schliesst einen aus, egal wie gut man ist. Sie wusste zu viel, hatte zu viel gelesen, war zu gross, hasste fast alles, was ueber Kunst geschrieben wurde, und korrigiert die Fehler anderer. Harry er- zaehlte mir, frueher habe sie andere nie berichtigt. Jahrelang hatte sie dabeigesessen und schweigend zugehoert, wie Leute Bezuege, Daten und Namen von Kuen- stlern durcheinanderbrachten, aber inzwischen hatte sie die Nase voll davon. [18] Still ertragen ist keine Loesung. Den Mund aufmachen auch nicht. Sie ist so ermuedend, so verrueckt, so demuetigend, diese Welt des Gewinnens und Verlierens und des Spiel- chenspielens [...] [19] Und so irrsinnig, diese Welt! Aber Harry konnte es nicht aufgeben. Im Ertrinken klam- merte sie sich wild an dieses zersplitterte, kleine, auf dem Ozean vor sich hin duempelnde Stueck Mast, das wir Gerechtigkeit nennen. Natuerlich gibt es die nicht, oder nur selten, und sie fuer ein Rettungsboot zu halten, ist ein grosser Fehler. [20] Es ist leider allzu realitaetsentsprechend, und das ist das schwer Ertraegliche an diesem Buch. 25) Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens [de] 2007 habe ich es das erste Mal gelesen, als wohl einziges Buch, das ich aus dem Wirtschaftsteil meines Studiums in mein Leben mitgenommen habe. Damals habe ich es von meinem Prof ausgeliehen. Jetzt wollte ich es wieder lesen, weil ich mich an die darin dar- gelegte Schwierigkeit (oder Unfaehigkeit) der Menschen, mit trae- gen Systemen klar zu kommen, erinnern musste. Man kann das Buch ruhig alle paar Jahre mal lesen, um sich an die verschiedenen Muster zu erinnern. Kaum werden sie aufgezeigt, erkenne ich sie wieder in der Welt um mich herum: Reparaturdienstverhalten, Loy- alitaet im Jagdzimmer, usw. Das Buch passt gut zu dem von Wein- berg ... es geht um Systeme, um Dynamiken, um Wahrnehmung ... und vielleicht auch einfach darum, unsere eigene Begrenztheit zu realisieren ... gleichzeitig aber unsere Faehigkeiten zu ver- bessern. 26) Bill Beverly: Dodgers [en] Das dritte November-Buch habe ich in einem Verlagsprospekt gesehen, dann aber auf englisch gebraucht gekauft. Ein cooles Buch. Daraus koennte man einen tollen Film machen ... so in ``Ocean's Eleven''-Art oder was von Tarantino/Rodriguez. Un- terhaltsam! 27) John Grisham: The Rainmaker [en] Wo das Englisch-Lesen schon so Spass gemacht hat, im Dezember gleich noch einen englischen Roman, der bereits laenger im Regal stand. Wie bei Ken Follett, Stephen King und Michael Crichton ist auch bei John Crisham recht klar was man bei ihm bekommt, nur wie man es bekommt weiss man nicht ... und langweilig wird es nicht, weil sie alle die Umsetzung perfektionieren. Im Detail gibt es so viel Fuelle. Schoen war die Gelassenheit des Protagonisten: Mr. Leo F. Drummond may be a litigating wizard, and he may have countless minions, at his beck and call, but I, Rudy Baylor, have nothing else to do. I'm bright and I can work. He wants to start a paper war with me, fine. I'll smother him. [21] Grisham legt die Funktionsweise des Systems schoen offen: Great Benefit's lawyers will be paid a ton of money to confuse the issues, to muddle the facts, to hopefully strangle the judge and later the jury with red her- rings. That's their job. That's why Drummond rambled for thirty-one minutes and said nothing. My version of the facts and the law will always run shorter. My briefs and arguments will remain clear and to the point. Surely, someone down the line will appre- ciate this. [22] Sowas sollte einem in der Schule bewusst gemacht werden: Es ist alles nur ein Spiel, es geht nicht um Gerechtigkeit, sondern um ueberzeugendes Gelaber, um eine gute Show. So gesehen passt der Film ``Thank you for Smoking'' gut zu den Buechern, die ich dieses Jahr gelesen habe. Wir leiden alle gemeinsam an einer gesellschaftlichen Wahrnehmungsverzerrung. Wir reden uns staendig gegenseitig (und den Kindern) ein, dass es etwas gaebe, das es nicht gibt, statt offiziell die Realitaet anzuerkennen ... oder, alternativ, etwas gegen diese Scheisse zu tun. 28) Brian Kernighan: Unix: A History and a Memoir [en] Vor 50 (!) Jahren wurde Unix entwickelt. Zum Jubilaeum hat Brian Kernighan dieses Buch geschrieben. Michi hat mich erneut auf die TUHS-Mailingliste hingewiesen, die ich frueher regelmaessig, dann aber nicht mehr gelesen habe. Ploetzlich war dort die Hoelle los. Der Rummel um 50 Jahre Unix hat auch dort fuer Betriebsamkeit gesorgt. Dort wurde das Buch erwaehnt, das ich natuerlich kaufen musste (im Amazon-Selbstverlag erschienen). Der Inhalt war wie zu erwarten eine Mischung aus Salus' ``Quarter-Century of Unix'', gepaart mit TUHS-Geschichten und was man sonst so in Exkursen in Unix-Buechern oder sonstwo im Internet liest. Ich wuerde sagen, dass ich 80% der Unix-Geschichten schon mal irgendwo gelesen hatte. Aber es schadet nicht, sie erneut zu lesen, daran erinnert zu werden, die Zusammenhaenge neu dargelegt zu bekommen. Darueber hinaus bot der Blick auf die Bell Labs mit dem dort vor- geherrschten Umfeld auch Neues. Ich hatte zwar auch darueber schon manches gelesen, aber nie so en bloc. Das Buch ist also genau das was es IMO sein soll: Ein kompakter Rundumschlag zu al- lem was Unix betrifft, mit einem starken Fokus auf das fruehe Unix und die Umgebung und Personen dieser Zeit. Zu lesen ist es so erstklassig wie jedes von Kernighans Buechern. This is a common Unix story: a real problem from a real user, deep knowledge of relevant theory, effective en- gineering to make the theory work well in practice, and continuous improvement. It all came together because of broad expertice in the group, an open environment, and a culture of experimenting with new ideas. [23] 29) Tom Limoncelli: Time Management for System Administrators [en] Weil ich gerade so Lust auf Computer hatte, dann noch ein Buch mit Computerbezug ... vielleicht auch weil ich das gerade besonders noetig habe: Zeitmanagement. Lustigerweise war Tom Limoncelli auch mal an den Bell Labs. Die Labs waren schon ein unglaublicher Magnet fuer besonders gute Leute ... oder fuer Mensche mit viel Potenzial, die dann durch diese Umgebung erst so richtig gut geworden sind. Wie auch immer. Das Buch enthaelt eine Menge guter Inspiration, nicht nur um sein Zeitmanagement in den Griff zu bekommen, sondern ebenso um die Arbeit oder das eigene Team zu organisieren. In jedem Fall lesenswert. Im Gegensatz zu vielen Umgebungen um mich herum, [24] aber in Entsprechung mit meiner eigenen Meinung: People not following directions is usually a warning sign that the directions are not clear to them, aren't visible enough, or that the directions don't work. [25] Die meisten sind dieser Sichtweise gegenueber voellig ignorant. 30) Alexander Pechmann: Sieben Lichter [de] Ein schoenes Buch, in Leinen gebunden, dafuer auch zum Premi- umpreis. Laut Backcover eine Hommage an die Geschichten von Stevenson, Kipling und Doyle ... basierend auf einer wahren Gege- benheit. Das Buch war teilweise ganz schoen gruselig ;-) in Summe aber mehr die Verwirklichung eines Autorentraums als ein Leserhit. Nicht schlecht, schon okay. Die 17 Euro war es nicht wert. Lieber ``Die Schatzinsel'' fuer 1,- gebraucht kaufen. Das Buch habe ich lange vor mir hergeschoben, weil ich dachte, dass es wohl schon was Gutes sein wird, wenn 170 Seiten 17,- kos- ten, und das erwartete Vergnuegen wollte ich geniessen, was bei so wenigen Seiten gar nicht so leicht ist, denn wenn man Zeit hat ist es gleich ausgelesen und wenn man wenig Zeit hat, kann man in Gedanken nicht dabei bleiben. Loesen laesst sich das eigentlich nur dadurch, dass das Buch so intensiv ist, dass man oft Pause machen und nachdenken muss (wie bei Hesse, beispielsweise). Jetzt fuer die letzten paar Tage des Jahres hat es aber gerade so noch reingepasst -- d.h. in die Zeitspanne, die das Schreiben dieses Buecherrueckblicks umfasst. Damit waren es 30 Buecher dieses Jahr (nach 28, 16, 22, 33, 26, 13, 15, 21 in den Vorjahren), also eine eher wieder grosse An- zahl. Das sind 2,5 Buecher pro Monat. Am meisten Zeit hat, wie mir scheint, das Buch von Weinberg eingenommen. Das dickste war hingegen ``2666'', woran ich auch die meiste Zeit gelesen habe, doch hatte ich da Urlaub, weshalb ich nicht mal einen Monat dafuer gebraucht habe. Das ist, wie ich schon ein paar Mal gesagt habe, ein fuer mich gutes Lesetempo: 800-1100 Seiten in rund einem Monat. Die Buecher zu kategorisieren faellt mir schwer, weil es mehrere gibt, die nicht mehr ganz Roman und schon ein bisschen Sachbuch sind. Wenn ich mich jeweils festlege, dann komme ich auf 19 Romane, 6 Sachbuecher, 4 Computerbuecher und 1 Comic. Nebenbei habe ich auf dem Klo das Jahr ueber noch eine Menge Haegar- Cartoons angeschaut (und sie wunderbar treffend gefunden). 19 Buecher waren auf Deutsch, 11 auf Englisch. Vor allem die Nicht-Romane waren auf Englisch. Und was bringt das neue Jahr? Mein Stapel ungelesener Buecher ist derzeit wieder etwas dicker. Darunter ein Buch, das ich erst lesen will, wenn Schnee liegt, um mich besser in das Szenario hineinversetzen zu koennen. Im Januar, im Urlaub, habe ich mir ueberlegt, werde ich endlich Stephen Kings ``The Stand'' lesen. Das schiebe ich auch schon lange in Erwartung einer passenden Zeit vor mir her. Die scheint mir jetzt gekommen zu sein. Eben- falls wartet das Partnerbuch, also quasi Teil zwei, des Systems- Thinking-Buchs von Weinberg ... und noch ein zweites Buch von Weinberg. Es werden mit Sicherheit weitere Computerbuecher fol- gen, darunter eines, von dem ich moeglicherweise am Jahresende schreiben werde, dass es das beste Computerbuch der letzten zehn oder zwanzig Jahre ist. Nun, und Virginia Woolf taucht in diesen Leseausblicken seit mehreren Jahren auf, laenger als alles sonst, doch noch immer schleiche ich drumherum ... Da ich kommendes Jahr aller Voraussicht nach nicht mehr mit dem Zug pendeln werde, koennte mein naechster Buecherrueckblick kuerzer sein. Man wird sehen. [0] http://marmaro.de/apov/txt/2019-01-07_rokoko- kapitelzusammenfassungen.txt [1] S. 40 [2] S. 97 [3] S. 944 [4] S. 1065 [5] S. 121 [6] S. 46 [7] S. 84 [8] S. 309 [9] S. 52 [10] S. 117 [11] S. 144 [12] S. 165 [13] S. 101 [14] S. 166 [15] S. 21 [16] S. 36 [17] S. 97 [18] S. 182 [19] S. 393 [20] S. 403 [21] S. 242 [22] S. 268 [23] S. 76 [24] http://marmaro.de/apov/txt/2017-09-06_eigenenergie- nutzen.txt [25] S. 23 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke