2019-04-29 the real world Weinberg Erkennen und Denken Wenn ich mein Denken einordnen sollte, so wuerde wohl nicht mehr Kernighan und vielleicht auch nicht mehr Dijkstra vorne dran stehen, sondern Weinberg. Jetzt habe ich die jeweils zwei Vorworte (das urspruengliche und das neueste) der Partnerwerke ``An Introduction to General Sys- tems Thinking'' und ``General Principles of Systems Design'' gelesen und habe davon mehr mitgenommen als von einer Menge ganzer Buecher! Dieser Satz bringt es gut auf den Punkt: I haven't changed my conviction that most people don't think nearly as well as they could had they been tought some principles of thinking. [0] Weinbergs Buecher sind eine Offenbarung! Er schaut sich an was vor einem liegt. Er ist klar, ehrlich, treffend. Letzlich zeigt er einem das Sehen und das Denken. Er holt das nach was sonst keiner macht. Wenn man irgendwann mal zufaellig ueber ihn stolpert, eines seiner unscheinbaren Buecher aus den 70er Jahren aus einem Regal zieht und sich denkt, dass es schon nicht schaden wuerde, das mal zu lesen ... wenn man das macht, hat man das Glueck, das zu lernen was man im Studium leider nur mit Glueck lernt: Sehen und Denken. Wenn es um faehige Personen geht, dann bin ich mir sicher, dass diejenigen, die nichts als ein paar Buecher von Weinberg, Dijks- tra und Kernighan (und Brooks) studiert haben, die anderen, die ein normales Studium durchlaufen, schnell in die Tasche stecken wuerden. Wer zu sehen und zu denken gelernt hat, kann viel schneller und ueberhaupt zu immer neuen Hoehen emporsteigen. Das ist wie reden lernen, lesen lernen, rechnen lernen: Das sind Grundfaehighkeiten. Bloss lernen wir das Erkennen und das Denken nie gezielt. Oft genug prangere ich dieses Versaeumnis an. (Fast taeglich leide ich unter seinen Folgen.) Weinberg beginnt sein Buch mit einem Zitat von Einstein: The significant problems we face cannot be solved at the same level of thinking we were at when we created them. Ein in Weinbergs Art Sehender und Denkender fragt sich, ob wir signifikante Probleme haben. Und nachdem er das bejaht (und voraussetzt, dass wir sie loesen wollen), folgert er, dass wir unser Denklevel auf eine hoehere Stufe heben muessen, damit wir sie loesen koennen. Was also tut er?: Er arbeitet daran, besser denken zu lernen! Er versucht nicht, bessere Elektromotoren zu bauen. Er investiert nicht mehr Zeit in das Schreiben von weiteren Unittests. Er nimmt sich nicht vor, motivierter zur Arbeit zu kommen. (Das alles sind Effizienzoptimierungen aber keine Effektivitaetsverbesserungen.) Nein! Er arbeitet daran, besser Denken zu lernen. Und fuer die schwerwiegenderen, groesseren Probleme, traegt er dazu bei, dass die naechste Generation besser zu denken lernt, als seine eigene. (Erkennen und Denken sind zwei Haelften eines Vorgangs. Oft ist das Erkennen nur implizit mitgemeint, wenn vom Denken geredet wird.) Eigentlich sollte die Voraussetzung fuer jedes Fachstudium eine Auseinandersetzung mit der Philosophie sein, (aber keine Philoso- phiegeschichte, sondern) eine Schule des Denkens. Die Informatik kann in hohem Grade eine Beschaeftigung mit dem Denken sein. Jedenfalls bietet sie ein erstklassiges Arbeitsum- feld fuer das Erkennen und Denken. Not all sciences confound with mathematical symbols. Ordinary words do quite nicely -- especially if you don't really know what you are talking about. My com- puter experiences have made me aware that people often have but a foggy idea of what they are saying. Through translating thoughts into computer programs, I have learned many fog-clearing techniques. These techniques would have been impossible without the knowledge gained from computing, [...] [1] Vermittle ich dieses Erkennen und Denken denn nun in einer ausreichenden Weise? Gut, ich schreibe hier immer wieder darueber (aber ob das jemand liest, der mich nicht eh schon kennt? Und Werbung fuer apov will ich nicht machen ... Somit koennte ich hoechstens dann halt doch mal die Essenzen in ein Buch verar- beiten ... was ich mir aber eigentlich gerne ersparen wuerde. Es wurde ja schon alles geschrieben (beispielsweise von Weinberg!). Ich muss die Leute also nur dazu bringen, Buecher wie seine zu lesen). Darueber hinaus bin ich einfach da. Ich demonstriere also meine Ansichten (so gut es mir gelingt) durch mein Leben. Erreichen kann ich damit nur wenige, diejenigen bekommen es dafuer intensiver ab. Lehre!? Ja, sollte ich nicht doch versuchen (mich dazu zwingen und mit Energie dafuer kaempfen), einen Lehrauftrag zu ergattern bzw. auf den Weg zubringen, in dem ich diese, mir so wichtigen Themen weitergeben kann? Aber: In welcher Zeit? Was lasse ich dafuer weg? (So verlaeuft es dann immer im Sand ...) [0] Weinberg: An Introduction to General Systems Thinking, S. iv [1] S. xii http://marmaro.de/apov/ markus schnalke