2019-04-18 the real world Romantisiert Stimmige Charaktere Die meisten Buecher sind zu romantisch. Sie folgen den Regeln des Buches in der Form, dass die erzaehlten Dinge ``richtig'' sind. Sex und Liebe sind stets positiv besetzt. Auch die vergebliche und die tragische Liebe haben noch etwas Positives. Die Realitaet findet sich dort nicht. Vielleicht weil man die schon lebt und ihr nicht auch noch auf der Flucht vor ihr begegnen will. Es geht mir nicht um das durchweg Positive von Personen oder Si- tuationen, sondern um ihre Stimmigkeit. Die allermeisten Personen in Buechern sind in sich stimmig. Sie verhalten sich ihrer selbst treu. Andernfalls wuerde man sie auch nicht verstehen. In der Realitaet verhalten sich die wenigsten derart. Vielleicht sind Geschichten zu wenig-dimensional, wodurch stim- mige Charaktere erst moeglich werden. Die viel groessere Viel- schichtigkeit der Welt verhindert vielleicht die Existenz stim- miger Charaktere: zu oft zerfallen sie an ueberfordernden Situa- tionen ... an der Notwendigkeit des Broterwerbs, an Erschoepfung, an ihrer Miesepetrigkeit an schlechten Tagen, an unfairem eigenen Verhalten ... an den Schwaechen ihrer selbst. Romancharaktere sind nicht schwach. Auch ihre Schwaechen tragen sie mit der Staerke der charakterlichen Konsistenz: Sie verhal- ten sich ``richtig'', ihrer Person entsprechend, der romantischen Erwartung entsprechend. Es ist auch so, dass wir Romanfiguren kennenlernen, ihre Gedanken lesen und ihre Privatsphaere beobachten. Vielleicht laesst das manches nur stimmiger erscheinen als in der Realitaet, wo wir diese Moeglichkeiten nicht haben. Wieviele Personen kennen wir wirklich? Vermutlich koennen wir das Verhalten von Romanfiguren in bestimmten Situationen besser ein- schaetzen als das unserer Freunde. Wieviele reale Personen kennen wir wirklich gut? So gesehen ist die Realitaet vielmehr ein Gluecksspiel, ein Patchwork, eine Imperfektion. Was in Geschichten zu lesen ist, wird man in der Realitaet kaum finden. Es bleibt eine Fiktion ... die bessere Welt! ... aber nur eine theoretische und somit eine irrelevante. Ist die Realitaet nicht deprimierend, fuer jemanden, der eine bluehende und wohlgenaehrte Fantasie besitzt!? (Nachtrag: Vielleicht mag ich Rachmans ``Die Unperfekten'' deshalb so sehr, weil es viel mehr als andere Buecher ein Abbild der Realitaet ist.) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke