2016-04-14 the real world Medieninteresse uninformiert Als ich langsam erwachsen wurde, habe ich angefangen, die re- gionale Tageszeitung zu lesen. Sie war sowieso vorhanden, so habe ich sie beim Fruehstueck durchgeblaettert; nur hier und da habe ich einen Artikel auch mal ganz gelesen. Parallel dazu habe ich angefangen, im Radio den Sender SWR1 zu hoeren, dort haben die Tagesthemen einen bedeutenden Sendezeitanteil. Fuer mein Beduerfnis war ich so angemessen informiert. Spaeter hatte ich nicht mehr diesen automatischen Zugriff auf die Zeitung, folglich las ich sie nur noch wenn sie mir zufaellig in die Finger kam. Auch reduzierte sich die Zeit, die ich Radio hoerte, deutlich. Mir selbst eine Zeitung zu abonnieren, hat fuer mich bisher nie Sinn gemacht, wenngleich ich schon die Vorstellung habe, lang- fristig die Regionalzeitung abonniert haben zu wollen. Zu technischen Themen lese ich weder Heise noch Pro-Linux, was fuer mich vielleicht passende Nachrichtenseiten waeren. News er- fahre ich hoechstens ueber das Debianforum oder in Blogs, wenn andere darueber schreiben. In letzter Zeit hat sich meine Entkopplung von den Tagesneuig- keiten verstaerkt. Bewusst geworden ist mir das jetzt wieder, als ich von AlphaGo nur dadurch erfahren habe, dass es jemand beim Mittagessen erwaehnt hat und spaeter nochmal jemand im Gespraech -- nur zwei Hinweise und beide auf traditionellem, persoenlichem Weg, fuer ein Ereignis, das fuer mich doch recht viel Bedeutung hat. Ein aehnliches Erlebnis, wenn auch fuer mich weniger bedeutsam, war, als ich von Flug MH 370 zum ersten Mal erfahren habe, als er schon eine Woche verschollen war. Und nochmal so aehnlich war es bei der Handball-EM, wo die Deutschen schon im Halbfinale waren, bis ich mitbekommen habe, dass es sich lohnen koennte, mal ein Spiel anzuschauen (dazu ist's dann aber nicht gekommen (kein Fernseher, keine Zeit, doch nicht genug Interesse)). Interessanterweise hat keine dieser Erfahrungen bei mir das Gefuehl ausgeloest, dass ich mich besser informieren sollte. Im Gegenteil: Ich stelle fest, dass mir diese ``Uninformiertheit'' gar nicht schadet. Ich stelle vielmehr fest, dass die News groesstenteils kaum Nutzwert haben, obgleich sie eine relevante Menge an Ressourcen binden. Wenn also im Bahnhof manchmal die Sueddeutsche Zeitung kostenlos verteilt wird, dann ueberkommt mich kein Beduerfnis, sie mitzunehmen. Alles was von echter Bedeutung ist, erfahre ich schon irgendwie. Ein Nebenschauplatz hierzu ist die Werbung. Sie hat strukturell einige Aehnlichkeit zu den Neuigkeitsnachrichten. Manchmal hoere ich ein Gespraech mit, in dem die implizite Annahme vorherrscht, dass man die aktuelle Fernsehwerbung kennt. Es gab Zeiten, da war dies bei mir ebenso der Fall; es ist nicht mehr so. Heute schaue ich quasi ausschliesslich gezielt Sendungen aus der Arte- Mediathek. Fernsehwerbung habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Bei Radiowerbung ist es etwas anders. Werbung, die auf SWR1 laeuft, kenne ich normalerweise. Seit ein paar Wochen hoere ich aber meist den schweizer Sender SRF1. Zuerst war die Motivation dazu der schoene Dialekt, der fuer mich gerade die richtige Mischung aus sprachlichem Verstehen und sprachlicher Herausfor- derung bietet, abhaengig davon, wer im Studio ist. Inzwischen hat sich mein sprachliches Interesse auch auf die inhaltliche Ebene ausgeweitet: Mir gefaellt sowohl die Musikzusammenstellung, die mehr Vielfalt bietet als der SWR1-Hit-Mix, als auch die Ein- flechtung von bei uns zu SWR2 ausgelagerten Inhalten (z.B. Buchlesungen). Und nun ist mir kuerzlich noch bewusst geworden, dass die gar keine Werbung senden. Interessant, dass es so lange gedauert hat, bis ich das gemerkt habe. Und doch traegt dieser Aspekt stark zu meiner Sympathie bei. Ich haette es umgekehrt sicher schneller gemerkt, weil mich die Werbung genervt haette. Besorgte Menschen sehen hier vielleicht eine soziale Ferne und ein Einsiedlertum. Konstruktivere Menschen erkennen eine reduz- ierte Oberflaechlichkeit und die Moeglichkeit zu mehr Tiefe. Ich finde alles momentan sehr stimmig. Das ist fuer mich ein grosser Wert. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke