2013-10-24 the real world Wissenschaftsverlage Selbst in der Hand Die Kernaufgabe der Wissenschaft ist das Entwickeln neuer Erk- enntnisse und deren Bekanntmachung. Ohne die Veroeffentlichung des neu erworbenen Wissens ist ihr Bemuehen vergebens. In Zeiten als die Verbreitung von Informationen noch schwierig war, sind Verlage entstanden um den Forschern dieser Arbeit abzunehmen. Neben den Aufgaben rund um die Vervielfaeltigung und Verbreitung der Werke, bereiteten sie zudem die Vorlage fuer den Druck auf und klaerten Rechtsfragen. Kurzum, sie kuemmerten sich um all die Aufgaben, die von den Wissenschaftlern gemeinhin als laestiges Uebel angesehen werden. Auch konnten die Verlage die Aufgaben mit Spezialisten besser bewaeltigen als es jeder Wissen- schaftler fuer sich selbst koennte. Die Verlage besorgten also den Teil der wissenschaftlichen Aufgabe, die der Wissenschaftler nicht selbst erledigen wollte bzw. musste. Diese Kooperation war sinnvoll und gut. Heute sehen die Rahmenbedingungen anders aus. Heute ist die Ver- breitung von Informationen einfach. Sie ist ohne technisches Fachwissen und sogar kostenlos moeglich. Verlage braucht es dazu nicht mehr. Die Aufbereitung der Druckvorlage und die Klaerung der rechtlichen Fragen hat der Autor heute zum Grossteil selbst zu besorgen. Zwar wird die Qualitaetskontrolle heute von den Ver- lagen organisiert, dafuer gibt es aber keine technischen Gruende mehr. Die Notwendigkeit fuer die Existenz von Verlagen ist dem- nach nicht mehr so gegeben wie damals. Nichts desto trotz koen- nen Verlage den Wissenschaftlern weiterhin unliebsame Aufgaben abnehmen. Der Wunsch dazu ist sicherlich vorhanden. Die aktuell vorherrschende Situation weicht allerdings deutlich ab. Die Verlage sichern sich die exklusiven Nutzungsrechte an den Werken oder verlangen bedeutende Gebuehren um es nicht zu tun. Sie geben genaue Formatvorlagen vor, die die Autoren einzuhalten haben, und erwarten, dass die Rechtsfragen im Vorfeld bereits geklaert worden sind. Nach durchlaufendem Peer Review werden die Inhalte zu meist horrenden Preisen verkauft oder, im ``Open Access''-Fall, unter oftmals restriktiven Lizenzen (nur das Leserecht) veroeffentlicht. Die Abopreise sind vom Druck und Versand von Exemplaren unabhaengig. Die (zumindest STM- )Wissenschaft empfindet eine essentielle Abhaengigkeit von bes- timmten Verlagen, so dass die Publikation in deren Zeitschriften und das Abonnement derselben eine scheinbare Notwendigkeit sind. Zudem hat sich die Wissenschaft ein Bewertungssystem fuer die Leistungen der Wissenschaftler ausgesucht, das von Verlagen, von den jeweiligen Zeitschriften und von bestimmten Publikationsfor- men abhaengt. Dadurch hat sich fuer die Verlage eine Machtposi- tion ergeben, die keinesfalls ihrer natuerlichen Position im heu- tigen Publikationsgefuege entspricht. Die Akteure verhalten sich folgendermassen: Die Wissenschaftler klagen darueber, dass sie ihre Nutzungsrechte abgeben oder zu teuer und teilweise nicht umfassend genug ``freikaufen'' muessen. Sie fordern von den Bibliotheken die Abonnierung der relevanten Zeitschriften, erkennen aber, dass dafuer die finanzielle Schmerzgrenze erreicht ist. Die Bibliotheken kaempfen mit eingefrorenen oder schrumpfenden Etats. Sie stehen als Ver- mittler zwischen den Verlagen und den Wissenschaftlern, oft wiederum selbst in vermittelnden Konsortien organisiert. Sie sehen die Notwendigkeit, der Wissenschaft Zugang zur Forschungsliteratur zu bieten, koennen das aber durch grosse Kos- tensteigerungen kaum noch leisten. Gegenueber den Verlagen muessen sie immer kompliziertere Vertraege und Nutzungsmodelle aushandeln. Die Verlage melken die Cash Cow so lange es noch geht. Ihnen ist klar, dass sie zukuenftig nicht auf diesem Niveau weiter existieren koennen. Da gewiss ist, dass sie viel verlieren werden -- notwendigerweise, denn alles andere waere un- natuerlich -- koennen sie agieren als haeben sie nicht zu ver- lieren. Sie reden den Wissenschaftlern und Bibliotheken gut zu, agieren aber unveraendert. Ihre Zugestaendnisse gehen nur so weit wie sie den entstehenden Ueberdruck abbauen, damit es nicht zur Explosion kommt. Kurz vor der Explosion ist genau der richtige Druck, wenn man eine Cash Cow ohne Zukunft melken will. Sowohl die Wissenschaftler als auch die Bibliotheken beklagen sich, dass sie gemolken werden. Sie appellieren an die Verlage, sie moegen etwas aendern. Sie regen sich auf. Sie versuchen die Verlage zu belehren, zu ueberzeugen, zu erweichen. Das alles ist vergebens -- die Verlage reden zwar, aendern aber nichts, jedenfalls jetzt nicht. Weshalb auch? Dabei ist es ueberhaupt nicht noetig die Verlage zu beknien oder zu ueberzeugen. Man kann sie in dieser Diskussion ja sogar regel- recht ignorieren. Eine Aenderung der Situation haengt in keiner Weise von den Verlagen ab. Sie haben diese Machtposition ja nur weil die Wissenschaft sie ihnen zugesteht. Sie kann sie ihnen jederzeit wieder entziehen. Schliesslich sind es die Wissen- schaftler, die die Inhalte liefern. Es sind die Wissenschaftler, die sie grossteils publikationsfertig machen. Es sind die Wissenschaftler, die die Qualitaet sichern. Es sind die Wissen- schaftler, die die Beitraege lesen. Es sind die Wissenschaftler, die definieren was wertvolle wissenschaftliche Arbeit ist. -- Alles beginnt und endet bei den Wissenschaftlern. Alles steht und faellt mit ihnen. Sie haben alle Macht. Sie koennen eta- blieren und fordern was sie wollen. Wo ist also das Problem? Wissenschaftler anderer Disziplinen mag diese Sichtweise viel- leicht nicht so umfassend ueberzeugen wie sie einen Informatiker ueberzeugt. Aber warum denn nicht? Haengen sie zu sehr an ihren Gewohnheiten und Traditionen? Fehlt ihnen die (hoffentlich tae- glich gelebte) Einsicht eines Programmierers, dass unpassende Konzepte schnellst moeglich ersetzt werden muessen, damit nicht spaeter das ganze System an ihnen zusammen bricht? Dabei heisst es so schoen: ``Problem erkannt, Problem gebannt.'' An der Erk- enntnis sollte es kaum scheitern. Es fordert die Wahrnehmung einer Misslage -- und die ist vorhanden, denn man beklagen sich -- von einem Wissenschaftler doch zwangslaeufig die Suche nach ihrem Ursprung. Das ist eine Grundlage wissenschaftlichen Ar- beitens. Mit der erkannten Problemquelle sollte, schon spri- chwortlich, die Loesung nahe liegen, insofern es eine gibt und diese zu erreichen in der eigenen Macht liebt. Von beidem behaupte ich, dass es hier der Fall ist. Einzig, es muss mit Traditionen und Gewohnheiten gebrochen werden. Wer schon Sys- temumstellungen begleitet hat weiss, dass dies gemeinhin das groesste Problem ist. Dort versagt alle Rationalitaet. Dort ver- sagt die Einsicht fuer das Natuerliche -- dem meiner Meinung nach hoechsten Kriterium. Doch wenn ein Wissenschaftler aus irra- tionalen Gruenden an einem kuenstlichen Missstand festhaelt und sich dann darueber beklagt, dann ist ihm wirklich nicht mehr zu helfen. Tatsaelich mag es aber gar nicht dieses Traditionsbewusstsein sein, das den Wandel verzoegert. Die Selbstorganisation der Wissenschaftler, ihre Zersplittertheit, die vielen kleinen Hoheitsgebiete, sie verhindern die Schlagkraft viel eher. Gegen wenige, zielgerichtet aufgestellte Verlagsriesen vermag auch ein Heer von sich uneinigen, unkoordinierten Wissenschaftlern, die eigentlich staendig etwas Besseres zu tun haben, kaum etwas aus- richten. -- Dabei muessten sie sich nur alle umdrehen und zu ihr- er geliebten Forschung zurueck kehren. In dem Moment, in dem sie sich abkehren, schrumpfen die Verlagsriesen naemlich zu kleinen, zahnlosen Maennchen zusammen, und man wird sich fragen wo denn der Krieg ploetzlich geblieben ist. Dann kann man sich neu an den Tisch setzen und auf einer zutreffenderen Ausgangsbasis verhan- deln. Man darf mich nicht falsch verstehen, ich will die Verlage nicht abschaffen. Ich glaube vielmehr, dass sie wertvolle Dienste leisten koennen, nur eben in anderer Art. Ich will auch nicht, dass die Wissenschaft die Verlage so sehr bloss stellen muss, aber ich sehe eine Notwendigkeit dafuer. Es ist wie mit einem Kind, das glaubt, es koenne seinen Eltern vorschreiben wie diese zu leben haetten: Wenn gutes Zureden nicht hilft, dann muss das Kind eben auf die harte Tour lernen wo seine Position im Fami- liengefuege ist. Dabei geht es gar nicht um Abneigung oder gar Hass der Eltern; sie agieren nur weise im Bezug auf die Fami- liengemeinschaft und die Zukunft des Kindes. ... wenn sich die Eltern nur einig sind. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke