2013-10-18 the real world Softwarebusiness Meine Position Kuerzlich traf ich einen Studenten wieder, der vor gut einem Jahr meine Uebungen zur Systemnahen Software an der Uni besucht hatte. Ich war damals in den letzten Zuegen meines Studiums. Ich hatte die Moeglichkeit Uebungsleiter fuer Themen um C und Unix zu sein. Das war genau mein Ding. Ich ging richtig darin auf. Wenn ich auch beim Vorbereiten der Uebungen vielen Aspekten der Themen zum ersten Mal begegnete und demnach selbst sehr viel lernte, so hatten die Uebungsteilnehmer scheinbar doch das Gefuehl, ein ``Vollchecker'' und Profi wuerde vor ihnen stehen. Das jedenfalls schliesse ich aus ihren Kommentaren und ihrem Verhalten mir gegenueber. Das wurde bei diesem Treffen kuerzlich nochmal deutlich. Er fragte mich, was ich nun taete, nach dem Studium. Mein Kom- mentar, dass ich nun im Bibliothekswesen sei, schockte ihn regel- recht. Warum ich denn nicht als Entwickler arbeiten wuerde. Bei einer der angesagten Firmen natuerlich. Oder warum ich nicht meine eigene Firma gegruendet haette. Ja, das haette er am ehesten erwartet, dass ich mich mit ein, zwei Freunden selbststaendig machen wuerde. Ich haette es schliesslich drauf. Aber nein, in der Bibliothek ... Man konnte die Unattraktivitaet eines solchen Arbeitsplatzes fuer einen Programmierer regelrecht in seinen Augen sehen -- das Gegenteil von Spass und Innovation. Kein Google-Friday sondern Beamtentum mit festen Arbeitszeiten. Angestaubte Buecher. Was kann dort nur spannend sein? Ich verstehe dieses Bild und seine Reaktion vollkommen. Wie sol- len auch nicht-IT-Unternehmen diese fuer uns so wichtige Programmierer- und Hackerkultur bieten koennen? Sie schaffen es nicht einmal ansatzweise in der Form in der sie in urspruengli- chen IT-Unternehmen (Programmierschuppen) praesent ist. Wer die faehigen Hacker nicht versteht wird sie nie fuer sich gewinnen koennen. Hacker brauchen ihre Kultur um sich zu entfalten. Aber wie oft habe ich selbst gehoert, ich solle den ``Stallgeruch'' der Bibliothekare annehmen -- So wird das nichts! Warum habe ich dann aber dem IT-Business den Ruecken gekehrt? Das ist einfach: Es liegt am Business. Ich will gute Software entwickeln, nicht welche die sich gut vermarkten laesst. Ich kenne die Wirtschaft; ich weiss wie das laeuft. Da gibt es dieses grossartige Buch von Andrew Hunt and David Tho- mas: ``Der pragmatische Programmierer''. Es ist ein lehrreiches Buch, das man als praktizierender Informatiker kennen sollte. Passend dazu, das von mir kuerzlich gelesene ``My Job went to In- dia'' von Chad Fowler. Ich glaube, dass diese Autoren wertvolle Literatur mit grossem Wahrheitsgehalt geschaffen haben. Ich stimme ihren Aussagen zu. Aber die entscheidende Frage ist, welches Ziel sie mit ihren Ratschlaegen ansteuern. Wenn ich an- dere Ziele verfolge, dann kann ich ihren Empfehlungen noch so gut folgen und bewege mich doch in die falsche Richtung. Alle Bemuehung ist fraglich, wenn man sich nicht ueber die grundlegen- den Ziele einig ist. Man sollte ein pragmatischer Programmierer werden, wenn man sich im IT-Business bestmoeglich positionieren will. Als formbare Ar- beitskraft, als Raedchen im Gesamtwerk des Unternehmens. Pragma- tismus bezieht sich auf das Hier und Jetzt, auf die Widrigkeiten der Welt. Ich bin nur zu einem kleinen Teil Pragmatiker. Pragmatiker bringen die Welt nicht voran. Sie verbessern nur die Effizienz, nicht aber die Effektivitaet. Sie optimieren auf der gleichen Stufe, steigen aber nicht hinan. Idealisten sind es, die nach der naechsten Stufe streben. Sie denken nicht ans Jetzt sondern ans Morgen. Ihr Fortschritt aendert die Groessenordnung, nicht die Kommastellen, denn sie verfolgen Visionen. Sie stellen den Status Quo in Frage statt fuer ihn zu optimieren. Ich bin ein Idealist. Mir ist das Business egal -- sollen die Unternehmen doch unter- gehen -- mir geht es um die Menschheit. ich programmiere nicht damit ich (mehr) Geld verdiene oder damit es einem Unternehmen besser geht, nein, ich programmiere damit es der Menschheit besser geht. Ich kann keine schlechte Software entwickeln, selbst wenn sie fuer das Unternehmen gewinnbringend waere -- letztlich geht es im Business nur ums Geld --, ich sehe eine Verpflichtung der Menschheit gegenueber. Ich bin ein Mann des Volkes. Staaten, Unternehmen, Wirtschaftszweige, Rechtssysteme, all diese kuenstlich geschaf- fenen Hilfsmittel sind mir egal. Ihnen muss ich nichts Gutes tun. Sie duerfen sich aendern, wechseln, untergehen. Wichtig ist al- lein, dass es den Menschen gut geht. Sie muessen das Ziel sein. Wie die Menschheit sich organisiert und wie sie sich verwaltet ist unerheblich, solange sie sich damit etwas Gutes tut. Entscheidend ist, dass mein Bemuehen die Quelle -- also die Men- schen selbst -- bedient, nicht aber die abgeleiteten Konstrukte. Wenn ich mir manche Verhaltensweisen im Softwarebusiness an- schaue, was da den Nutzern zugemutet wird, wozu sie genoetigt werden, da frage ich mich, ob da nicht gar Menschenrechte ver- letzt werden. Es stellt sich die Frage nach der Ethik im Softwarebusiness. Gibt es eine Ethik im Softwarebusiness? Wenn man es nuechtern sieht, dann nur so weit es dem Business -- dem Geldverdienen -- zutraeglich ist. Das ist keine Welt in der ich leben will. Ihre Grundziele unter- scheiden sich zu sehr von meinen. Deshalb bin ich heute nicht bei einem der bekannten IT-Riesen, deshalb habe ich keinen eigenen Softwareschuppen aufgemacht. Ob ich hier, wo ich jetzt bin, die Welt, die ich suche, finde, kann ich nicht sagen. Ob sie ueberhaupt existiert ist schon zweifelhaft. Die Frage ist mehr, wie ich mich moeglichst direkt fuer die Menschheit ein- bringen kann anstatt fuer Unternehmen, Organisationen, oder Staaten. In dieser Hinsicht bewundere ich Richard Stallman sehr. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke