2010-04-27 the real world Im Regen gerannt Wir haben keine Ahnung Letzte Woche bin ich bei Regen gerannt. Anfangs war das Wetter noch ganz gut; trotzdem hatte ich eine Regenjacke angezogen -- sicherheitshalber. Schon nach kurzer Zeit hat leichter Wind eingesetzt, dann kamen erste Tropfen. Nach zwanzig Minuten nieselte es leicht. So schlecht war das Wetter zu dem Zeitpunkt gar nicht: Nur leichter Niesel und ein bisschen Wind. Wir wollten an diesem Tag gemeinsam laufen, wobei ich dieses erste Stück bis zum Treffpunkt alleine unterwegs war. Als ich am Treffpunkt eintraf, war noch niemand sonst da. Dies war nicht sehr verwunderlich, denn das Wetter wurde zusehens schlechter, und wer hat schon Lust bei schlechtem Wetter draußen rumzurennen? Wenigstens konnte ich mich unterstellen und auch vor dem, jetzt auffrischenden, Wind Schutz suchen. Eine viertel Stunde nach der vereinbarten Zeit war noch immer niemand sonst da und ich hatte keine Hoffnung, dass sich das noch ändern würde. Der Himmel war jetzt gleichmäßig dunkelgrau und der Wind bließ die Regenschauer nur so über's Land. Das Wetter war perfekt zum drinnen sitzen und raus schauen. Ich saß jedoch nicht im Warmen, sondern stand mitten im Wetter -- zwanzig Minuten von Zuhause entfernt. Wenigstens hatte ich einen kleinen Wetterschutz über mir; diesen jedoch musste ich verlassen um nach Hause ins Trockene und Warme zu kommen. Da das Wetter keine Besserung erkennen ließ und mir langsam kühl wurde, gab ich mir einen Ruck und rannte los -- zwanzig Minuten bis Daheim. Nach fünf Minuten waren die Ärmel meines alten Regenkittels von nassen Waschlappen nicht mehr zu unterscheiden. Nach zehn Minuten steckte ich dann die Brille ins Haar, da ich durch sie inzwischen noch weniger sah als ohne sie. Die Schultern und die Oberschenkel waren jetzt auch komplett durchnässt. Der kalte Wind setzte mir immer mehr zu, auch weil die Außentemperatur sowieso schon einstellig war. Um meine Hände wenigstens etwas wärmer zu kriegen machte ich Greifübungen -- die taten schon weh. Leider gab meine Kondition nicht mehr her. Ich rannte schon ziemlich schnell, wollte aber unbedingt bis Zuhause durchhalten. Unterwegs nicht mehr zu können wäre fatal gewesen. ... und in dieser Situation wurde mir die vermeintliche Sicherheit in der wir leben bewusst. Bei uns in Mitteleuropa ist das normale Leben doch keine Heraus- forderung mehr. Wir haben den Luxus, keine Angst haben zu müssen, dass wir Morgen vielleicht schon tot sind, oder dass wir den nächsten Winter nicht überleben. Wir müssen noch nicht mal Angst haben, dass wir mal einen Tag hungern müssen. Wir können (fast) rund um die Uhr einkaufen. Wir können uns sicher sein, dass wir das kaufen können, was wir kaufen wollen. Wir müssen noch nicht mal für den Sonntag vorplanen. Und Vorratseinkäufe machen wir nur jedes Jahrzehnt einmal. Gefriertruhen und Konserven sind sowieso out. Doch lass einen Krieg ausbrechen und die ganze Gegend zerbombt sein. Dann öffnen sich plötzlich unsere Augen. Dann gibt's kein Zuhause mehr, keine Wärme, keinen Schutz vor dem Wetter. Viel- leicht findet man irgendwo einen Schlafsack, doch der wäre sicher völlig durchnässt. Es gibt keine Unterstände, außer natürliche Höhlen. Man ist klatschnass und durchgefroren, doch da ist nir- gens ein Feuer, überall bläst nur kalter Wind. Und Essen? Wie wär's mit Wurzeln und Beeren? Ein Tier wird ein unerfahrener moderner Mitteleuropäer kaum erlegen können. Und jetzt denke man sich das über einen Zeitraum von Monaten oder gar Jahren! Es wird kein Rotes Kreuz oder THW kommen. Man wird vergessen wie es ist, in einem weichen und trockenen Bett zu schlafen. Was ein warmes Bad ist, ebenso. Hunger wird alltäglich sein und der Tod auch. Das größte Glück ist dann ein warmer Sommertag mit Sonnen- schein und genug zu essen. So ist Krieg. Die jungen Generationen haben keine Ahnung was die Bedeutung von Krieg ist. Sie glauben, das hätte was mit hochtechnisierten Pan- zern und Flugzeugträgern und U-Booten zu tun ... alles ganz weit weg. Nein! Krieg ist nichts als Leid und Elend -- auf beiden Seiten! Aber heute denken ja auch viele, dass eine ausgelassene Mahlzeit Hunger wäre. Wir verwöhnten Menschen die in dieser erstklassig versorgten Luxuswelt leben, wir haben keine Ahnung was der Wert der Überlebens ist. Wir glauben, das sei gegeben. Ich hoffe nur, dass es nicht einen Krieg braucht, damit die Men- schen das wieder erkennen. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke