2007-07-23 the real world Wie ich zum Horror kam Ein Rückblick Es heißt, man solle die Zeit nutzen die man zur Verfügung hat. Nun, ich habe gerade Zeit und die werde ich nun nutzen indem ich das niederschreibe, was ich schon lange niederschreiben will: Die Geschichte wie ich zum Horror kam. Es ist ein Text der sich nur auf Filme, nicht jedoch auf Bücher bezieht. Der Begriff ``Horror'' soll hier etwas weiter gefasst sein, sodass auch Psycho-Thriller (meine eigentlichen Favoriten) und sonstige Filme mit schwächeren Gruseleffekten darunter fallen. Jetzt aber genug der Vorrede! Wie ich zum Horror kam. Es begann irgendwann in den 90ern als ich als etwas 12-Jähriger Bub alleine zuhause war. Ob ich wirklich zwölf war weiß ich nicht mehr; es war halt dieses Alter in dem man es zum ersten Mal richtig genießt wenn die Eltern weg sind. Es war inzwischen Abend (vermutlich ein Herbstabend), und ich war Herr der Fern- bedienung. Wäre Ducktales, Winnetou oder Wetten Dass gekommen, dann hätte all dies vielleicht nie seinen Anfang genommen .... Nach gründlichem Studieren des Fernsehprogramms war der am in- teressantesten klingende Titel jedoch ein anderer: Der weiße Hai (Teil 2?) Ich hätte wohl allerlei anderer Filme vorgezogen, aber an diesem Abend lief sonst nichts Gutes um 20:15 Uhr ... außer ``Der weiße Hai''! Vielleicht hat mich das Wort ``Horrorfilm'' abgeschreckt, viel- leicht habe ich mich damit beruhigt, dass so früh am Abend noch kein ``schlimmer'' Film laufen wird -- ich weiß es nicht. Und es soll uns auch nicht länger kümmern, denn ich sah .... ... ich sah eine gemütliche Weihnachtsgesellschaft (Der Film wäre wohl eher für einen der Weihnachtsfeiertage geeignet gewesen). Ein kleines Fischerdorf am ruhigen (und dunklen) Wasser. Es sah ganz nach Heilig Abend, 21 Uhr aus. Eine Weihnachtliche Ruhe, einzelne erleuchtete Fenster, im Innern bunt geschmückte Bäume, der Klang fröhlicher Festtagsgesellschaften ist leicht gedämpft vernehmbar. Ein angenehmes Gefühl macht sich breit ... würde sich breit machen, wären da nicht diese einzelnen dissonanten Töne in der untermalenden Musik. ... wäre da nicht immer wieder dieser unheilvolle Blick auf die ruhige (und schwarze) See ... wäre da nicht dieses einzelne Fischerboot, das, spärlich beleu- chtet, in der Bucht treibt .... dieser eine Fischer, der nicht in einem der Häuser in einer fröhlichen Weihnachtsrunde sitzt und das warme Kerzenlicht beobachtet .... dieser eine Fischer, der sich über das dunkle (unendlich tiefe) Wasser beugt ... ... und der weiße Hai, der im nächsten Moment seinen Kopf im Mail hat .. nur ein Platsch ... und die See ist wieder still, schwarz und endlos tief .... und in der Bucht schaukelt ein einsames kleines Fischerboot sanft hin und her, während im Hintergrund ``Oh du Fröhliche'' gesungen wird -- gedämpfter Klang und warmer Kerzenschein. Das ist der Punkt an dem ich ausgeschaltet habe ... ausmachen musste ... weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich bin dann mit voller Beleuchtung ins Bett gegangen und war echt richtig froh, als meine Eltern wieder im Haus waren. Das war das einzige Mal, dass ich einen Film abbrechen musste. .... und doch war dieser erste Kontakt mit dem Genre richtungsweisend; denn geblieben ist nicht die Angst, sondern die Faszination! Ein paar Jahre später dann der zweite Kontakt und das vielleicht beeindruckendste Filmerlebnis meines Lebens! Dieser Film ist kein Horrorfilm, er würde wohl als Jugendfilm einsortiert werden. Jugend-Gesellschafts-Psychothriller wäre aber treffend. Wenn ich den Film heute wieder sehen würde, dann wäre es für mich wahrscheinlich ``nur'' ein sehr guter Film ... damals aber hat er mich mitgenommen in seine eigene Welt und hat mich erst wieder befreit als der Abspann lief ... und mir fast die Tränen. Denn dieser Film hat mich leiden lassen! Ich _war_ Ralph! Ich war damals in seinem Alter. Ich konnte die Grenze zwischen Realität und Fiktion noch nicht aufrechterhalten .... ich bin eingetaucht! Es war ein Sommernachmittag. Bei meiner Oma stand im ersten Stock ein Fernseher und hin und wieder verzog ich mich (manchmal auch mit meinem Cousin zusammen) während Familienfesten dorthin zurück um mir einen Sonntag-Nachmittags-Film (meist eine Karl- May-Verfilmung) anzusehen. An diesem Tag war ich alleine, der Geburtstag war nicht so recht der Bringer, mein Cousin war nicht da, und so zog ich mich in den ersten Stock zurück. Draußen schien die Sonne -- ich zog die Jalousien zu. Und dann tauchte ich ein ... ... eine einsame Insel in der Südsee, und eine Gruppe Jugendlich- er (so alt wie ich) die einen Flugzeugabsturz überlebt haben. Ralph ... Piggy ... Das Monster ... Wildschweinjagd! Ein Film der mich ergriffen hat. Die perfekte Verfilmung eines Buchs von William Golding. Er erhielt für diese Geschichte den Literatur-Nobelpreis. Herr der Fliegen (1990) Jahre später als ich das Buch gelesen habe, konnte ich bestätigen was ich damals fühlte. Dennoch, dies ist einer der wenigen Filme die noch besser als ihre literarische Vorlage sind. Es war zwar nicht das was man gemeinhin als Horror bezeichnen würde, aber den Horror den ich (Ralph) angesichts der sich schleichend entwickelnden gesellschaftlichen Situation, mit all ihren Auswirkungen (!), empfand, war äußerst stark. ... und eine Schlussszene die derart perfekt ist ..... ja, wer diesen Film in etwa diesem Alter gesehen hat, kommt nie mehr davon los! Vielleicht ein Jahr später, wieder ein Film der nicht direkt Hor- ror ist (jedenfalls für Erwachsene nicht, für mich damals aber schon). Erneut eine Verfilmung die _noch_ besser ist als die geschriebene Vorlage. Eine Verfilmung die für mich zu den besten Filmen (auch für Erwachsene) zählt. Zwei tolle Schauspieler, ein sehr überzeugendes Flair, viele offene Fragen am Ende -- ein Film über den verhängnisvollen Drang (Sucht!) nach Wissen: Der Name der Rose Ich war zu jung für diesen Film -- um ihn inhaltlich ganz zu ver- stehen. Aber ich habe verstanden was ich fühlte, und die Stim- mung die von dieser verschneiten Benediktinerabtei in den Bergen ausgeht, von der kühlen, verschlossenen, geheimnisvollen Atmospäre wird einfach derart gut rüber gebracht, dass auch dieser Film meine Wahrnehmung voll und ganz in Beschlag genommen hat. ... und noch heute sehe ich die Krähen so plötzlich in den eisi- gen Winterhimmel aufflattern, oder die Leiche am unteren Ende der Klostermauer in Schnee liegen. .... und dann die Flammen! und bei den Schlussworten hatte ich feuchte Augen Das Buch dazu habe ich ebenfalls Jahre später gelesen und ich muss sagen: Nein, es ist nicht wie der Film! Es ist anders, aber es ist auf seine eigene Weise beeindruckend und lesenswert (wenn man auch manchmal einige Seiten lang ``durchhalten'' muss -- nicht aufgeben!). Diese drei Filme waren eher die Wegbereiter für das was nun endgültig durchbrechen sollte: Der Reiz am Horror. Das ist wie Achterbahn fahren ... es ist einfach ein tolles Gefühl (danach). Und es ist äußerst reizvoll für mich Angst zu haben im Dunkeln in mein Zimmer zu schleichen, wenn der Film vorrüber ist ... hinter jede Tür und in jede Ecke schauen zu müssen ... und immer das Gefühl, dass da jemand ist ... hinter mir ... und die modrig- feuchten Hände die gleich unter der Treppenstufe hervorkommen und sich langsam aber unaufhaltsam um meinen Knöchel legen ... und das Herz setzt einen Schlag aus .... und man bekommt keine Luft mehr .... und dann wird man nach unten gezogen ..... Das sind die Nächte in denen man mit dem Rücken ganz an der Wand liegt und die Knie bis zur Brust zieht, damit die Zehenspitzen auch ja nicht zur Zudecke hinaus schauen. ... und erst die Mor- gensonne erlöst dich von den beklemmenden Gedanken, die dich nachts noch heimsuchen. Das Wichtigste am Älterwerden war für mich als Jugendlichen die Altersbegrenzung von Kinofilmen. Dafür wollte ich 12 oder 16 werden. Und dann war es soweit: Ich war sechzehn geworden. Der wohl bedeutendste Schritt für einen jugendlichen Kinogänger. Endlich durfte man auch die interessanten Filme anschauen -- endlich (fast) unbegrenzt sein. Dennoch war der Film den ich am Tag nach meinem Geburtstag im Kino sehen wollte nicht ``ab 16'' ... es war wohl (wenn ich mich recht erinnere) Gladiator mit Russel Crowe und der war freigege- ben ab 12 Jahren. Man hörte damals allerlei Gutes von dem Film und so wollte ich ihn auch sehen. Die Tatsache, dass ich jetzt (endlich) Filme ab 16 sehen durfte war mehr grundsätzlich wichtig, für den Fall dass einer kam, der mich interessierte und man dafür 16 sein musste. Jetzt war ich 16! Allerdings war ich kein so regelmäßiger Kinogänger, als dass ich gewusst hätte ... Ich stand also nach der Schule am Kino und freute mich auf das bevorstehende Erlebnis ... nur kam es nicht so wie erwartet ... denn ``Gladiator'' lief nicht -- nicht mehr. Ich hatte nicht an den Kinoprogramm-Wechsel am Donnerstag gedacht und ``Gladiator'' lief zwar am Mittwoch noch -- am Donnerstag aber nicht mehr -- mist! Nichts Schlimmeres als wenn man sich vorfreudig auf ein tolles Erlebnis eingestellt hat und dann feststellen muss, dass es nicht dazu kommt. Eine Hoffnung gab es jedoch noch, da ein neues Kinoprogramm nicht nur das Ende von alten Filmen bedeutet, sondern auch den Beginn von neuen. Und da war es wohl der verhängnisvolle Reiz jetzt Filme ab 16 sehen zu dürfen, dass ich mich für eben einen solchen entschied: Scream 3 Es war ein großer Kinosaal, aber außer mir waren nur noch vier oder fünf Andere auf die weitläufige Sessellandschaft verteilt -- ich war quasi alleine (wie ich es fortan lieben sollte!) Fast hätte ich aufgegeben und den Film verlassen, doch ich blieb, traute mich nicht auch nur einen Mucks zu machen, nur nicht die Sitzposition zu ändern, keine Bewegung. Und gebannt starrte ich auf die Leinwand auf der sich eine Gruppe Erwachsener (Heute wären es Teenager -- ein Teenage-Horrorfilm für mich) nach und nach umbringen ließen. Einer nach dem Anderen ... aufgeschlitzt von einem silbernen Haken (oder war es ein Messer?), von einem Mann mit schwarzem Gewand und der bekannten weißen Maske. ``Stab 3'' die Verfilmung der ``Scream 1''-Geschichte -- ein Film im Film ... und überall schwarze Gewänder, weiße Masken, blitzende Messer, lachende Teenager ... und sterbende Teenager! Viele amüsieren sich über Teenage-Horrorfilme, nicht erst seit ``Scary-Movie'' (übrigens die schlimmste Verharmlosung der Scream-Reihe) ... aber nachts alleine in einem dunklen Zimmer mit dem Rücken zur offenen Tür und Ton über Kopfhörer, würde ihnen das Lachen schon vergehen! Scream (1&3) ist nicht so billig wie manch andere Vertreter dieses Subgenres. Scream ist zum schlecht schlafen (wenn man unter ordentlichen Bedingungen schaut) ... und für mich der eigentliche Beginn meiner Zuwendung zum Horror. Was mich in manch einer der folgenden Nächte wach gehalten hat, war jedoch nicht der Hauptfilm, sondern die Trailer vorneweg, von denen einer noch heute für mich der Inbegriff von ``typischem'' Horror ist. Ich weiß bis heute nicht um welchen Film es sich da- bei handelt, aber wenn diese Bilder wiederkehren (und das tun sie auch dieser Tage noch ab und an), dann sind sie so glas-klar wie an diesem Tag im Jahr 2000 als ich den Horror für mich entdeckte. Meine Geschichte des Horrors ist an dieser Stelle keinesfalls beendet, sie hat vielmehr gerade erst begonnen ... doch davon ein anderes Mal mehr. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke