2020-07-12 herz und hirn Nostalgie Die Taetigkeit des ... Eine zentrale Rangordnung meines Lebens lautet, dass aktives Tun hoeherwertiger und damit besser ist als passives Konsumieren. Schreiben ist folglich besser als Lesen. Programmieren ist besser als Programme ausfuehren. Sport treiben ist besser als Sport an- schauen. Desweiteren galt immer, dass Anspruchsvolleres besser als Ein- facheres ist. Besser also C programmieren als PHP. Besser in PO- SIX und RFCs nachlesen als in Tutorials. Besser Hesse und Tolstoi lesen als einfache Krimis. Besser Arte gucken als Hollywood-Kino. Und so weiter. Bei dieser zweiten Rangordnung war ich schon immer weniger streng und bin es zunehmend noch weniger. Ob das am Alter liegt?, oder daran wie mein Leben verlaufen ist?, oder ob es nur Bequemli- chkeit ist? -- Ich weiss es nicht. Ich schaetze stupide koerper- liche Taetigkeiten: Holz machen, Garten hacken, abspuelen, u.ae. Sind das nur zufaellig die Taetigkeiten die weniger abstrakt sind? Mag ich sie weil sie direkt meinem Leben zutraeglich sind? Oder mag ich sie weil sie weniger herausfordernd sind? Shellscripting (sed & awk) mag ich weil dort direkt Ergebnisse herauskommen. Die Umsetzungszyklen sind so viel schneller als bei C. Es bedarf nicht erst ausfuehrlicher Planung, sondern liefert direkt Ergebnisse. Ausserdem ist es viel weniger anspruchsvoll. Scheue ich also die langen Zeitspannen und Herausforderungen? Genius ist ewige Geduld. [0] Strebe ich einfach nicht mehr nach Perfektion, nach dem grossen Werk, dem Meisterstueck? Da ist sicher etwas dran. Die Bedeutungen haben sich verschoben, sowohl temporaer als auch dauerhaft. ... aber es ist weiterhin da, im Untergrund, wartend. Ich spuere es ... die Erinnerungen, das bekannte Gefuehl, wie es war als es anders war. Es lockt durchaus, aber von fern, kann die Traegheit nicht ueberwinden ... Ich sage mir, der Sinn wuerde fehlen. Wieso denn sollte ich es tun? Aber der Sinn waere es zu tun weil es mir gut tut ... anders gut tut, mir wichtig ist, etwas erbluehen laesst. Weil es mich wieder rennen gehen lassen wuerde. Weil es Ziele mit sich braechte. ... Weil ich eigentlich weiss, dass es zu mir gehoert; es koennte den Leerraum fuellen. Ich habe ``Die schoene Querulantin'' anzuschauen angefangen. Ein 3,5h-Film, bei dem nach einer dreiviertel Stunde gerade erst die Einleitung vorbei ist. Anspruchsvollere Filme und besonders welche mit wenig offensichtlichem Inhalt, welche mit viel Nichts, das den eigentlichen Inhalt darstellt, mag ich weiterhin. ... Und dann faengt er an zu zeichnen. Die Feder kratzt ueber das Papier ... viel zu laut, aber das ist schon richtig so, denn das ist der Inhalt: das Tun, nicht das Werk. Sie verharrt, wartend, nichts als das Kratzen hoerend ... und ihren klagenden Koerper. Besessenheit trifft es nicht, es ist mehr Versessenheit. Hunger und Durst nicht zu spueren, keine Pausen machen wollen, ganz im Tun aufgehen. Sich verlieren? Eher einen Weg gehen, wie beim Ren- nen. (Sea gull carry me, over land and sea!) Nicht verloren son- dern vergessend, ganz im Jetzt, im Tun. Und das -- beson- dererweise -- bei einer anspruchsvollen Taetigkeit! Es gilt so fit zu sein, dass das Anspruchsvolle einfach wird. Man muss im Marathon auch nur die vielen kleinen Schritte sehen, entlang eines Weges zum Ziel. Wobei ``das'' Ziel keine Bedeutung hat. Es sind viele Ziele, entlang des Weges und am Ende des Laufes wartet hoffentlich ein naechster. Das ist naemlich die eigentliche Niederlage: Im Ziel das Ende erreicht zu haben. Die Taetigkeit des Laufens ist das Ziel. Offizielle Ziele sind nur Irritationen entlang des Wegs. Jedenfalls hat mich der Film erinnert. Ich wollte direkt beginnen ... etwas zu tun. Ob Programmieren oder Schreiben ... -- Mir ist wie wenn ich doch lernen sollte ein Buch zu schreiben. Nicht wegen des Buches sondern wegen des Schreibens. So viel lockt mich immer wieder in diese Richtung, dabei weiss ich, dass es nicht meine Art ist. Es ginge folglich darum etwas zu finden das wie Buchschreiben aber gleichzeitig meine Art ist. Ich muesste also eine Art des Buecherschreibens finden, die zu mir passt. ... Wenn ich mir das so ueberlege, dann kommt es mir vor, wie wenn das nur ein Kompensationsversuch fuer die fehlende Program- miererei waere und dass das Programmieren gerade diese meine Art des Buecherschreibens ist. Ich muss nur wieder tun was ich frueher getan habe, als es gut war. Nostalgie kommt von dem griechischen Wort `nostos', was so viel wie Heimkehr bedeutet. Es ist die Sehnsucht nach etwas, das so nie gewesen ist. Du kannst nicht mehr heimkehren, so sehr du es auch willst. (The Kinks: The Village Green Preservation Society) [0] Michelangelo http://marmaro.de/apov/ markus schnalke