2017-10-08 herz und hirn Sommertag Herbsttag Es ist eine Zeit der schnellen Wechsel. Da ist Unfaehigkeit, etwas geschafft zu bekommen, neben effizienter Produktivitaet. Da ist neue Hoffnung neben alten Aengsten. Da ist Sinn neben Sinnlo- sigkeit. Da ist der Sommer neben dem Herbst. Zuerst waren da diese Worte: Ich gebe zu, dass ich Ende der dreissiger Jahre, nachdem ich geheiratet hatte, fuer Hitler war. Er been- dete die Not in unserem Land und gab uns unseren Na- tionalstolz zurueck, den wir als Ergebnis des ungerechten Versailler Vertrages verloren hatten. Wahrscheinlich habe ich Hitler nur deshalb gewaehlt, weil ich wieder einen Job hatte und wieder rauchen konnte. [0] Ich las sie mit einem Blick auf die Welt um mich und fragte mich mal wieder, ob wir denn von der Geschichte lernen und wie lange so ein Lernerfolg anhaelt. Zwei Generationen? Drei? Hundert Jahre also? Vielleicht sind die guten Zeiten zwischen den schlim- men auch nur zu schoen, zu unbeschwert ... und der Mensch ver- gisst zu leicht. Dann, etwas spaeter, hoerte ich Gisbert zu Knyphausen im Radio: Manchmal glaube ich, dass ich zu langsam bin, für all die Dinge, die um mich herum geschehen. Doch all die Menschen, die ich wirklich, wirklich gerne mag, sie sind genauso außer Atem wie ich. Manchmal glaube ich, dass nichts mehr wichtig ist, ich treibe ziellos bis zum Tag an dem ich sterb. Doch grade dann wenn ich wirklich nich mehr weiter will, liegt mein gepflegter Pessimismus in Scherben. Und alles was mir dann noch übrig bleibt, ein bisschen Zweisamkeit als Zeitvertreib. Das bisschen Herzschmerz, das bisschen Herzschmerz, tut doch gar nicht so weh. Denn ganzen Unsinn werd' ich nie verstehen, da hilft nur einatmen und vorwärts gehen. Es ist ganz einfach, es ist ganz einfach. Das Leben lebt; es ist ein wunderschöner Sommertag. Manchmal glaube ich, dass ich zu müde bin, aus meinem Sessel komm' ich nie mehr wieder hoch. Doch wenn es klingelt bin ich rasend schnell am Telefon, es kann doch sein, dass mich irgendwer braucht. Manchmal glaube ich, dass ich zu leise bin, dann schrei' ich lauthals meine Lieder in den Wind. Doch viel, viel lauter sind die, die nichts zu sagen haben, und wenn das stimmt dann halt ich lieber mein Maul. Und alles was mir dann noch übrig bleibt, ein bisschen Zweisamkeit als Zeitvertreib. Das bisschen Herzschmerz, das bisschen Herzschmerz, tut doch gar nicht so weh. Denn ganzen Unsinn werd' ich nie verstehen, da hilft nur einatmen und vorwärts gehen. Es ist ganz einfach, es ist ganz einfach. Das Leben lebt; es ist ein wunderschöner Sommertag. [1] Wie sehr dieses Lied aus mir heraus sprach! ``Einatmen und vorwaerts gehn!'' Ja, da ist viel wunderschoener Sommertag zur Zeit und dann geht's mir gut. Ganz ueberraschend oeffnete sich da eine Tuer zu einer Vorstel- lung von Zukunft. Endlich wieder ein Plan fuer den es sich zu streben lohnt! Jetzt, wo ich gerade Fahrt aufgenommen haette, ... da kam es ir- gendwie dazwischen. Seltsam. Ich sitze da und weiss nicht was ich denken soll oder was ich eigentlich fuehle. Es ist wie ... ploetzlich mit dem Herbst kon- frontiert zu sein. Eben war noch Sommer und dann ist da ploet- zlich Morgennebel. Die Sonne scheint noch immer viel, aber es ist nicht mehr das Gleiche. Seltsam, dass es einen ueberrascht, wo man doch weiss, dass nach dem Sommer der Herbst kommt ... egal wie schoen der Sommer ist. Man wollte es nur nicht wahrhaben. Heute hoere ich Neil Youngs Album ``Harvest'' -- ein passender Name! Mir war klar, dass ich Neil Young hoeren wollte, aber ich war ueberrascht wie melancholisch seine Musik doch ist oder sein kann. Ich nenne bewusst das Album und keine Einzelsongs, denn es ist das Gesamtwerk, das mich heute traegt. Es hat genau die passende Mischung an Gefuehlen, die heute bei mir vorherrschen. Eben auch mal eine Portion Sommer im Gepaeck und bereits den nae- chsten Sommer im Blick, trotz des Herbstes ... [0] Stephen King: Der Musterschueler (In: Fruehling, Sommer, Herbst und Tod), S. 135 [1] Gisbert zu Knyphausen: Sommertag http://marmaro.de/apov/ markus schnalke