2013-05-30 herz und hirn Folk Music Das leben was einem etwas bedeutet! Ich habe Bob Dylans ``Chronicles Vol. 1'' gelesen -- ich bin ein- fach begeistert davon. Meine Begeisterung kommt aber weniger da- von was ich von dem Buch erwartet habe sondern viel mehr davon was es unerwartet geboten hat. Inhaltlich werden hauptsaechlich drei Situationen behandelt: Die Zeit vor der ersten Platte, die Flucht vor der eigenen Populari- taet, und Geschichten vom Entstehen von Alben. Neben einer Viel- zahl von Hinweisen auf interessante Literatur und Musik ist dieses Buch durch und durch eine Ode an die Folk Music. Immer wieder geht Dylan von diesem Kern aus und kehrt darauf zurueck. Die Folk Music ist die Motivation die alles antreibt; sie ist der Kern der alles zusammen haelt; sie ist die Idee die allem Sinn gibt. Musik ist eine nette Sache, aber Folk Music ist ein Leben- sinhalt. Es ist erleuchtend festzustellen, dass Dylans Beschreibungen und Erklaerungen sehr gut zu meinen Auffassungen der Unix-Welt passen wenn man ``Folk Music'' durch ``Unix'' ersetzt: Als Dylan damit anfaengt ist die Folk Music schon lange da -- sie ist ein Urgestein. Sie wird gespielt, kopiert, angepasst, veraen- dert, sie entspricht dem Leben, den Gefuehlen. Folk Music ist ein alter Hut und doch ueberall vertreten, die Basis, die Seele der Gesellschaft. Folk Music ist unkommerziell, unreglementiert, sie foerdert den freien Austausch, sie foerdert Experiemente. Sie hat ihre eigene Liebhaber-Community und ist doch gleichzeitig eine Einflussquelle jeder anderen Art von Musik. Dylan ist letztlich alleinig von einer umfassenden Faszination von der Folk Music getrieben. Er will zu Beginn noch nicht mal selbst Lieder schreiben, er will nur die bestehenden weitergeben. Er muss nichts Neues schaffen und ist sich doch bewusst, dass Traditionals nicht statisch sind und so von ihm, wie auch von an- deren, ganz selbstverstaendlich angepasst werden. Seine ersten eigenen Kompositionen mischt er unter sein Repertoire und behaup- tet sie waeren von jemand anderem. Es geht ihm nicht darum ``sein Produkt'' zu verkaufen, nein, er will Folk Music spielen; der Rest ist nebensaechlich. Dass er dann selbst Songs schreibt ist von seiner Experimentierfreudigkeit motiviert. Er versucht ver- schiedene Elemente zusammen zu bringen. Er versucht die ``Funk- tion'' von Liedern zu verstehen und ihre sinnvollen Eigenschaften zu extrahieren und neu zu verbauen. Er passt altes auf die neuen Umstaende an. Fuer ihn ist es letztlich allein die Beschaeftigung mit der Folk Music, die ihn gluecklich macht. It was so real, so more true to life than life itself. It was life magnified. Folk music was all I needed to exist. Trouble was, there wasn't enough of it. It was out of date, had no proper connection to the actuali- ties, the trends of time. It was a huge story but hard to come across. Once I'd slipped in beyond the fringes it was like my six-string guitar became a crystal magic wand and I could move things like never before. [0] Welcher Unix-Programmierer kennt dieses Gefuehl nicht? Ob Folk Music oder Unix oder sonst was, es geht um Ideen, Konzepte, Motivation und um einen bestimmten Typ Mensch. Ganz sicher bin ich nicht Bob Dylan. Mein Leben wird nie an- naehernd seinem entsprechen und doch finde ich es nicht zu an- massend zu behaupten, dass viele der Aussagen dieses Buches auch auf mich oder meine Erfahrungen zutreffen, wenn man nur von der Folk Music geeignet abstrahiert. Zumindest wuerde ich mir wuen- schen, dass ein Buch ueber mich (das ich vermutlich nie schreiben werden) sich so lesen wuerde. Was ich mir selbst (und ein paar Freunden) ganz konkret wuensche ist: Whatever I heard people say was irrelevant -- both good and bad -- didn't get caught up in it. I had no precon- ditioned audience anyway. What I had to do was keep straight ahead and I did it. [1] [0] Bob Dylan: Chronicles Vol. 1, p. 236 [1] Bob Dylan: Chronicles Vol. 1, p. 253 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke