2008-05-18 herz und hirn Der Sprung hinaus und drei Sekunden Fall Wir waren am Wochenende am Albtrauf beim Wandern. Dort gibt es viele Aussichtspunkte direkt an der Kant, bei denen es ziemlich steil runter geht. Einer von ihnen war jedoch etwas besonderes. Von hinten kam man ganz flach über eine schöne Heide an ihn heran ... und dann brach die Hochfläche abrupt ab. Es ging fünfzig Meter senkrecht in die Tiefe und danach kamen weitere zwei- oder dreihundert Meter steiler Bergwald. Zusammenfassend: Von der Heide aus unscheinbar -- doch an der Kante grausig! Wie ich da so stand und runter schaute, fiel mir auf, dass die Kante an manchen Stellen einen leichten Überhang bildete. Der letzte halbe Meter war also unten frei. Dieses Bild erinnerte mich unweigerlich an eine Fotografie des Diavortrags ``Abgefahren'', [0] den ich vor ein paar Jahren gehört hatte. Dort sitzt Klaus Schubert auf einer Felsnadel, die etwa zwei Me- ter frei in den Blyde River Canyon hinein ragt. Dieses Foto [1] hat mich unglaublich beeindruckt und tut es auch jetzt noch. (Auch technisch ist es perfekt.) Mit diesem Bild vor Augen sah ich mir den Felsvorsprung an, und wusste was ich jetzt wollte. Ich musste mich da vorne einfach hinsetzen und ein Foto von mir machen lassen. Bezüglich des Felsen würde kaum sehr viel passieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Überhang abbricht ist nur wenig höher, als dass eine Höhle einstürzt, und vermutlich deutlich geringer, als vom Blitz getroffen zu werden (vom Autofahren ganz zu schweigen). Aber es war mir natürlich schon mulmig. Und das hatte Klaus im Vortrag auch so erzählt: Er hatte richtig schiss, als er die zwei Meter in's ``Nichts'' überwand. Für dieses eine Foto -- und das bleibende Gefühl. Die Situation bei mir war vergleichsweise harmlos ... ... und doch: Der Tod ist nur eine Handbreit entfernt! Eine Bewegung und ein paar Sekunden Fall -- so schnell ... so nah ... so einfach. Ein älterer Herr, der ebenfalls die Aussicht genoss, fragte uns nach unserem Befinden, denn er wusste, dass an dieser Stelle jährlich ein paar Menschen ihre Suche nach dem Sinn ihres Lebens beenden. Ich finde dies eine tolle Geste, die ich auch in der Schweiz auf einer Autobahnbrücke schon erfahren habe. Sie zeigt, dass es Menschen kümmert -- wildfremde Menschen. Das ist gut! Nun ist es so, dass ich eine gewisse Affinität zum Tod habe .... einen Drang zum Sprung spüre. Im Gegensatz zu Anderen leiten mich diese Rufe nicht ... aber ich höre sie. Ich verstehe was Menschen führen, wenn sie Anlauf nehmen ..... Ich sehe diese Fähigkeit als Gabe an. Als wertvolle Gabe ... als gefährliche Gabe. Doch die Angst ist nur an der Oberfläche. Denn ich weiß ..... [0] http://abgefahren.info [1] http://www.abgefahren.info/wp-content/uploads/grds0113.jpg http://marmaro.de/apov/ markus schnalke