2024-04-12 gesellschaftsanalyse Und warum ist das so? Vertrauen Nun habe ich das 9h-Gespraech ``Wie schoen ist die Differenz?'' mit Hadija Haruna-Oelker beim Zeit-Podcast ``Alles Gesagt'', das mir Shirley empfohlen hat, durchgehoert. [0] Teilweise habe ich es anstrengend gefunden, nicht wegen der Dauer, sondern wegen den ploetzlichen Themenwechseln und manchen ``Wiederholungen'', doch dazu spaeter mehr. Mit Abstand am schlimmsten war das A-B-Spiel, weil das in seiner Art -- binaere Antworten unter Zeitdruck -- allem was Haruna-Oelker sonst gesagt hat, wiedersprochen hat. Meiner Meinung nach war das Spiel vollkommen unpassend. Davon abgesehen habe ich das Gespraech aber gut gefunden -- wertvoll und wichtig. Ich will nun ein paar Dinge herausgreifen: Einige Male hat Haruna-Oelker den Satz verwendet: ``Das ist ja interessant ...'' Diesem Satz messe ich viel Bedeutung bei, denn er verlautbart den aufkommenden Erkenntnisgewinn. Es geht nicht um ``Heureka!'', sondern um die Geisteshaltung und Offenheit, die einen eine Irritation als interessant bewerten laesst. Damit be- ginnt ein Erkenntnisprozess. Damit ist eigentlich schon alles gewonnen. Wir sollten den Irritationen im Alltag, in Gespraechen und Diskussionen, nicht mit Abwehr begegnen, sondern mit einer Art, die uns ``Das ist ja interessant ...!'' sagen laesst. Der vermutlich haeufigste Satz von ihr war aber: ``Und warum ist das so?'' Auch diese Frage zeigt eine Geisteshaltung auf. Sie steht fuer bestaendiges Nichtwissen und bestaendiges Hin- schauenwollen. Sie steht fuer die immer wieder neue Ueber- pruefung des scheinbar Offensichtlichen. Sie steht fuer die ex- plizite Erfahrung des Tatsaechlichen. Die Frage steht auch dafuer, mit einer gemeinsamen Diskussion beantwortet zu werden, bei der alle Seiten gehoert werden *wollen*. Anstrengend war, dass Haruna-Oelker viele Male immer wieder letztlich das Gleiche gesagt hat. Anstrengend daran war jedoch nicht, dass sie das gemacht hat, sondern, dass es noetig war. Es war noetig, weil immer wieder Fragen gestellt wurden, aus einer Denkwelt heraus, die ihren vorigen Aussagen resistent gegenueber war. Ich finde, dass in diesem Phaenomen die eigentliche Aussage von Haruna-Oelker gut sichtbar wird ... wenn man sie sehen kann und will. Hier passt ein Gedanke, den ich schon eine Weile denke: Ge- & Verbote sind der falsche Weg. Sie loesen das Problem nicht. Sie koennen hoechstens eine temporaere Notloesung sein, die aber einer falschen Denkwelt entspringt. Nein, alles haengt am Willen ... am Wollen! Es braucht keine Verbote wenn man inklusiv, wertschaetzend, fair, beruecksichtigend, ungerechtigkeitsein- sehend, umweltschuetzend, usw. sein *will*. Man muss das Wollen angehen! Denn dann loest sich alles weitere von selbst. Ohne das Wollen ist alles weitere kaum wirkungsvoll. Sinngemaess hat das auch Jean-Paul Getty in einem anderen Kontext gesagt: Wenn man einem Menschen trauen kann, eruebrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Ver- trag nutzlos. Vertrauen kann man nicht erkaufen und nicht erzeugen; man kann es sich nur erarbeiten. Leider sieht es damit derzeit schlecht auf der Welt aus. Wir leben in Zeiten, in denen das Vertrauen unwichtig zu sein scheint. Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass Unternehmen, oeffentliche Einrichtungen, Staatsorgane, oder die Politik sich so verhalten wuerden, dass ich ihnen Vertrauen entgegenbringen koennte. Es ist erbaermlich, wie unwichtig Vertrauen in unserer Gesellschaft angesehen wird. Statt Vertrauen aufzubauen werden Imagekampagnen, Fassadenarbeit, Show, Aufmerksamkeitsmanagement, Manipulation und Propaganda betrieben. Nichts davon kann das Ver- trauen ersetzen ... alles davon schadet ihm letztlich. Das finde ich unendlich traurig. Es zeigt auch ein krass arrogantes Selbstverstaendnis ... eigentlich aller Staatsorgane. Nehmen wir die Polizei, die mit ihrem vertuschenden ``Aufklaerungsverhalten'' zur Polizeigewalt das Vertrauen vollends zerstoert. Ich verstehe auch nicht recht, warum man der Polizei ueberhaupt so viel Arroganz zugesteht. Was ist denn das fuer ein Selbstver- staendnis in der Polizei?! Da spielt sich der Diener auf als waere er der Herr ... und alle nehmen es hin. Dieses Phaenomen ist leider im oeffentlichen Apparat alltaeglich. Mir scheint, sobald irgendwo Macht ist, sammeln sich dort die korrupten, machtgeilen Menschen, und alle Verpflichtungen der Bevoelkerung gegenueber sind vergessen. (Da sind die Staaten ihrer Entstehungsvergangenheit noch nicht entkommen. In der Tiefe liegt hier noch viel monarchisches statt demokratisches Grund- und Selbstverstaendnis.) Beim Missbrauch in der katholischen Kirche ist es das Gleiche: interne ``Aufklaerung'' kann kein Vertrauen aufbauen ... Ich kann gerade so weitermachen ... Wir leben in einer Zeit und Gesellschaft/Kultur der Vertrauensarmut und -unwichtigkeit. Es gibt keine politische Partei, zu der ich Vertrauen haette. Ich kann nur welche waehlen, die von den Themen mehr Uebereinstimmung mit mir haben als andere. Dabei wuerde ich *eigentlich* lieber Politiker_innen waehlen, denen ich vertraue, das sie die Beduerf- nisse, Wuensche, Anliegen, Noete der Bevoelkerung (also aller Menschen!) sehen, verstehen und vermitteln wollen (unabhaengig von ihrer eigenen Meinung). Und hier sind wir nun zurueck bei Haruna-Oelker, deren Antworten dieser Art sind. Doch immer wieder wuerde sie dann gefragt wer- den, welche Parteien sie nun besser faende. Das ist wie wenn man Nationalstaaten grundsaetzlich falsch findet und dann immer wieder zu Grenzproblemthemen gefragt wird. Oder man legt dar, dass und warum das biologische Geschlecht nicht binaer ist, und soll dann Intermenschen binaer einteilen oder Loesungen innerhalb der binaeren Sicht finden. -- Hatte man nicht eben erst erklaert, dass man so nicht denkt?! Es macht nunmal keinen Sinn, das Richtige im Falschen zu suchen. Es wird dort nicht zu finden sein. (Diese Situationen im Gespraech waren frustrierend und an- strengend fuer mich als Zuhoerer.) All das zeigt uns, wie weit der Weg noch ist. Und wir alle merken, wie schwer er zu gehen ist. Doch eines hilft am besten: Miteinander reden, in der Form als ist/sei das Gegenueber die einem wichtigste Person auf der Welt, um deren Wohlergehen und Glueck man bemueht ist. Es geht um Ver- stehenwollen; es geht um die Suche nach guten Loesungen unabhaen- gig von der eigenen Meinung. Es braucht all die Ruhe, die Geduld, das Einfuehlen, das Verstaendnis, die Wertschaetzung ... dann wird die Welt nach und nach eine bessere. :-) [0] https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-01/hadija-haruna- oelker-alles-gesagt-interviewpodcast http://marmaro.de/apov/ markus schnalke