2022-10-01 gesellschaftsanalyse Bildungsversagen Bildungsbehindernde Umgebungen ``Bildungsversagen'' sagt sich so leicht, aber wieso versagt die Bildung? Die einfache Antwort darauf ist, dass sie die falschen Themen lehrt. Befasst man sich naeher damit, dann stellt man schnell fest, dass dies gar nicht die einfachere, sondern die schwierigere Antwort ist. Themen und Prioritaeten haengen von eigenen Ansichten ab. Oft zeigt sich auch erst rueckblickend was besser gewesen waere. Hier im Voraus zu wissen, was die richtigen Themen waeren, ist kaum moeglich. Es gibt aber auch noch eine schwierigere Antwort, die sich, bei naeherer Betrachtung, als die einfachere herausstellt: Die Themen werden auf die falsche Weise gelehrt. Hierbei sind persoenliche Praeferenzen weniger wichtig, da es wissenschaftliche Erk- enntnisse gibt und sinnvolle Methoden mit zu erreichenden Zielen abgeglichen werden koennen. Das ist ja das Brot-und-Butter- Handwerk von Paedagogen ... moechte man meinen. Ich habe mich nie besonders mit dem Chaos Computer Club identi- fiziert, obgleich ich ihn als wichtiges Organ ansehe. Wau Holland hat mich nie besonders angesprochen; verschiedenes sehe ich auch anders als er. Ich finde es daher einerseits anstrengend, den folgenden Vortrag anzuhoeren; dessen ungeachtet finden sich an- dererseits denkwuerdige Aussagen darin. Es geht um ``Komplexitaet und Management'' von 2000-05-09. [0] Computerunterricht ab der ersten Klasse finde ich unpassend und eher schaedlich ... wenn er die Bedienung von Computern beinhal- tet. In der ersten Klasse sollten Kinder viel draussen sein und die Welt direkt erfahren. Wenn man bei Wau genauer hinhoert, dann stellt man aber fest, dass es ihm gar nicht um das Bedienen von Microsoft Word geht (was in der Realitaet leider allzuoft Inhalt des sogenannten Computerunterrichts an Schulen ist), sondern darum, Faehigkeiten zu lernen, die in einer digitalen Welt wichtig sind. Heutiger Computerunterricht an Grundschule ist wie wenn man im Deutschunterricht nur Comics anschauen wuerde. Nichts gegen die Berechtigung von Comics, auch im Deutschunterricht (!), aber es waere doch sehr stuemperhaft, will man darueber ein Verstaendnis der deutschen Sprache vermitteln. Da nur leider die meisten Com- puterlehrer an Schulen genau so unpassend sind wie es Deutschlehrer waeren, die nur Comics im Unterricht behandeln -- die Situation bei den Bildungspolitikern ist nicht besser --, ist der Computerunterricht (Informatik sollte man diese Stuemperei nicht nennen) eine Lachnummer ... oder eher eine Weinnummer. Sein groesster Erfolg ist es, Microsofts Zukunft zu sichern. Wuerde man Lehrer_innen fragen, so kaeme vermutlich die Antwort, dass halt eben keine geeigneten Informatiklehrer_innen zur Ver- fuegung stehen wuerden. Das ist sicher eine Erschwernis, zugleich disqualifiziert diese Aussage den Paedagogenstand. Die Kernfaehigkeit von Paedagogen ist nicht, das Thema perfekt zu verstehen, sondern paedagogische Methoden anzuwenden, um bes- timmte Ziele zu erreichen. Das Unverstaendnis der Informatik bei den Lehrern schadet weniger den Lehrinhalten als den Lehrzielen. Dabei werden diese vom Bildungsministerium vorgegeben. Paedagogen sollten auch Inhalte unterrichten koennen, die sie selber nicht so gut verstehen. Zumindest ab der Mittelstufe koennen Inhalte zusammen mit den Schuelern erarbeitet werden. Das waere paedago- gisch sowieso sinnvoller als Frontalunterricht. Bei Kindern gilt es, die Basis fuer abstraktes Denken zu legen. Groessenordnungen abseits der direkt greifbaren Welt muessen ver- standen werden koennen. Vielperspektivische Betrachtungen muessen gelernt werden. Exaktheit in Formulierungen muessen gelernt und auch ueberhaupt erst mal wahrgenommen und erkannt werden. Sys- temprozesse und Komplexitaeten sind wichtig zu verstehen. -- Diese Themen haben weit mehr mit Computern zu tun als die Bedienung von Microsoft Word! (*Das* hat das Bildungssystem nicht verstanden.) All diese Themen koennen spielerisch und modellhaft gelernt wer- den. Es geht um Erlebnisse, nicht um theoretisches Verstaendnis in der Grundschule. Dies ist aber die Basis dafuer, dass spaeter ein angemessener Informatikunterricht mit Kontakt zu Computern moeglich ist. Dies ist der Weg, der uns aus der derzeitigen faustkeilhaften Computerbedienung der Massen heraus fuehrt in ein wirkliches Informatikverstaendnis. So wie wir in Mathe nicht mehr mit roemischen Zahlen rechnen, so sollten wir im Computerunter- richt auch nicht mehr mit Microsoft Word arbeiten. Ein Ver- staendnis fuer die digitale Welt ist ebenso wichtig wie man in Mathe lernt wie Arithmetik funktioniert und Deutsch was es mit Grammatik auf sich hat. Die Inhalte muessen die Lehrer nicht komplett selber liefern. Ihre Hauptaufgabe ist es, den Prozess des Lernens zu begleiten. Wenn eine Schuelerin das beste Informatikverstaendnis der Klasse hat, so sollte sie ihr Wissen einbringen. Wenn fortgeschrittene Schueler Anfaenger lehren, so ist das fuer beide sinnvoll. Schule muss als Lerngemeinschaft begriffen werden, in der Lehrer ebenso Teil davon sind. Vereine wie der CCC bringen sich mit Chaos macht Schule gerne ein, wenn man es ihnen ermoeglicht. Das Hauptproblem ist aber, dass der Bildungssektor insgesamt in- konsequent bezueglich seiner eigenen Aufgabe ist. Anleiten ist nicht das gleiche wie bilden -- das sollten Paedagogen am besten wissen; sie tun jedoch nicht das, was fuer wirkliche Bildung noe- tig waere. Hier kommt nun Richard Stallman ins Spiel, dessen TEDx-Vortrag (Geneva 2014) die Dinge, worum es ihm geht, gut destilliert. [1] Wie kann Bildung im Bereich Informatik ohne Freie Software auskommen?! Es ist absurd inkonsequent im Bereich Bildung mit proprietaerer Software zu arbeiten! (Gleichermassen: Wie kann der ueber Steuergelder von den Buergern finanzierte oeffentliche Dienst unfreie Software entwickeln, die den Buergern selbst vorenthalten wird?! Oder: Wie kann ein oeffentlich finanzierter kritischer Impfstoff patentiert werden?!) Dies zeigt uns die mas- sive Ueberforderung des Bildungswesens mit seiner eigenen Auf- gabe. Wie soll man aber ein Bildungswesen ernst nehmen, das seinem Auf- trag nicht nachkommt und fuer die zu bildenden Personen bildungs- behindernde Umgebungen schafft? Es gibt im Bildungswesen alle moeglichen Ziele, aber die Bildung der Menschen an sich gehoert absurderweise nicht zu den wichtig- sten. [0] https://chaosradio.ccc.de/ctv026.html [1] https://youtu.be/Ag1AKIl_2GM http://marmaro.de/apov/ markus schnalke