2020-09-30 gesellschaftsanalyse Keine Ruecksicht nehmen wollen Heuschreckenverhalten ``Darauf kann ich keine Ruecksicht nehmen.'' Wahrscheinlich haette ich diesen Satz gar nicht so explizit wahrgenommen oder ihn inzwischen auch vergessen, wenn Almut ihn nicht immer wieder rauskramen wuerde. Sie tut das zurecht, denn dieser Satz hat Bedeutung. Er ist Ausdruck einer ignoranten Geisteshaltung. Ich denke, dass man ihn nie anwenden sollte. Seine Aussage ist, dass man die Beduerfnisse von Beteiligten noch nicht mal in die Entscheidungsfindung einbezieht, sondern von vornerein schlicht ignoriert. Eine solche Methode kann ich mir nur in einem Fall temporaer als sinnvoll vorstellen: wenn man in einer neuen Situation mit Infor- mationen und Komplexitaet voellig ueberschuettet und dabei hoffnungslos ueberfordert ist. Um dann ueberhaupt noch zurecht zu kommen hilft so eine massive Filterung. Man blendet einfach alles aus, ausser dem Allerwichtigsten. Man ist bewusst ignorant, um nicht zu zerbrechen. Das ist aber ein Katastrophenmodus, der eine Menge Nachteile hat. Im Alltag hat der nichts zu suchen. Ignoranz ist der Anfang vom Ende. Auf die Beduerfnisse der Beteiligten keine Ruecksicht zu nehmen ... zu glauben, darauf keine Ruecksicht nehmen zu muessen, das ist arrogant. Wie kann eine Person, die sich so verhaelt, sozial oder auch fachlich (!) Anerkennung erwarten? (Im Fachlichen die Menschen ausser Acht zu lassen ist ein Verfehlen.) Fuehrung, die die Beduerfnisse der Beteiligten ignoriert, ist verfehlt. Fuehrung ist viel mehr ein Umgehen mit den Beduerf- nissen der Beteiligten. Zu meinen, auf die Beduerfnisse der Beteiligten keine Ruecksicht nehmen zu koennen, bedeutet, dass man nicht verstanden hat um was es geht, oder -- wobei das letztlich das Gleiche ist -- dass man mit der Aufgabe ueberfordert ist ... unfaehig zu Fuehren ist. Was man mit einer solchen Haltung aufbaut, ist etwas, das bereits zum Zeitpunkt seines Entstehens zu zerfallen beginnt. Daraus kann nichts Tragfaehiges entstehen. Es kann nicht gut werden. Es kann nicht dauerhaft sein. Alle werden froh sein, wenn es vorbei ist. Alles Gute, das passiert, ist ein Trotzdem und kein Weil. Natuerlich kann man alles, was man aufbaut, gleich wieder verheizen, staendigen Raubbau betreiben, Heuschrecke sein ... Ich frage mich, was daran gut sein soll. Kann man das moegen? Staen- dig weiterziehen zu muessen, weil man mal wieder Verwuestung hin- terlassen hat! Wieder zufriedene Existenzen ins Verderben ges- tuerzt zu haben, nur weil man vorbei gekommen ist! -- Das er- traegt man doch nur indem man nicht nachdenkt. Das Verhalten foerdert demnach die Ignoranz auch noch. Mich schockt immer wieder wie umfassend das Wegwerfdenken in unserer Gesellschaft verbreitet ist. Nicht nur beim Konsum, bei Verpackungen und Gegenstaenden, sondern auch beispielsweise in Teamstrukturen, Projekten, Softwaresystemen, usw. Etwas langfris- tig Funktionierendes zu schaffen scheint nicht angestrebt zu sein. Das Heuschreckenverhalten boomt. Ich verstehe nicht genau wieso. Ist es nur bequem? Wird der kurzfristige Erfolg so stark fokussiert (und ueberbewertet)? Oder -- und das frage ich mich eben -- ist es Unfaehigkeit? Koennen sie es einfach nicht besser? Haben sie es nie gelernt, haben sie es nie verstanden, haben sie es nie gesehen und erfasst? ``Darauf kann ich keine Ruecksicht nehmen.'' Was fuer ein Statement der Ignoranz! Was fuer eine Absage an die Beduerfnisse Anderer! Was fuer eine unmenschliche Haltung! Das Wort ``koennen'' ist in dem Satz das interessante. Es soll den Anschein erwecken, dass man selber nichts dafuer koenne, son- dern, dass irgendwelche ominoesen externen Faktoren einschraenken wuerden. Zumeist muesste ``koennen'' durch ``wollen'' ersetzt werden: Die Person *will* keine Ruecksicht nehmen ... bloss kommt es nicht gut, das so klar zu sagen. Falls sie tatsaechlich nicht kann, so ist sie unfaehig und nicht fuer diese Aufgabe geeignet, nicht qualifiziert, ihr fehlen die noetigen Faehigkeiten (neben der passenden Geisteshaltung). Nur selten wird es aus aeusseren Gruenden nicht gehen. Dann aber gibt es keinen Grund eine solche Formulierung zu verwenden. Man wuerde besser sachlich darlegen, was die Gruende sind, weshalb den Beduerfnissen der beteiligten Personen nicht entsprochen wird -- wenngleich man sie beruecksichtigt! (Das ist ein entscheidender Unterschied.) Normalerweise werden die Gruende hoeher gewichtete kollidierende Beduerfnisse anderer Beteiligter sein. Das ist eine so voellig andere Darstellung der Situation und ein viel besserer Umgang mit ihr als dieses haarstraeubende, ignorante: ``Darauf kann ich keine Ruecksicht nehmen.'' Letzteres schafft naemlich eines nicht: Transparenz, Nach- vollziehbarkeit, Akzeptanz ..., was alles Komponenten von Au- genhoehe und Fuer-voll-Nehmen sind. Wer faehig ist und gerechtes, gutes Verhalten zeigt, braucht seine Beweggruende nicht versteck- en, muss nicht mit Arroganz und Ignoranz mauern, braucht keine Ruecksichtslosigkeit zum (erhofften) Machterhalt. Wer keine Ruecksicht nehmen kann, gehoert aus dem Verkehr gezo- gen! http://marmaro.de/apov/ markus schnalke