2019-10-08 gesellschaftsanalyse Sehr wenig Neues Heureka! ... entsprang hieraus die Ueberzeugung, zu entraetseln sei eigentlich nur ein einziges Geheimnis, und schloessen wir es erst mit dem passend gewaehlten In- terpraetationsschluessel auf, so werde sich auf einen Schlag alles aufklaeren ... [0] Insgesamt passiert auf der Welt sehr wenig grundlegend Neues. Das allermeiste was passiert ist von einer Art, die schonmal da war, nur in anderen Farben oder in anderen Kombinationen. Auch in der Wissenschaft gibt es wenig Neues. Vielleicht liegt das schon daran, dass wir wirklich Neues gar nicht erkennen und als solches greifen koennen. Dennoch haengen wir der Vorstellung nach, Neues finden zu koennen und gehen mit dieser Einstellung an die Sache. Sinnvoller waere es, wenn sich die (Zukunfts-)Forscher mit der Vergangenheit beschaeftigen wuerden. Man koennte mehr ``Neues'' erkennen, wenn man ein groesseres Repertoire der Vergangenheit haette. Im Spass heist es so gerne, dass wissenschaftliche Durchbrueche meist so beginnen: ``Ach, das ist ja seltsam!'' Tatsaechlich ist daran mehr Realitaet als Spass. Der Spass ist nur die erzwungene Selbstironie, um mit diesem vernichtenden Urteil umzugehen. Dabei muesste es gar nicht so vernichtend sein, denn es schmaelert die Leistung nicht. Nur das falsche Selbstbild wird dadurch zer- stoert. In den Vorreiterfirmen der Informatik hat man zumindest begrif- fen, dass ein Grossteil der guten Businessideen das Resultat al- berner Quatsch- und Brainstorminggespraeche sind. Romanautoren, Verlage, Songwriter, Musiklabels und Co. brauchen noch Zeit, bis sie akzeptieren, dass es keine originaere kuen- stlerische Schoepfung gibt. Alles basiert auf externer Inspira- tion und Zufall. Die eigentliche Leistung ist es (nur), das Gute zu erkennen. Dafuer noetig ist eine solide Grundlage an Handwerkszeug, ein grosses Repertoire an Vergangenheits- und Gegenwartskenntnissen, regelmaessige Inspiration und Offenheit fuer neue Einfluesse. Darauf aufbauend muss man ``nur'' noch bewerten koennen. Fuer die Bewertung muss man die neuen Einfluesse strukturieren, mit Bekanntem abgleichen, neu kombinieren, umformen ... alles experi- mentell im Kopf ... ``Was waere wenn ...?'' Nichts daran ist genialistisch. Die einzige wirklich anspruchsvolle Taetigkeit ist das Bewerten. Dafuer braucht es ein ``Gefuehl''. (Letztlich bedeutet das aber nur, dass ich (noch?) nicht in Einzelschritte zerlegt beschreiben kann, was dabei eigentlich passiert.) All diese Betrachtungen entzaubern unser Bild dieser Bereiche. Das bedeutet, dass weniger Genialitaet noetig ist, um das Gleiche zu erreichen. Mit Handwerk kommt man auch fast so weit. Das ist gut, weil es die Aufgabe vereinfacht. (Wir sollten stets danach streben, Aufgaben zu vereinfachen, auf niedrigere Niveaus zu bringen, zu automatisieren ...) Der Medizinmann kann sich seinen Schamanenstatus dann aber natuerlich nicht erhalten. Er wird zu einem einfach Arzt ``dekradiert''. Der Kuenstler wird zum Handwerker, der Forscher ebenso. Ich glaube, man kann viele von diesen Faehigkeiten erlernen. Nicht jedem liegt jedes Handwerk gleich gut, aber Handwerk ist grundsaetzlich erlernbar. Das deckt 80 oder 90 Prozent ab. Am Ende bleibt immer ein Rest fuer Genialitaet uebrig. Das heisst aber nicht, darauf so sehr den Fokus zu legen. Der allergroesste Teil ist reines Handwerk und Fremdbeeinflussung. Wenn wir das mehr akzeptieren wuerden und dafuer optimieren, kaeme insgesamt mehr heraus. (In gewisser Weise widerspricht diese Perspektive anderen Aus- sagen von mir, wie mir scheint. Aber: widersprechen sie sich oder stehen sie nebeneinander? ... die Realitaet ist nie einfach.) [0] Stanislaw Lem: Solaris, S. 224 http://marmaro.de/apov/ markus schnalke